Critical Mass: Mit leuchtendem Beispiel voranradeln

Lesezeit: 3 Minuten

Zum 106. Mal ging am letzten November-Freitag die „Critical Mass“ über die Bühne. Und hat einmal mehr gezeigt, wie politisch Radfahren in der Stadt sein kann. Weihnachtlich-feierlich war´s auch.

Hell scheint die Weihnachtsbeleuchtung rund um die Glühweinstände am Grazer Südtirolerplatz. Um 16.30 Uhr stehen dort zwar auch schon viele Fahrräder herum, von der Critical Mass ist aber noch nichts zu sehen. Erst eine gute Viertelstunde später rollen die ersten Räder auf den Platz. Passend zum November-Thema „Light it up“ kommen Dominik, Lukas und Michael (Titelbild) mit einem selbstgebauten Lastenrad inklusive LED-Beleuchtung und elektronischer Musik aus einer eingebauten Musikbox. „Wir sind zum ersten Mal dabei, aber ich persönlich kenne die Critical Mass schon länger“, sagt Michael. Mit dabei hat der Maschinenbau-Student an der TU Graz auch eine Umfrage rund um die Nutzung von Fahr- und Lastenräder für eine Studienarbeit, passend also zum heutigen Publikum. Vor der Abfahrt versucht Michael noch so viele Leute wie möglich dazu zu bringen seinen Zettel auszufüllen. Die drei Studenten sind die einzigen, die am Ende des Tages ihren Namen verraten, die anderen Radler bleiben lieber unerkannt, was ja auch irgendwie zur Grundidee von Critical Mass passt.

Was ist die Critical Mass?
Die Critical Mass Bewegung gibt es weltweit seit über 25 Jahren. Zum ersten Mal wurde in San Francisco gemeinsam geradelt, um auf Radlerrechte aufmerksam zu machen und die Straße von den Autos zurückzugewinnen, das war am 25. September 1992. Seither finden die öffentlichkeitswirksamen Ausfahrten in immer mehr Städten Beachtung und sind in Österreich in sieben Städten präsent. In Graz treffen sich die TeilnehmerInnen immer am letzten Freitag des Monats „zufällig“ am Südtirolerplatz zum gemeinsamen Fahrradfahren. Auf ihrer Facebookseite ist die Bewegung ständig aktiv und diskutiert Änderungen in der Verkehrspolitik.
Das selbstgebaute Fahrrad von zwei Critical Mass Demonstranten.
Die Route ist ungewiss, das Ziel mehr Platz für Fahrräder zu schaffen nicht – Foto: David Marousek

„Bitte nicht das Gesicht fotografieren“

Neben den Studenten schmückt eine junge Dame ihr Fahrrad mit Weihnachtsketten. Fotos sind kein Problem, solange niemand erkannt wird, meint sie. „Heute ist wenig los, im Sommer 2016 waren schon mal 250 Leute hier“, erklärt die etwas gestresste Frau. Das „Problem“ der Critical Mass ist schnell erklärt: Es ist keine angemeldete Veranstaltung, sondern ein „zufälliges“ Miteinander-Fahren. Somit können auch keine Veranstalter belangt werden, da es offiziell keine gibt. An diesem Tag kommt es zu keinen größeren Problemen. Die Polizei spaziert zwar vorbei, alles läuft aber friedlich ab. In der Vergangenheit stießen die kritische Masse und die Ordnungshüter schon mal zusammen. Konfliktpotenzial mit dem seit 1. Oktober in Kraft getretenen Verhüllungsverbot ist ausnahmsweise keines gegeben. Die Radlobby fragte bereits im Oktober nach und laut Auskunft des Leiters für Bürgerinformation, Peter Jedelsky, falle „Radfahren im Zweifel unter die Ausnahmebestimmung der sportlichen Betätigung“.

Wir fahrn mit unsrer Laterne, das Abgas wabert grau. Da oben leuchten die Sterne und unten stehet der Stau!Critical Mass Graz

„Müssen ein Zeichen setzen“

Auch die anderen „Demonstranten“ sind überraschend offen. „Ich liebe das Radfahren, es gehört aber endlich mehr dafür getan“, erklärt eine andere Dame ihre Teilnahme. Ihr Fahrrad ist besonders schön dekoriert. Ihren Korb am Heck des Drahtesels ziert ein kleiner, geschmückter Weihnachtsbaum, darunter die Tafel „Feinstaubfrei“. Hinter ihr warten zwei Jungs auf den Start, sie haben sich ein Doppelrad gebaut: „Wir haben keine Ahnung, wie die Route sein wird.“ Die Beiden erhoffen sich durch das gemeinsame Fahren mehr Sicherheit im Straßenverkehr: „Es ist einfach cool nebeneinander zu fahren und sich keine Sorgen um Autos machen zu müssen.”

Es ist einfach cool nebeneinander zu fahren und sich keine Sorgen um Autos machen zu müssen. Doppelradfahrer

Kurz nach 17.00 Uhr geht es dann auch los. Von der letzten Reihe bis in die vorderste schrillen die Fahrradklingeln und geben das Zeichen zum Start. Vom Südtirolerplatz aus schiebt sich der Pulk vor die haltende Straßenbahn und radelt mit voller Beleuchtung Richtung Annenstraße. Selbst der Fahrer der passierenden, mit Weihnachtsbeleuchtung geschmückten, Straßenbahn sieht sich das Spektakel an. Das Ziel ist nicht zufällig gewählt, immerhin gelten die Annenstraße und der Lendplatz laut einem Bericht der Kleinen Zeitung als besonders gefährlich. Die Route führt dieses Mal zum Hauptbahnhof, weiter über den Gries- sowie den Dietrichsteinplatz und endet im Stadtpark. So schnell wie die „kritische Masse“ aufgetaucht ist, so schnell ist sie im abendlichen Graz auch wieder verschwunden.

Zwei Tage danach gingen die Wogen jedoch wieder hoch. Anlass war ein Antrag laut dem die Volkspartei tagsüber ein Fahrradverbot für die Schmiedgasse forderte. „Ähm… welches Jahrhundert haben wir eigentlich?“, kommentierte die Critical Mass Facebookseite den Antrag. Die Route für die nächste spontane, gemeinsame Radtour der Critical Mass scheint damit vorgezeichnet.

Interessiert sich für Fußball, Fotografie und Computerspiele, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Klassenopa und stolz drauf.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

vier × zwei =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Von fliegenden Autos und Einhörnern

Nächste Geschichte

Hetero-Hochburg Österreich zu Fall gebracht

Letzter Post in VIERTEL(ER)LEBEN