Seit dem Terrorangriff der Hamas vor mehr als zwei Monaten finden in Graz regelmäßig pro-palästinensische Demonstrationen statt. Welche Menschen gehen auf die Straße und was treibt sie an?
Von: Rosalie Sommer, Julia Schuhmacher
Mehr als 1000 Menschen haben sich am 26.11. um 14 Uhr am Europaplatz vor dem Bahnhof versammelt. Während der Kundgebung, die von der Gruppe Graz for Palestine angemeldet wurde, hält unter anderem auch der palästinensische Botschafter, Salah Abdel Shafi, eine Rede. “Es wird für Israel keinen Frieden und keine Sicherheit geben, bis Palästina auch in Frieden und Sicherheit lebt und souverän und stolz zwischen den Nationen steht.” Seine Worte werden laut bejubelt. Aus einem Meer tönen laute Parolen: ,,Stoppt den Kindermord!“ Eine helle Stimme sticht besonders hervor – ein etwa fünf Jahre alter Bub, der voller Emotion und Kraft mit schreit.
Die Gruppe Graz for Palestine hatte sich nach dem Kriegsausbruch in Gaza aus mehreren pro-palästinensischen Organisationen, wie der KJÖ und Palästina Solidarität Österreich, formiert. Angemeldet hat die Demo an diesem Tag Marco Wirtl, auch er hält eine Rede während der Kundgebung. Auf Instagram bewirbt Graz For Palestine die Demo mit dem Spruch “Stoppt den Völkermord in Gaza!”. Davon, dass der Begriff “Völkermord” bzw. “Genozid” im Gaza-Kontext umstritten ist, merkt man auf der Demonstration nichts. Das verdeutlichen auch Parolen wie “Stoppt den Genozid!”, die am Europaplatz zu hören sind.
Stimmen aus der Demo
Auf den Schildern, die die Demonstranten mitführen, sind Sprüche wie „Kinder töten ist keine Selbstverteidigung“ zu lesen. Auch die UNICEF hat die hohe Zahl an Kindern unter den Opfern der israelischen Angriffe wiederholt beklagt. Unabhängig bestätigte Zahlen sind dennoch nicht zu bekommen. Ein großer Teil der Demonstrierenden am Europaplatz sind Kinder mit ihren Eltern. Sie halten Schilder, schreien mit, sitzen auf den Schultern der Erwachsenen oder formen Peace-Zeichen mit ihren Händen. Manche Mütter schieben Kinderwagen vor sich her. Bis zu 1200 Menschen sollen insgesamt mit demonstriert haben.
Lässt man den Blick über den Europaplatz schweifen, fallen zwei junge Palästinenserinnen und ihre Flagge auf, die mit Abstand die größte auf dieser Demo ist. Sie äußern sich im Interview kritisch gegenüber der Hamas und verurteilen die Angriffe beider Seiten. Ihre Solidarität gilt aber überwiegend Palästina, weil die Palästinenser ,,seit mehr als 70 Jahren unterdrückt werden“. Am meisten stört sie, dass ein neutrales Land wie Österreich nur die Israel-Flagge aufhänge, jedoch nicht die von Palästina. Sie meinten, im Laufe der Demo würden wohl auch die Opfer beider Seiten thematisiert werden. Wie sich später herausstellt, werden die Terrorakte der Hamas jedoch kein einziges Mal von den Organisatoren der Demo explizit angesprochen, geschweige denn verurteilt.
Der Demonstrationszug
Um 14:30 beginnen die Demonstrierenden lautstark durch die Annenstraße in Richtung Innenstadt zu marschieren. Auch die marxistische Vereinigung “Der Funke” ist präsent. Die Mitglieder halten sich eher am hinteren Ende der Demonstration auf, schwenken ihre eigenen Fahnen, verkaufen ihre Monatszeitung und stimmen bei den Parolen mit ein. Fragen zur Demo und zum Nahost-Konflikt wollen sie der Annenpost nicht beantworten.
Auch die Kommunistische Studentenvertretung (KSV) bzw. die Kommunistische Jugend Österreich (KJÖ) sind wie bei allen vorangegangenen Pro-Palästina Demonstrationen anwesend. Bis vor kurzem waren einige ihrer Mitglieder auch noch bei Graz For Palestine aktiv, wie die KJÖ erzählt. „Wir sind seit gut zwei Wochen nicht mehr in die Demo-Planung involviert und konzentrieren uns seither wieder darauf, selbständig Aktionen und Veranstaltungen für Palästina zu machen”, erläutern sie der Annenpost. Am 12.12. veranstaltet der KSV etwa ein Unikino zum Thema Gaza. “Wir gehen aber natürlich weiterhin auf die Demos.”
