Elke Kahr: “Es braucht Orte, wo man eine Subkultur leben darf”

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2021 gingen Elke Kahr und die KPÖ als Siegerinnen der Gemeinderatswahl hervor. Nun ist sie seit zweieinhalb Jahren Bürgermeisterin der zweitgrößten österreichischen Stadt. Im Interview mit der Annenpost spricht sie über ihren Politikstil, ihren Heimatbezirk Gries und den internationalen Rechtsruck.

Von Tobias Jaritz und Julia Schuhmacher

Wir sitzen im üppig bepflanzten Vorraum des Bürgermeisterinnen-Büros. Im Hintergrund läuft gerade „We are the People“ von Empire of the Sun, als Elke Kahr selbst durch die Tür kommt, um uns zu sagen, dass wir noch ein bisschen warten müssen. Sie müsse dringend etwas erledigen. Eine Viertelstunde später sitzen wir in ihrem ebenfalls sehr grünen Büro. Sie schaut uns erwartungsvoll an.

Annenpost: Die Wahl einer kommunistischen Bürgermeisterin hat international für großes Aufsehen gesorgt. Wo ist der Kommunismus in Graz spürbar geworden?

Elke Kahr: Die Frage ist: Warum hat es Aufmerksamkeit erregt? Das Thema wird von bürgerlichen Medien und von politischen Mitbewerber:innen immer groß gemacht. Als Bürgermeisterin ist man letztendlich für alle da, trotzdem darf man nie die Haltung verlieren.

Der wesentliche Unterschied zu früheren Stadtregierungen und zu anderen Parteien ist, dass ich einen Blick von unten habe. Das heißt, meine Parteilichkeit war mit 17 nicht anders als jetzt mit 62, egal in welcher Aufgabe, ob als Gemeinderätin, Stadträtin oder jetzt als Bürgermeisterin. Der Schwerpunkt meiner Arbeit richtet sich nach den Menschen, die es schwer haben.

Die gesellschaftlichen Gebrechen im Großen können wir auf kommunaler Ebene leider nicht lösen. Aber in unserer eigenen Verantwortung haben wir als Stadt in den letzten zwei Jahren mehr erreicht als in den zehn Jahren davor. Wir haben nicht nur Gemeindewohnungen errichtet, es gibt auch keine Erhöhungen der Mieten. Wir haben die Richtlinien geändert: Egal, wie viel man verdient und wo man herkommt, man kann um eine Gemeindewohnung ansuchen. Außerdem sind wir die einzige Stadt, in der man man das nach nur einem Jahr Hauptwohnsitzmeldung machen kann.

Annenpost: Ihr Parteikollege Hanno Wisiak verkündete vor Kurzem, er wolle “in der Bauwirtschaft den Markt zu Grabe tragen” und “planwirtschaftlich organisieren.” Wie soll das gehen?

Kahr: Daran merkt man, dass ein Stichwort geliefert wird und dann sofort alle darauf herumreiten. Ich weiß nicht, was er genau gesagt hat und wie er es gemeint hat, aber eine Planwirtschaft ist nichts anderes als vorausschauende Politik. Planen bedeutet, nicht nur bis zum Ende der Gemeinderatsperiode zu denken, sondern weit darüber hinaus. Das ist eine Vorgehensweise, die wir in unseren Ressorts immer nutzen.

Die Wohn- und Preispolitik kann man dem Markt nicht alleine überlassen. Deswegen braucht es kommunale und gemeinnützige Wohnungen, sowie keine Privatisierung von diesem Wohnraum. Wichtig ist ein Mietrechtsgesetz, das seinen Namen verdient, und zwar in Form einer Preisbremse. Die Leerstandsabgabe und diese ganze Debatte zeigt nur auf, wie viel Leerstand da ist, löst aber das Wohnungsproblem nicht. Deswegen braucht es bei Gütern des täglichen Lebens und auch bei Wohnungen klare Preisobergrenzen. Der freie Markt alleine schafft das nicht.

