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Ed. Hauswirth: „Wir sind alle im rasenden Stand-by”

in KULTUR von

Mitte März wurde der Kulturbranche im Zuge der Corona-Krise eine Zwangspause verordnet. Seither befindet sich auch das Theater im Bahnhof (TiB) im Notbetrieb. Ed. Hauswirth, künstlerischer Leiter des TiB, spricht im Interview über Versäumnisse in der Kulturpolitik, die Systemrelevanz von Kunst und die Tücken der „neuen Normalität“.

Annenpost: Österreich befindet sich im Ausnahmezustand. Auch die Kunst- und Kulturszene bleibt von den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht verschont. Wie geht das Theater im Bahnhof mit dieser Situation um?

Ed. Hauswirth: Wir können nicht auftreten, wir können nicht proben. Alle 15 angestellten Künstlerinnen und Künstler sind jetzt in Kurzarbeit. Dadurch haben wir die Kraft, noch eine Zeit lang weiterzumachen – aber nicht mehr ewig. Wir haben außerdem unser Talkshow-Format ZU GAST in Form einer Videokonferenz ins Netz verlegt. Zusätzlich veröffentlichen wir regelmäßig Mitschnitte früherer Produktionen auf vimeo. Diese Videos entsprechen klarerweise keiner Form der Aufführung. Das Ziel ist nicht, eine Alternative zum Theater zu finden. Es ist eine Zeit der minimalen Gesten. Wir versuchen, den Kontakt zu unserem Publikum zu halten, aber wirklich arbeiten können wir natürlich nicht. Wir sind alle im rasenden Stand-by.

Während Handel, Tourismus und Gastronomie langsam wieder Fahrt aufnehmen, scheint es für die Kunst- und Kulturbranche nur schleppend voranzugehen. Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

In den Pressekonferenzen am 15. Mai fiel sehr oft das Wort „bemühen“. Das steht symbolisch dafür, dass Politik und Verwaltung sich in den letzten Jahrzehnten sehr mit Optimierung, Quantifizierung und Evaluierung beschäftigt haben, anstatt sich eine weitere Sachkenntnis über den Sektor anzueignen. Wünschenswert wäre, dass Politik, Verwaltung und Interessengemeinschaften gemeinsam an einem Strang ziehen, um das Bestmögliche für die Kunst herauszuholen. Jetzt wurde mit Andrea Mayer eine Frau mit jahrelanger Erfahrung im Bereich als Staatssekretärin für Kunst und Kultur angelobt. Das ist sehr begrüßenswert.

War der Rücktritt von Ulrike Lunacek ein unumgänglicher Schritt?

Der Rücktritt der Staatssekretärin war eine Geste mit Charakter, die man sich von anderen Regierungsmitgliedern auch wünschen würde. Aber da sind Dinge dann oft „nicht planbar“ und bedürfen nicht einmal einer Entschuldigung.

Am 15. Mai wurden die Pläne für die stufenweise Öffnung des Kunst- und Kulturbetriebs vorgestellt. Mit welchem Gefühl blicken Sie den angekündigten Lockerungen entgegen?

Wir sind gespannt. In den neuen Verordnungen sollte eine solide Strategie erkennbar sein. Es geht in naher Zukunft darum, eine längere Phase mit reduziertem Betrieb zu überstehen. Wir wollen den Kunstbetrieb nicht simulieren, sondern realistisch führen. Es wird viel Arbeit sein, die sogenannte „neue Normalität“ in der Kunst sinnvoll stattfinden zu lassen.

Was bedeutet das konkret für das Theater im Bahnhof?

Das TiB wird bis Ende Juni 40 Aufführungen absagen müssen. Das spüren wir ganz schön. Wir bereiten uns auf die Mitte des Sommers und den Herbst vor, um dann wieder voll präsent zu sein. Wertvolle Zeit ist verstrichen, doch das Bemühen vieler im Feld ist da. Wir sind optimistisch.

Nie wieder Arbeit - Motto der Spielzeit 19/20 am Theater im Bahnhof - Foto von Ed. Hauswirth
„Nie wieder Arbeit“ lautete das Motto der Spielzeit 2019/20 am TiB ursprünglich. – Foto: Ed. Hauswirth

Ist Kunst systemrelevant?

Da ist die Frage, was man als System bezeichnet. Wenn das System nur durch ökonomische Vorgänge bezeichnet ist, dann sind wir vielleicht nicht wirklich systemrelevant. Aber wenn man einen humanistischen oder kulturanthropologischen Blick auf eine Gesellschaft wirft, dann sind wir sehr systemrelevant. Die Kunst ist in vielen Bereichen inzwischen gezwungen, ein prekäres Leben zu führen. Sie braucht das Bekenntnis des Staates, insbesondere wenn er ihr Stattfinden einschränkt. Hier geht es nicht um gnädige Hilfe, sondern um verantwortungsvollen Ersatz für entgangene Arbeitsmöglichkeiten. Ein Rettungsschirm für alle im Sektor, die aufgrund ihrer reinen Freiberuflichkeit etwa die Kurzarbeit nicht in Anspruch nehmen konnten, wäre dringend nötig. Es ist auch nicht absurd, über ein Grundeinkommen nachzudenken.

Warum brauchen wir Kunst?

Die Kunst ist ein offener Denkraum, den jede Gesellschaft braucht. Ein Denkraum, der gesellschaftliche Bereiche öffnet, die sonst vielleicht nicht miteinander in Berührung kommen. Der Diskurse anstoßen kann und Dinge hervorbringt, die wir nicht erwarten. Es muss nicht sein, dass die Kunst das leistet. Aber sehr oft tut sie das. Scheinbar wie ein Nebeneffekt. Und das ist gut.

In Ihren Theaterstücken greifen Sie oft aktuelle Themen auf und halten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Denken Sie auch über ein Stück bezüglich der Corona-Zeit nach?

Wir machen das nicht in diesem Sinne. Das Corona-Stück wird es nicht geben. Corona wird sowieso in allen Stücken mitspielen. Natürlich können wir die Realität nicht vermeiden. Gemeinsam mit Workinglifebalance ist zum Beispiel ein Stück geplant, in dem es um die Einsamkeit in Städten geht. Da hätten viele alte Menschen dabei sein sollen, was jetzt natürlich nicht möglich ist. Sie werden stattdessen als Stimmen aus dem Hintergrund vorkommen. Das alles entsteht automatisch. Die Corona-Ästhetik wird sich unwillkürlich abbilden.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Können Sie zwischen all den negativen Folgen irgendeinen positiven Nebeneffekt der Corona-Krise erkennen?

Durch Videokonferenzen haben wir gelernt, uns aussprechen zu lassen und uns hin und wieder auch mal stumm zu schalten. Positiv ist auch, wie schnell die Leute gelernt haben, mit der digitalen Realität, die sie sonst oft verweigert haben, umzugehen. Aber vor allem hat unsere Gesellschaft versucht, Solidarität zu entwickeln. Jetzt hängt es von der Genauigkeit der Politik ab, ob wir diesen Geist weiterhin mitnehmen können.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hauswirth!

Gut zu wissen
Die nächste Ausgabe der Online-Talkshow ZU GAST VIA VIDEOKONFERENZ findet am 28. Mai um 20 Uhr statt. Nähere Informationen finden Sie hier.
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