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„Protest durch Nicht-Wählen“

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Gries ist der einzige Grazer Bezirk, in dem die ÖVP keine Mehrheit holte. Gries ist gleichzeitig auch der Bezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung.  Sozialhistoriker Joachim Hainzl über die Ergebnisse der Gemeinderatswahl in den Bezirken Gries, Lend und Eggenberg.

Das Murkraftwerk war das präsenteste Thema im Wahlkampf und ist der ursprüngliche Grund, weshalb Graz früher als geplant einen neuen Gemeinderat wählte. Dieser hatte sich im November aufgelöst, nachdem Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) im Stadtparlament keine Mehrheit für das Budget 2017 gefunden hatte. Die KPÖ, zweitstärkste Kraft im Gemeinderat, unter der Führung von Vize-Bürgermeisterin Elke Kahr, hatte ihre Unterstützung an eine Volksbefragung zum Murkraftwerk geknüpft. Die Bauarbeiten dafür haben mit Jahresbeginn begonnen, am Morgen des 6. Februar 2017 wurden die ersten Bäume gefällt.

„Auf das Wahlverhalten im Annenviertel hatte das Streitthema Murkraftwerk keinen allzu großen Einfluss,“ sagt Joachim Hainzl, Sozialhistoriker vom Verein Xenos, der für die Annenpost das Wahlergebnis der Bezirke Lend, Gries und Eggenberg analysierte, jene Bezirke also, über die die Annenpost regelmäßig berichtet. Vielmehr seien hier erneut die Themen Soziales und Wohnen – traditionell von der KPÖ beansprucht – im Fokus der Wähler gestanden, was auch das gute Abschneiden der Kommunisten in den Bezirken Lend, Gries und Eggenberg zeige.

Lend

Im Bezirk Lend blieb die ÖVP mit 27,65 Prozent stimmenstärkste Partei [Anm.: Alle Ergebnisse ohne Wahlkarten lt. Magistrat Graz, http://wahlergebnis.graz.at/]. Die KPÖ erreichte mit 25,69 Prozent der abgegebenen Stimmen den zweiten Platz, die FPÖ beanspruchte mit 18,37 Prozent Platz drei für sich. Während ÖVP, KPÖ und FPÖ seit der letzten Wahl Zugewinne verzeichnen konnten, verloren SPÖ und Grüne in Lend an Boden. „Herrscht Unzufriedenheit mit der aktuellen politischen Situation, sind Positionen, wie sie von KPÖ oder FPÖ vertreten werden, den Menschen näher als die Themen, die SPÖ oder Grüne ansprechen“, analysiert Hainzl.

Wahlergebnis (ohne Briefwahl): Bezirk Lend. Grafik: Michael Sommer – Statistik: Stadt Graz

Gries

Im Bezirk Gries wiederum konnte die KPÖ 28,34 Prozent der Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen und lag wie bei der letzten Wahl erneut auf Platz eins. Mit 27,15 Prozent der abgegebenen Stimmen belegte die ÖVP knapp dahinter Platz zwei, gefolgt von der FPÖ mit 19,08% der Wählerstimmen. Auch in Gries verbesserten KPÖ, ÖVP und FPÖ ihre Wahlergebnisse von 2012, während SPÖ und Grüne Federn lassen mussten. Hier falle auf, dass die KPÖ, trotz der vielen Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk, nicht an Zustimmung verloren habe, sagt Hainzl. Der Gries ist damit der einzige Grazer Bezirk, in dem die relative Mehrheit nicht „schwarz“ wählte.

Wahlergebnis (ohne Briefwahl): Bezirk Gries. Grafik: Michael Sommer – Statistik: Stadt Graz

Eggenberg

Im Bezirk Eggenberg liegt die ÖVP mit 34,31 Prozent klar vor der KPÖ, die 20,08 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte, die FPÖ kam auf 21,45 Prozent. „Für die ÖVP zeigt sich nicht nur im Bezirk Eggenberg, dass das Streitthema Murkraftwerk eher zur Wähler-Mobilisierung beigetragen als der Partei geschadet hat“, analysiert Hainzl.

Wahlergebnis (ohne Briefwahl): Bezirk Eggenberg. Grafik: Michael Sommer – Statistik: Stadt Graz

Die FPÖ, die in allen Bezirken am rechten Murufer Stimmenzuwächse verzeichnete, sei vor allem für ihre Haltung zu den Themen Zuwanderung und Integration von den Wählern belohnt worden, während für die Grünen die mäßige Bekanntheit von Spitzenkandidatin Tina Wirnsberger von Nachteil gewesen sei, sagt Hainzl. Die NEOS, die in Lend, Gries und Eggenberg konstant bei knapp drei Prozent lagen, hätten bei ihrem ersten Antreten hauptsächlich frühere Grün-Wähler von sich überzeugen können.

In Sachen Wahlbeteiligung bildet der Bezirk Gries mit 35,95 Prozent das Schlusslicht im Grazer Vergleich. In Lend und Eggenberg nutzten 41,06 bzw. 45,58 Prozent ihr Recht auf aktive politische Teilhabe. „Hier wird sichtbar, dass politische Unzufriedenheit nicht nur durch Protest, sondern oft auch durch Nicht-Wählen ausgedrückt wird“, sagt Hainzl. Ein weiterer Grund für die niedrige Wahlbeteiligung sei, dass besonders Personen mit Migrationshintergrund vom Angebot der wahlwerbenden Parteien meist weniger angesprochen würden. Wahlberechtigt waren bei gestrigen Gemeinderatswahl in den drei analysierten Bezirken insgesamt 56.561 Personen.

Hier der Link zum Endergebnis der Gemeinderatswahl (mit Briefwahl). 

Text: Pirmin Steiner Grafiken: Michael Sommer

Klettert auf Berge und fährt sie auf Skiern runter. Bewegt sich im Alltag mittels Fahrrad fort und ist Koch aus Leidenschaft.

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