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„Haben Sie kurz Zeit?“ – FundraiserInnen im Gespräch

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Viele Menschen reagieren negativ, wenn FundraiserInnen sie ansprechen und fühlen sich durch die Bitte um eine Spende bedrängt. Doch wie sieht es auf der anderen Seite aus? Die Annenpost hat mit drei ehemaligen Spendenkeilerinnen über ihren Job gesprochen.

Wie in ganz Graz gibt es auch im Annenviertel  einige Orte, an denen man – vor allem in den wärmeren Jahreszeiten – verstärkt auf FundraiserInnen trifft. Das sind vorwiegend der Hauptbahnhof, der Südtirolerplatz und die Annenstraße beim Roseggerhaus. Dort sprechen junge Männer und Frauen täglich Passanten an und bitten um Spenden für verschiedene Organisationen. Die Reaktionen der Menschen darauf sind oft nicht nur positiv. Viele der Angesprochenen fühlen sich bedrängt oder belästigt und reagieren sehr unfreundlich.

Die 20-jährige Viktoria* konnte das persönlich erfahren, als sie vor einigen Jahren in den Ferien als Fundraiserin für Greenpeace gearbeitet hat. „Ich habe mich mit zwei anderen Freunden beworben, weil eine Freundin die Anzeige im Internet gesehen hat. Ich habe eine Mail hingeschrieben und wurde dann angerufen. Am Telefon wurde ich gefragt, wieso ich den Job gerne machen würde. Dann habe ich mich mit einer Frau, die dort gearbeitet hat, getroffen und sie hat mir erzählt, wie es so ist. Danach wurden wir alle sofort genommen”, sagt sie. Der Bewerbungsprozess lief auch bei Sarah*, die heute 19 Jahre alt ist und im Sommer vor einem Jahr  für Greenpeace gearbeitet hat, gleich ab.

Ein Ort im Grazer Annenviertel, an dem man viele SpendenkeilerInnen trifft – der Hauptbahnhof. – Foto: Anna Dunst

Wenig gute Erfahrungen

Sarah und Viktoria berichten beide von überwiegend negativen Erfahrungen mit Menschen, die sie auf der Straße anwerben wollten. “Es waren ein paar interessante Gespräche dabei, aber 90% haben sehr negativ auf mich reagiert. Es war zwar nicht so, dass ich beleidigt wurde, aber ständig musste ich ‘Sicher nicht’ und ‘Scheiß Greenpeace’ hören und das hat mir damals – als ich 16,17 war – sehr zugesetzt”, berichtet Viktoria. “Ich bin ein paar Mal hinters Haus gegangen, um zu weinen.”

Auch für Sarah hatten viele Passanten, die sie angesprochen hat, nur harte Worte übrig: „Ich hatte vielleicht zwei oder drei positive Rückmeldungen von hundert. Einmal habe ich am Bahnhof geworben und ein Mann, den ich angesprochen habe, hat mir unterstellt, dass ich eine privilegierte Studentin bin, die das wochenends macht und keine Ahnung vom Leben hat. Dabei ist das ziemlich anstrengend und setzt einem auch psychisch ziemlich zu.” Das bestätigt wiederum auch Viktoria. Sie erzählt, dass sie jedoch Glück gehabt hätte, weil sie ihr Pensum von zwei bis drei Spendern pro Tag meistens erreicht hat. Einige ihrer Kollegen wurden jedoch entlassen, weil sie zu wenige Spenden gesammelt hatten. Sowohl Sarah als auch Viktoria erzählen, dass ihre Vorgesetzten bei fallender Sammelquote an ihre jeweiligen Standorte kamen, um sie im Auge zu behalten. „Wir wurden inkognito beobachtet, weil unser Vorgesetzter den Verdacht hatte, dass wir uns nur amüsieren”, erzählt Sarah. Auf Nachfrage der Annenpost, wieso die Vorgesetzten die SpendensammlerInnen an Ihrem Arbeitsplatz beobachteten, schrieb Greenpeace, dass “unangekündigte Besuche von Vorgesetzten” zu den praxisüblichen Methoden der Qualitätssicherung zählten.

Immer im Kontakt

Bessere Erfahrungen hat die 19-jährige Amelie* mit ihrem Sommerjob als Spendensammlerin für die Roten Nasen gemacht. Einmal, sagt sie, hätte sie eine ältere Frau anwerben wollen, die plötzlich in Tränen ausgebrochen sei. Amelie fragte die Frau sofort, was los sei. Daraufhin erzählte die Frau ihr die Geschichte ihres Ehemannes. Er hatte einen schweren Schlaganfall erlitten und war wochenlang in schlechtem Zustand im Krankenhaus gelegen. Die Frau erzählte Amelie, dass sie ihren Mann nie gut gelaunt oder gar lachend erlebt hätte, bis die Roten Nasen ihre Show vorführten. Zum ersten Mal in Wochen musste er herzhaft lachen. “Sie erzählte mir, dass dies eine Art Schlüsselmoment in seiner Genesung war. Außerdem war es einer der schönsten Momente für sie in dieser schweren Zeit. Ich hatte noch nie selbst mit den Clowndoctors zu tun und habe auch noch nie eine ihrer Shows gesehen, weswegen ich zu ihnen eher weniger Bezug hatte. Aber bei diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie wichtig ihre Arbeit für viele Menschen ist”, erzählt Amelie.  Auch mit Druck von Vorgesetzten hatte sie nie zu kämpfen. Sie hatte mit der Organisation Rote Nasen selbst jedoch keinen Kontakt, die Fundraisingaktivitäten wurden von einer anderen Firma abgewickelt.