Die arabischen Parolen, die während des Zugs gerufen werden, sind kaum leiser als die deutschen Parolen, bei denen auch rein deutschsprachige Österreicher:innen mitmachen können. Daraus lässt sich schließen, dass ein großer Teil der Anwesenden wirklich aus dem arabischen Raum stammt.
Die Demonstration wird jedoch nicht von allen positiv aufgenommen. Am Hauptplatz angekommen, ruft eine Passantin den Demonstrierenden wütend entgegen:,,Antisemitismus ist nicht okay! Kinder entführen ist nicht okay!“ Zu größeren Auseinandersetzungen kommt es jedoch nicht, die Demo, die nun entlang der Herrengasse führt, verläuft insgesamt friedlich.
Palästina Solidarität Österreich
Dem Demozug hat sich an diesem Tag auch Franz Sölkner angeschlossen, ein sehr präsentes Mitglied des Pro-Palästina Aktivismus in Graz. Er ist sowohl Obmann der Steirischen Friedensplattform als auch Mitbegründer der Palästina Solidarität Österreich. Letztere haben trotz behördlicher Untersagung die ersten zwei Demos in Graz direkt nach dem 7. Oktober organisiert. Somit kam es bei der allerersten Demo am 14. Oktober zu Anzeigen und Geldstrafen.
Die Organisation ist in ganz Österreich aktiv, auch in Wien, wo sie bereits am 11.10. eine Kundgebung veranstalten wollte. Diese wurde jedoch mit dem kontroversen Spruch “From the river to the sea, Palestine will be free” angekündigt und somit polizeilich untersagt. Der Spruch wurde von der Polizei als Aufruf zur Gewalt interpretiert, er impliziere, dass Israel von der Landkarte gelöscht werden solle. Die “Palästina Solidarität” wurde 2019 gegründet. In der Friedensplattform hätten “nicht alle diese Schwerpunktsetzung zugunsten der Palästinafrage mitgetragen”, erklärt Franz Sölkner in einem Gespräch mit der Annenpost nach der Demo. Daher haben sie den neuen Verein ins Leben gerufen.
Umstrittene Teilnehmer:innen
Graz for Palestine ruft auch über Instagram zu den Demos auf – unter anderem am 8.12. in Graz. In einem Reel sind Sölkner und andere Aktivist:innen mit palästinensischer Kufiya um den Hals zu sehen. Mehrmals taucht da auch Yasser auf, mit dem die Annenpost schon 2012 und 2014 gesprochen hat, als er noch als Gangster Rapper aktiv war. Schon damals wurde seine anti-zionistische und Israel-kritische Haltung thematisiert. Er nimmt ebenfalls an Demonstrationen in Graz und Wien teil, auch am 26. November ist er dabei
Eine Person, die bei den von der PSÖ organisierten Demonstrationen in Wien und Graz dabei war, ist Sarah M. Auf Bildern ist sie bei den Demos mit Megafon in der Hand zu sehen. Auf ihrem TikTok-Kanal “palaestina_demos_wien” macht sie regelmäßig Livestreams. In einem Ausschnitt einer dieser Streams hört man, wie sie sagt: ,,Wir holen jemanden von den Toten zurück: A.H.” Auf die Frage, wie eine Person mit derart antisemitischen Aussagen, tragende Funktionen bei ihren Demos haben kann, entgegnet Sölkner, dass sie bereits eine interne Diskussion geführt hätten. Er habe scharf reagiert. ,,Man wird schwer verhindern können, dass sie bei den Demos mitläuft. Aber ich habe verlangt, dass sie keinerlei Funktionen bei unseren Kundgebungen und Diskussionen haben darf.” Auch sei ein internes Gespräch mit Sarah M. in Wien geplant.
Ein friedliches Ende
Bei einbrechender Dunkelheit erreicht der Demozug am 26. November sein Ziel, den Stadtpark. Über Lautsprecher wird palästinensische Musik gespielt, ein Meer von Handy-Taschenlampen leuchtet auf, dann rufen die Organisatoren zu einer Schweigeminute für alle palästinensischen Opfer auf. Ein starker Kontrast zu den Parolen und Trommeln der vergangenen zweieinhalb Stunden. Danach löst sich die Demonstration friedlich auf.
Die nächste Demo in Graz findet am 17.12. statt. Dies vor dem Hintergrund eines erneuten anti-israelischen Übergriffs, nachdem in der Nacht auf Samstag eine israelische Fahne vor der Grazer Burg angesengt wurde. Im November war bereits die Fahne vor dem Rathaus mit einem Messer beschädigt worden. Die Demo am Sonntag wurde dieses Mal von Franz Sölkner angemeldet. Das Motto: “Stoppt den Genozid!”
„Titelbild: Kundgebung am Europaplatz: Kinder stehen in der ersten Reihe. – Foto: Julia Schuhmacher“