Annenpost: Den Blick von unten haben Sie bereits angesprochen. Jetzt haben Sie die Stadt als Bürgermeisterin von ganz oben sehen können. Was ist Ihnen aufgefallen? Was nervt Sie am meisten?

Kahr: Es gibt für mich kein oben. Auch wenn ich im Rathaus sitze, kann ich meinen Politikstil so gestalten, dass er niemals von oben ist. Ich begegne Menschen prinzipiell immer auf Augenhöhe, egal ob das ein:e Geschäftsführer:in, ein:e Sozialarbeiter:in, ein:e Pensionist:in oder jemand ist, der gerade aus der Haft kommt. Ich behandle die Leute gleich, da ist für mich kein Unterschied.

Ich sehe mich nicht als klassische Politikerin, das möchte ich gar nicht sein. Ich habe aber natürlich Respekt vor meiner Aufgabe, dass ich die Gesamtverantwortung für die Stadt zu tragen habe.

Annenpost: Volkshaus oder Rathaus?

Kahr: Gefühlsmäßig eindeutig Volkshaus. Unsere politischen Mitbewerber:innen sagen aber auch immer: “Die Frau Bürgermeisterin macht das Rathaus zum Volkshaus”, und genau das ist auch das Ziel. Das Rathaus gehört allen Grazer:innen. Deswegen ist es ein Volkshaus und wir versuchen, das genau so zu leben. Es kann jede:r zu uns kommen und das soll auch jede:r wissen.

Annenpost: Wie viel Zeit verbringen Sie noch im Volkshaus?

Kahr: Ich bin fast jeden Tag dort, oft spät in der Nacht und treffe mich mit meinen Kolleg:innen. Im Rathaus hat Parteipolitik nichts verloren, das ist logisch. Aber ich bin auch Obfrau meiner Partei und deshalb ist es wichtig, dass ich für sie da bin. Ich habe immer noch Sprechstunden im Volkshaus, meistens samstags und sonntags.

Annenpost: Sie sind in 8020 aufgewachsen.

Kahr: Ich wohne auch immer noch in Gries. Ich liebe den Bezirk, einfach weil er mir vertraut ist, seitdem ich ein Kind bin und ich möchte da niemals wegziehen.

Eine Kollegin betritt das Büro. Sie legt der Bürgermeisterin mehrere Zettel auf den Tisch, die unterschrieben werden müssen.

Kahr: Das mache ich gleich, wenn das Gespräch fertig ist.

Annenpost: Was sind Ihrer Erfahrung nach die großen Anliegen der Viertelbewohner:innen?

Kahr: In Wirklichkeit sind die Wünsche in jedem Bezirk gleich, nur fehlen in manchen Bezirken die notwendigen Ressourcen. Die Menschen leben oft privat in prekären Verhältnissen. Das trifft auch auf viele Bewohner:innen in Gries zu. Das war in der Vergangenheit, als ich ein Kind war, genauso.

Der Bezirk hat einen riesigen Schatz. Allein wenn man sich die Gebiete um den Mühlgang ansieht, die Innenhöfe, die Gewerbe und die Betriebe. Auf diese Orte müssen wir gut aufpassen. Ich hoffe auch sehr, dass wir das ganze Areal rund um die Rösselmühle erhalten können. Wir müssen genau hinschauen, dass da keine Hochgentrifizierung passiert, denn dann würden uns viele Bereiche verloren gehen, die schützenswert sind.

Es braucht Orte, wo man eine Subkultur leben darf, die nicht immer mit Konsum verbunden ist. Viele Jugendliche kommen an einen Punkt, an dem sie sagen, dass die Gesellschaft nichts Gutes für sie bereithalte und dass sie dort keinen Platz finden. Viele von ihnen erfahren Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft und dadurch wird alles noch schwerer. Genau um diese Leute muss man sich ganz besonders bemühen.

