Als Reaktion auf die Inhaftierung elf kurdischer HDP-Abgeordneter in der Türkei vergangenen Freitag rief die HDP Graz am Wochenende zur Solidaritätsdemonstration auf den Griesplatz.
„Hoch die internationale Solidarität!“, „Erdogan, Terrorist“ hallt es durch die Straßen von Graz. Demonstranten pfeifen, schreien und schwingen Fahnen. Besonders die Transparente und Plakate fallen sofort ins Auge: „Stoppt den türkischen Staatsterror in Kurdistan“, „Solidarität mit den inhaftierten Abgeordneten der HDP“ oder „Nieder mit dem faschistoiden Staatsterror durch den Diktator Erdogan“ steht darauf geschrieben.
Etwa 300 Menschen versammelten sich am Samstag, dem 5. November, laut Fritz Grundnig, Pressesprecher der Landespolizeidirektion Graz, am Griesplatz, um für rund zehn Millionen Kurden in der Türkei zu demonstrieren, für Presse- und Versammlungsfreiheit.
Junge Mädchen in Bomberjacken, Chokern und Skinny Jeans, ältere Damen mit Kopftuch, Mütter mit ihren Kindern, Männer verschiedener Altersgruppen warteten ab 16 Uhr am Griesplatz auf den Beginn der Veranstaltung. Verzerrt durch ein Megaphon dann laute Stimmen. Zuerst auf Türkisch, dann auf Deutsch fassten die Redner die Ereignisse der letzten Wochen und Monate in der Türkei noch einmal zusammen: Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. und 16. Juli hatte die türkische Regierung oppositionelle und linksgerichtete Medien geschlossen, tausende Soldaten, Richter, Polizisten und Lehrer entlassen oder festgenommen und denkt nun sogar über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach.
Die Demonstrationsteilnehmer lauschten erwartungsvoll, schließlich hoben sie ihre Hände, als Zeichen der Solidarität. “Wir können jetzt an der Lage in der Türkei nichts ändern, wir können sie nur unterstützen, dass auch sie dort ein gutes Leben führen können”, sagte Semra A., eine kurdische Studentin, die anonym bleiben möchte. Auch in anderen europäischen Städten wie Wien, Köln, Bremen oder Stuttgart fanden laut ORF ähnliche Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt, um die Öffentlichkeit auf die kritische Situation der Kurden in der Türkei aufmerksam zu machen.
Nach Reden im Namen der Vizebürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und SPÖ-Stadtrat Michael Ehmann, der VSSTÖ, SJ und der Grünen Studierenden führte der Protestmarsch um 16.30 Uhr vom Griesplatz über die Elisabethinergasse und die Annenstraße bis zum Schloßbergplatz, wo es eine Abschlusskundgebung gab. Laut dem Pressesprecher der Landespolizeidirektion Graz verlief die Demonstration friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. Auf der Facebook Seite der HDP Graz war die Demonstration live mitzuverfolgen. Veranstalter waren KSV/KJÖ, Junge Grüne Steiermark, Grüne Studierende, Grüne Akademie, Interventionistische Linke, Kurdische Gemeinde, VSStÖ, SJ Steiermark, SLP, der Funke und die KPÖ.
Kurz vor dem Schlossbergplatz ist es so laut, dass kaum noch ein Wort zu verstehen ist. Noch immer werden Fahnen und Plakate geschwungen. Mittlerweile ist es dunkel, ein Mädchen trägt eine auf einem Nordic Walking Stock befestigte Flagge und stimmt lautstark in die Solidaritäts-Rufe ein. Sie ist erst zwölf, in Österreich geboren und aufgewachsen. Trotzdem nimmt sie an der Demonstration teil. In der Schule, sagt sie, sei sie die einzige, die kein eigenes Land habe. Ihre kleine Cousine, sieben, läuft vor ihr her und versucht, die Situation in der Türkei – “die schlimmen Dinge, die der eine Mann gemacht hat” – zu beschreiben, ohne die Situation wirklich verstehen zu können. Beide seien keine wirklichen Österreicherinnen, wie die Ältere betont, auch keine Türkinnen, sondern Kurdinnen.
Laut Angaben des Leiters des Kurdischen Vereins Graz Emrah Alabay leben etwa 120.000 Kurden in Österreich, in Graz gibt es etwa 6000 Menschen aus der Türkei, davon seien etwa 90 Prozent Kurden, hinzu kommen etliche syrische Kurden, genaue Zahlen gibt es nach seinen Angaben jedoch nicht. Die Vorgehensweise von Präsident Erdogan, wie etwa das Verhängen einer Ausgangssperre, die Belagerung kurdischer Städte, die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Inhaftierung zahlreicher Medienschaffender bezeichnet er als diktatorisch.
Mohammad Haci, einem kurdischen Demonstrationsteilnehmer, zufolge träumen die Kurden in Österreich und im Rest der EU, dereinst in einem demokratischen Staat leben zu können. Er selbst ist vor zwei Jahren nach Österreich gekommen, weil er, wie er sagt, nicht im Krieg kämpfen wollte. Die Situation der kurdischen Bevölkerung und die Missachtung der Menschenrechte in der Türkei ist für ihn nicht nur ein Problem der Kurden, sondern das Problem ganz Europas. Er will deutlich machen: “Es geht nicht um Politik, sondern um Demokratie und Freiheit”
Nach einer Spontankundgebung vom 4. November, die ebenfalls am Griesplatz stattfand, und der Demonstration am Samstag sind vorerst seitens der HDP Graz keine weiteren Aktionen mehr geplant.