Eine Sonderpädagogin hilft zwei Kindern beim Erledigen von Hausübungen.

Sonderschulen: Wird in der Steiermark künftig aussortiert statt inkludiert?

Lesezeit: 3 Minuten

Die blau-schwarze Landesregierung bekennt sich zum Erhalt von Sonderschulen, obwohl das im Widerspruch mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht. Warum dadurch der Inklusionsgedanke der Gesellschaft bedroht wird, erklärt Sandra Schimmler von Jugend am Werk und ein Insider.

Inklusion: Ein Begriff, dem man ständig begegnet. Dabei definiert Inklusion die Gleichstellung und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen. Auch im Bildungssektor wird häufig darüber diskutiert. Schule soll, laut der UN-Konvention, für jedes Kind die gleichen Voraussetzungen und Chancen zur Verfügung stellen. Aktuell sieht die Situation noch anders aus. Die steirische Landesregierung bekennt sich zum Erhalt von Sonderschulen und fängt dadurch Kritik vom Österreichischen Behindertenrat ein. Damit ignoriert sie nämlich die Anforderungen der UN-Konvention. Diese verfolgt das Ziel, Sonderschulen mit inklusiven Schulsystemen zu ersetzen. 

Kinder, die ein Sonderschulzeugnis vorlegen, haben nach wie vor geringe Chancen auf eine weiterführende Schulausbildung und werden in der Arbeitswelt weiterhin ausgesondert. Doch wie sieht die Realität für Menschen aus der Branche aus?

Schule neu erfinden

„Ein Bekenntnis zur Sonderschule im klassischen Sinn braucht es meiner Meinung nach nicht. Wir müssen ein anderes System aufstellen“, appelliert eine Insiderquelle, die aufgrund der Sensibilität des Themas anonym bleiben möchte. Laut ihr müsse man die jetzigen Rahmenbedingungen ändern. „Es wäre mir lieber, wenn man sich dazu bekennen würde, Schulen zu bauen, in denen man möglichst viele Kinder integrieren kann.” 

Hilfsorganisationen, wie Jugend am Werk am Lendplatz, spezialisieren sich unter anderem auf das Arbeiten mit Menschen mit Behinderungen und setzen dabei einen Fokus auf Inklusion. Geschäftsführerin Sandra Schimmler weiß genau, was für Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf notwendig ist: Es brauche geringe Gruppengrößen, entsprechende Raumgrößen, barrierefreie Sanitäranlagen und eine Begleitung für Kinder und Jugendliche, die in die Schule gehen. „Pädagog:innen tragen den inklusiven Gedanken mit sich. Wenn zu viele Kinder mit unterschiedlichen Behinderung und Bedürfnissen in einer Klasse sind, ist das System überfordert”, erklärt Schimmler. Vor allem standardisierte Klassengrößen werden als veraltet und kritisch eingeschätzt. Dem Lehrpersonal ist es nicht möglich, allen Kindern dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken. „Die Gruppengrößen sind ein Irrsinn. Eine gute Integration oder Inklusion mit 30 Kindern auf einmal zu machen, ist völlig absurd. In den Sonderschulen sind die Gruppen daher kleiner. Die Klassen bestehen aus maximal zehn Kindern“, so die Insiderquelle. 

Ein Mangel nach dem Anderen 

Die kleineren Klassengrößen der Sonderschulen erweisen sich als vorteilhaft für die individuelle Bildung der Kinder. „Man kann differenzierter und gezielter arbeiten. Dadurch sind die Fördermöglichkeiten der Kinder größer”, so die Insiderquelle. Ob Regelschulen oder Inklusionsschulen: eine Anpassung der Gruppengrößen wäre auch hier angemessen, um Platz für Inklusion im Klassenraum zu schaffen. 

Wenngleich Sonderschulen in diesem Punkt positiv abschneiden, darf nicht vergessen werden, dass diese auch mit Abgrenzungen einhergehen. Schließlich möchte man Menschen in der Gesellschaft einen Platz geben und sie am Diskurs teilnehmen lassen. Durch eine frühe Separation durch das Schulsystem bleibt die Teilnahme jedoch beschränkt. 

Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung. „Wir erleben heute in den Regelschulen sehr viel Begrenztheit und das wirkt sich auf die Kinder aus. Wir brauchen ein geschultes Unterstützungssystem und Therapiemöglichkeiten vor Ort“, erklärt auch die Insiderquelle. Des Weiteren fehlt es laut ihr an sonderpädagogischen Kompetenzen des Lehrpersonals. „Man muss lernen, wie man mit einem autistischen Kind oder einem Kind mit Down-Syndrom umgeht. Sie brauchen spezielle Lernwege und didaktische Möglichkeiten.” Zusätzlich bezieht sich die Quelle hierbei auf Kinder, die als schwerstbehindert eingestuft werden. 

Aber auch der Personalmangel bereitet weitere Probleme. „Es gibt genug Klassen, in denen kein ausgebildetes sonderpädagogisches Lehrpersonal unterrichtet. Teilweise werden Quereinsteiger:innen für diese Aufgabe herangezogen.“

Portrait von Sandra Schimmler, Teil der Geschäftsführung von Jugend am Werk.
Sandra Schimmler ist seit 2023 Teil der Geschäftsführung der Hilfsorganisation Jugend am Werk – Foto: Jugend am Werk Steiermark/KoCo

Gesellschaftliches Umdenken

Regelschulen, Inklusionsschulen und Sonderschulen: Wohin soll die Reise gehen? „Ich bin mir sicher, dass man Schulen bauen könnte, die allen gerecht werden kann. Leider haben wir das bisher nicht geschafft”, so die Insiderquelle. Das Problem seien auch die gesellschaftlichen Werte und Ideologien. „Die Schule soll inklusiv sein und inklusiv arbeiten, aber die Gesellschaft ist alles andere als inklusiv. Wenn ich keine inklusive Gesellschaft habe, wie soll die Schule das dann schaffen?“

Ein wichtiger Punkt sei auch, nicht zu versuchen, Kinder den Normen anzupassen. „Man muss sich vielmehr darauf fokussieren, mit den Eigenheiten, sowohl psychisch als auch physisch, umzugehen”, erklärt die Insiderquelle. Inklusionsschulen sind darauf ausgelegt, genau das zu vermeiden, dennoch bedarf es weiterer Verbesserungen.

Dabei würden Kinder in einem inklusiven Setting voneinander lernen und profitieren. Schimmler von Jugend am Werk begründet das folgendermaßen: „Das gemeinsame Lernen unterstützt die intellektuelle und soziale Entwicklung für Kinder mit und ohne Behinderungen. Es gibt keine Ausgrenzung. Die Kinder lernen und leben miteinander.” 

„Eine Frage der Haltung”

Derzeit gibt es kaum Schuleinrichtungen, in denen alle Kinder einen Platz finden können. Dabei ist laut Schimmler die individuelle Einstellung der Menschen ausschlaggebend: „Es ist eine Frage der Haltung. Möchte man eine Art Insellösung haben oder, dass alle teilhaben können? Natürlich gibt es Herausforderungen, aber die gibt es in allen Bereichen.” Die aktuelle Regierung scheint in ihrer Haltung von einer inklusiven Angehensweise abzuweichen. Die Insiderquelle ist sich sicher: „Wir gehen in die völlig falsche Richtung.”

Titelbild: Sonderpädagog:innen sind nach wie vor essentiell für das Bildungssystem – Foto: Jugend am Werk Steiermark/KoCo

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