Kein Job, den man nochmal macht

Die Non-Profit-Organisation Greenpeace ist ein Gründungsmitglied der Qualitätsinitiative Fördererwerbung Österreich des Fundraising Verband Austria (FVA). Der FVA und die Qualitätsinitiative im Speziellen stellen sicher, dass die Gewinnung neuer Mitglieder und Förderer stets verbessert wird. Zu diesem Zweck wurden qualitative Standards erstellt, an die sich die Mitglieder halten müssen. Diese umfassen unter anderem: Transparenz, Respekt und Höflichkeit, laufende Qualitätssicherungen sowie eine eindeutig ersichtliche Zuordnung der FundraiserInnen zu einer Organisation.

Zu den Methoden des Spendensammelns sagt Sarah jedoch: „Unsere Vorgesetzten bei Greenpeace haben uns viele psychologische Tricks beigebracht, die sehr manipulativ waren. Wenn wir zum Beispiel einen Raucher angesprochen haben, sollten wir ihm ein schlechtes Gewissen aufgrund des Rauchens einreden. Ich habe das nicht gemacht. Ich finde das den  Menschen gegenüber unwürdig.” Greenpeace selbst distanziert sich auf Anfrage von solchen Methoden und verweist in einem Statement auf die Qualitätsinitiative. „Die darin enthaltenen Qualitätsstandards sind für alle Mitglieder bindend und beinhalten sowohl einen Verhaltenskodex für Fundraiserinnen und Fundraiser als auch Regeln für Qualitätssicherung, für die Benützung von Standorten, für Schulungen und für Beschwerdemanagement. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hier angehalten, sich an diese Vorgaben zu halten und ihrem Gegenüber naturgemäß freundlich und respektvoll zu begegnen“.

 

„Die psychologischen Tricks, mit denen wir arbeiten sollten, waren sehr manipulativ“. Symbolfoto: Anna Dunst

Auf die Frage, ob sie den Job noch einmal machen würde, lacht Viktoria. “Im Leben nicht. Ich glaube, davor würde ich alles  machen“. Sie fügt aber hinzu, dass sie jetzt wisse, wie man Spendensammler freundlich, aber wirksam abwimmeln könne. „Ich bin noch nicht 18” oder “Ich spende schon für eure Organisation” seien nette Wege, wenn man nicht spenden will. Auch Sarah würde sich nicht mehr bewerben. “Zuallererst aufgrund der Beleidigungen, außerdem ist es das nicht wert. Face-to-face-Fundraising ist heutzutage nicht mehr möglich. Menschen auf der Straße anzusprechen, funktioniert nicht mehr. Ich habe den Job angenommen, weil ich etwas Gutes tun wollte, aber ich hatte eher das Gefühl, dass ich die Menschen emotional von Greenpeace entfernt habe. Und die Beleidigungen, die negativen Reaktionen: Es staut sich auf. Man hält ein bisschen was aus, aber es gab einen Wendepunkt. Jeden Tag gab es ein paar Vorfälle. Am Anfang der dritten Woche hielt ich es kaum noch aus. Der Trick ist, alles abprallen zu lassen, aber das ist leichter gesagt als getan.” Amelie habe überlegt, sich erneut zu bewerben. Es fühlte sich aber dennoch komisch für sie an, “mit Spendengeldern” bezahlt zu werden. Deshalb würde sie den Job vermutlich nicht mehr machen, sagt sie.

Richtige Umgangsform

Amelie erklärt außerdem, wie sie SpendenkeilerInnen heute begegnet. „Ich werde daran erinnert, wie frustrierend es sein kann, wenn man sehr viele unfreundliche Begegnungen hat. Deswegen begegne ich ihnen immer freundlich. Wenn man definitiv nicht spenden will, sollte man es ihnen einfach klipp und klar sagen. Es ist ja auch für sie eine Zeitersparnis.” Ähnlich ist es bei Sarah und Viktoria. Sarah meint: „Ich denke zuerst, dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Ich bleibe aber jedes Mal stehen, spreche auch mit ihnen darüber, dass ich den Job selbst gemacht habe. Zum Schluss wünsche ich ihnen noch viel Glück, weil ich selbst weiß, wie hart es ist, diesen Job zu machen.”

 

*Name von der Redaktion geändert

Beim Beitragsbild handelt es sich um ein Symbolfoto.

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