Vizebürgermeisterin Elke Kahr tritt bei den Gemeinderatswahlen wieder als Spitzenkandidatin für die KPÖ an. Welche politischen Weichen will sie für das Annenviertel stellen?
Annenpost: Sie spenden bis auf 1.900 € Ihr gesamtes Einkommen. Angenommen ihr Auto geht heute irreparabel kaputt: Steigen Sie dann aufs Fahrrad um und sparen solange, bis sich ein neuer Wagen ausgeht? Oder spenden Sie dann entsprechend weniger?
Elke Kahr: (schüttelt sich vor Lachen) Nein! Ich müsste ansparen wie jeder andere. Mein Spendenvolumen würde ich deswegen nicht zurückschrauben. Und Radfahren hält immerhin fit.
8010 oder 8020?
Eindeutig 8020. Ich bin im Gries aufgewachsen und habe den Großteil meines Lebens dort verbracht.
Ihre Botschaft an die Wähler ist Ehrlichkeit und Transparenz. Reicht das im Wahlkampf?
Es ist jedenfalls unsere Hauptbotschaft. Das ist ein sehr wichtiger Punkt für mich persönlich. Ich könnte keine Politik machen, indem ich vor der Wahl etwas verspreche was ich nachher nicht einhalten kann. Gerade vor Wahlen wird sehr viel versprochen. Schöne Luftschlösser werden aufgebaut, aber nach ein paar Monaten liegen diese wieder in Trümmern. In diesem Punkt wage ich zu sagen, unterscheide ich mich von den anderen Parteien. Jeder und jede, die uns auch dieses Mal wieder wählen, werden nach der Wahl nichts anderes präsentiert bekommen, was wir versprochen haben. Darüber hinaus ist für die KPÖ das Thema Wohnen zentral.
Die KPÖ hat den Bau von weiteren Gemeindewohnungen initiiert. Sind das nicht zu wenige?
Zunächst hat die KPÖ in den letzten Jahren tausende Wohnungen saniert. Bevor die KPÖ das Resort übernommen hat, war jede vierte Gemeindewohnung Substandard, also ohne sanitäre Anlagen in der Wohnung. 2011 wurde unser umfassendes Sanierungsprogramm abgeschlossen und der Substandard gehört der Vergangenheit an. Nun kümmern wir uns vor allem um weitere thermische Sanierungen, um den Fernwärmeeinbau, um Lift- und Balkonanbauten, neue Leitungen und Energieeffizienz-Steigerungen durch Fassadenrenovierung. Neu gebaut sind 564 Wohnungen, welche bereits vergeben und bezogen sind. Weitere 550 sind auf Schiene.
Haben Sie sich jemals unsicher gefühlt, wenn sie im Annenviertel unterwegs waren?
Nein! Berufsbedingt bin ich viel draußen und komme auch spät am Abend durch den Augarten. Gefürchtet habe ich mich aber noch nie. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es vielen Menschen im Viertel anders geht. Es ist eine Veränderung vor sich gegangen, mit welcher sich manche schwer tun. Das kann ich auch nachvollziehen, weil sich jeder mit Gewohntem leichter tut als mit ständigem Wandel. Wenn sich in meiner Nachbarschaft alles verändert und ich in meinem Haus keine weitere österreichische Familie mehr vorfinde, fühle ich mich in meinem eignen Haus fremd. Hier setzt ja auch wortwörtlich Mario Eustacchio mit seiner „geschickten“ Kampagne an. Diese Familien aus den verschiedensten Herkunftsländern können ruhig längst Österreicher sein und freundlich sein, aber es braucht einfach eine gewisse Zeit, bis sich dieses „Fremdsein“ wieder wandelt. Ich habe einen anderen Zugang. Ich bin ein neugieriger Mensch, mir gefällt das. Darum habe ich auch keine Angst. Aber mir ist klar, dass ich das nicht von jedem erwarten kann.
