Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 sind viele Ukrainer:innen nach Österreich geflüchtet – unter ihnen auch Maria, Julia und Inna. Drei Frauen mit akademischen Abschlüssen, die nun versuchen, sich in einem neuen Land ein neues Leben aufzubauen. Der Weg dorthin ist jedoch lang und oft steinig.
Maria kam im März 2022 mit ihrer Tochter nach Österreich. In der Ukraine war sie 20 Jahre lang als Architektin tätig. Doch hier wird ihr Abschluss nicht anerkannt. Nach langer Jobsuche fand sie Arbeit als Reinigungskraft. Parallel dazu absolvierte die 50-Jährige diverse Deutschkurse – mit Erfolg. Inzwischen hat sie neue Ziele: Sie möchte als Webdesignerin und Grafikerin arbeiten. Um in diesem Bereich später tätig sein zu können, besucht sie abends die Ortweinschule: „Ich mag diese Arbeit, es macht mir Spaß und ich finde das, was man lernt, interessant.”
Was Maria erreicht hat, macht sie zu einem Vorbild für andere: „Es ist ein langer Weg, so etwas zu schaffen und in der Regel nicht gewöhnlich, dass Ukrainerinnen sich hier weiterbilden, eine Schule besuchen oder studieren“, so Julia über Maria. Für ihre 17-jährige Tochter wünscht sich Maria, dass sie in Österreich studieren kann, wenn sie die nötigen Deutschkurse absolviert hat.
Berufliche Hürden trotz Ausbildung
Ähnlich erging es auch Julia. Sie ist Sozialpädagogin und Lehrerin. In Österreich ist ihr Diplom jedoch nicht zulässig. Nun arbeitet sie bei „Ridna Domivka“, dem Ukrainischen Kulturverein, obwohl ihre berufliche Ausbildung eigentlich einen anderen Weg vorgeben würde. „Wir sind Flüchtlinge und erwarten nicht, dass wir hier sofort alles bekommen“, erklärt Julia. „Aber es ist schwierig, wenn es kaum andere Möglichkeiten gibt als zu putzen. Wobei selbst solche Arbeiten nicht leicht zu finden sind.“
Julia würde gerne wieder als Lehrerin arbeiten. „Ich bin Lehrerin, ich kann als Lehrerin arbeiten, ich kenne es. Natürlich muss man dazulernen, aber es wäre schön, wenn es etwas einfacher wäre.“
Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit ihren zwei Söhnen die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ zu bekommen, die es Ukrainer:innen erlaubt, in Österreich langfristig zu wohnen und ohne Einschränkungen zu arbeiten. Außerdem möchte sie die Deutschprüfung auf C1-Niveau ablegen. Ihre Zukunft sieht sie in Österreich. „Mein jüngerer Sohn lebt bereits ein Drittel seines Lebens hier. Beide Kinder haben Freunde in Österreich. Sie sind hier aufgewachsen.“
Neustart im IT-Bereich
Als Inna Ende 2022 nach Graz kam, dachte sie, sie würde nur für wenige Monate hierbleiben. Es kam anders.
Inna hat einen Master in Chemie und wollte auch in Österreich als Chemikerin arbeiten. „Ich habe sofort angefangen, Deutsch zu lernen, hatte bald B1 Niveau und habe mich dann bei vielen Organisationen wie Caritas, AMS und Zam angemeldet.“ Doch ohne Erfolg: Sie suchte sieben Monate lang nach Arbeit und schrieb rund 50 Bewerbungen. „Ich beschloss, dass ich als Reinigungskraft anfangen werde, falls ich bis zum nächsten Monat keine Arbeit finde.“ Aber dann stieß die 38-Jährige auf eine Ausbildung im Bereich der Softwareentwicklung am Campus 02: „Das war mein Traum. Es war Schicksal.“
Ob sie irgendwann wieder zurück in die Ukraine gehen wird, kann sie nicht sagen, aber eines weiß Inna genau: „Ich möchte das Beste für meine Tochter, deswegen sind wir jetzt hier.“

Anerkennung von Qualifikationen als Problem
Die Geschichten der drei Frauen stehen stellvertretend für viele andere. In Österreich ist die Nostrifizierung – die Anerkennung ausländischer Abschlüsse – ein komplexer und oft enttäuschender Prozess. Vor allem akademische Berufe, wie zum Beispiel Lehramt oder Medizin, sind betroffen. Berufe im kosmetischen oder handwerklichen Bereich lassen sich hingegen leichter anerkennen.
Hohe Anforderungen für die Rot-Weiß-Rot-Karte plus
Um die sogenannte „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ zu erhalten, müssen Geflüchtete eine Reihe von Bedingungen erfüllen: Sie brauchen einen “Ausweis für Vertriebene” (sogenannte blaue Karte), müssen mindestens zwölf Monate vollversichert in Österreich gearbeitet haben, ein Mindesteinkommen nachweisen und einfache Deutschkenntnisse (A1-Niveau) besitzen. Zudem dürfen sie keine Grundversorgung mehr beziehen. Für alleinerziehende Mütter ist das eine große Herausforderung – sie müssen Arbeit, Kinderbetreuung und Deutschkurse unter einen Hut bringen. „Fünfmal die Woche Deutschkurs ist fast wie ein Teilzeitjob“, erklärt Inna. „Vollzeit zu arbeiten ist mit Kindern kaum schaffbar.“

Der Kulturverein als Ankerpunkt
„Ridna Domivka“ – der ukrainische Kulturverein in der Annenstraße– bietet den geflüchteten Frauen Gemeinschaft, unterstützt sie beim Deutschlernen und bei der Jobsuche. „Als der Krieg kam, machte es sich der Verein zur Aufgabe, Geflüchteten zu helfen“, erzählt Julia. Es wurden Treffen, Seminare und Veranstaltungen organisiert, „die den Frauen und Kindern halfen, motiviert zu bleiben.“
Julia unterrichtet hier einmal pro Woche Deutsch – besonders hilfreich für alleinerziehende Mütter oder Großmütter, die keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder und Enkelkinder haben. Außerdem ist es für viele angenehm, von einer Ukrainerin zu lernen und dabei unter Gleichgesinnten zu sein.
Einmal im Monat findet ein Kinoabend statt – der Film wird auf Deutsch abgespielt. Bei einem weiteren monatlichen Treffen wird einfach geplaudert – auch mit österreichischer Unterstützung: Ab und zu kommt ein Student, die Damen können mit ihm tratschen und lernen dabei etwas. „Das ist wichtig, man braucht wen, mit dem man sprechen kann“, erklärt Julia. Es werden auch unterschiedliche Workshops angeboten: gemeinsames Malen, Singen oder Basteln. Zu Weihnachten und Ostern werden Märkte veranstaltet.
Das Motto des Kulturvereins lautet:
Wir, die Teammitglieder des ukrainischen Kulturvereins, haben uns zum Ziel gesetzt, vertriebenen Frauen durch mentale Stärkung, Networking, Workshops und Motivationstreffen noch mehr Mut auf ihrem Integrationsweg zu geben.
Titelbild: Julia, Maria und Inna im Ukrainischen Kulturverein. – Foto: Emilia Wolfbauer-Pokorny