Annenpost: Die Sicherheit im Volksgarten ist ein großes Thema. Die ÖVP hat sich für Schutzzonen ausgesprochen. Wieso können Sie damit nichts anfangen?

Kahr: Weil es das eigentliche Problem nicht lösen wird. Es ist richtig, dass Jugendliche dort Drogen verkaufen. Aber das hat auch Gründe. Viele machen es als notwendigen Zuverdienst, es ist also Armutskriminalität. Deshalb ist es wichtig, auf die Ursachen einzugehen. Warum machen sie das und wie kann man es ändern oder mit ihnen ins Gespräch kommen?

Rechtlich gesehen bewegen wir uns da ganz klar im Aufgabenbereich der Polizei. Diese rät selbst von den Schutzzonen als dauerhafte Lösung ab, wenn es nicht begleitende Maßnahmen gibt. Ich bin froh, dass wir jetzt die Ordnungswache haben, die als Ansprechperson dient und den Parkbesucher:innen Sicherheit gibt. Außerdem ist in meinem Auftrag jeden Mittwoch das Friedensbüro im Volksgarten. Was es braucht, ist soziale Kontrolle und Kompetenz. Eine Schutzzone wäre nur eine kurzfristige Notlösung.

Ein Kollege öffnet die Tür und weist Elke Kahr gestresst darauf hin, dass sie sich auf den nächsten Termin vorbereiten muss. Dabei gibt er ihr einen Zettel mit Informationen zum bevorstehenden Empfang. Die wichtigsten sind bereits markiert.

Kahr: Ich muss mich jetzt wirklich beeilen, weil ich in ein paar Minuten jemanden empfangen muss.

Annenpost: Wir haben nur noch zwei Fragen: Fast die Hälfte der Bewohner:innen in Gries und Lend darf bei den bevorstehenden Nationalratswahlen nicht wählen. Wie stehen Sie persönlich dazu?

Kahr: Ich bin definitiv dafür, dass jeder Mensch, der einen Daueraufenthalt hat, bei uns auch wählen soll. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund ist sehr groß. Manche haben die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. Andere sind seit 30 Jahren hier und haben sie noch nicht, weil es schwer ist, sie zu bekommen. Wenn Menschen gesundheitlich nicht in der Lage sind oder wenn sie im Herkunftsland nie die Möglichkeit hatten, eine Ausbildung zu machen, dann kann man keinen Deutschkurs verlangen, den nicht einmal ein Drittel der Staatsbürger:innen bestehen würde.

Es würde viele Konflikte bei uns lösen, wenn diese Menschen wählen dürften, weil sie ein wichtiger Teil von Graz sind. Natürlich haben sie eine Heimat, die sie niemals vergessen sollen. Aber sie sind Grazer:innen und Österreicher:innen, weil sie hier leben und einen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung leisten.

Annenpost: Wie beobachten Sie den internationalen Rechtsruck und was können Sie im Kleinen in Graz dagegen tun?

Kahr: Weiter so arbeiten, wie wir es tun. Wir müssen eine ehrliche Alternative bieten, bei der die Arbeit für die Menschen im Zentrum steht. Wenn ich abgehoben agiere oder nur von Dingen rede, bei denen die Leute nicht mitkommen, werden sie sich abwenden. Das ist in den letzten Jahrzehnten bei vielen Parteien passiert und der Hauptgrund, warum rechte Parteien dazu gewinnen. Weil viele meilenweit weg sind von den realen Verhältnissen der Leute. Die FPÖ ist das genauso, aber sie versteht es besser, die Sorgen und Probleme der Menschen zu benennen. Diese zu lösen wird sie aber nicht schaffen, da sie es nur durch Ausgrenzung macht.

 

Titelbild: Bürgermeisterin Elke Kahr in ihrem Büro. -Foto: Julia Schuhmacher

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