Am 4. Jänner war Innenminister Sobotka auf „Besuch“ im Grazer Volksgarten, um sich ein Bild von der Polizeiarbeit betreffend der Drogenszene zu machen. Wundert Sie, dass Asylwerber Marihuana verkaufen, wenn sie nicht arbeiten dürfen?
Nein das wundert mich gar nicht. Bei so einem Besuch wird viel geredet und wenig getan. Es ist so einfach: Jeder junge Mensch, egal von wo er ist, braucht Arbeit, braucht Beschäftigung und vor allem eine Ausbildung. Um den Drogenhandel zu bekämpfen, hilft es nicht nur das Polizeiaufgebot in den betroffenen Bezirken zu verstärken oder für mehr Straßenbeleuchtung zu sorgen. Wir müssen in den politisch zuständigen Ressorts die Sozialarbeit erhöhen. Hier sehe ich verpflichtende, kostenlose Deutschkurse als integralen Bestandteil, um das Problem bei der Wurzel zu packen.
Stichwort Arbeit: Im Dezember 2016 waren 12,8 Prozent der Grazer, also 21.967 Personen, arbeitslos gemeldet – ein leichtes Plus im Vergleich zum Dezember des Vorjahres. Wie wollen Sie Jobs schaffen?
Strukturbedingte Dienstfreistellungen – wie das so schön heißt – auf Seiten der Stadt Graz müssen gestoppt werden. Wir müssen aktive Beschäftigungspolitik betreiben und zum Beispiel wieder mehr Lehrlinge aufnehmen. Die öffentliche Hand muss als zuverlässiger Arbeitgeber auftreten. Zudem muss die Zusammenarbeit mit gemeinnützige Einrichtungen, dem BMFI, dem AMS und der Stadt Graz enger werden, um neue Angebote zu schaffen.
Es gibt sehr viele Leerstände im Annenviertel. Wie sollten diese Ihrer Meinung nach genutzt werden?
Es sind viele Geschäfte leer, das ist ein Faktum. Von sich aus wird sich in der jetzigen Situation kaum jemand drüber trauen, in der Annenstraße oder in der Annenpassage ein Geschäft zu eröffnen. Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte hat vergessen die Nahversorger zu unterstützen und hat viele Einkaufszentren gebaut. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung, der wir wieder entgegen wirken müssen. Um das Problem der Leerstände wieder in den Griff zu bekommen, muss die Stadt Geld in die Hand nehmen in Form von Förderungen bei den Mietkosten, um die Standorte für junge Unternehmer und vor allem Start-Ups wieder attraktiver zu machen.
Bei der letzten Gemeinderatswahl wurde Ihre Partei mit 19,86 Prozent zur zweitstärksten gewählt. Was sind Ihre Wahlziele?
Das Ergebnis halten und zweitstärkste Kraft in Graz bleiben.
Haben Sie eine Message an unsere Leser?
Anpacken! Die Arbeit der Annenpost ist ein gutes Beispiel, wie man der aktuellen Unsicherheit der Menschen, bedingt durch Themen wie der Flüchtlingssituation, positiv begegnen kann. In der Nachbarschaft helfen, wo es nur geht. Tu Gutes und rede darüber.
Annenpost: Vielen, herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Kahr.
[infobox color=“#a3a3a3″ icon=“info“] In Graz stehen am 5. Februar Gemeinderatswahlen an. Die Annenpost hat die SpitzenkandidatInnen aller Parteien im Gemeinderat zum persönlichen Interview über ihre Pläne und Visionen für Graz 8020 gebeten. Vizebürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ Graz), Michael Ehmann (SPÖ Graz), Tina Wirnsberger (Die Grazer Grünen) und Philip Pacanda (Piratenpartei Graz) haben diese Einladung angenommen. Der amtierende Bürgermeister Siegfried Nagl (Grazer Volkspartei) und Mario Eustacchio (FPÖ Graz) wollten sich hingegen vertreten lassen oder Fragen nur schriftlich beantworten. Darauf haben wir uns nicht eingelassen. [/infobox]