Die Hälfte aller Österreicher:innen leidet unter Übergewicht oder Adipositas. Wie das Stadtteilzentrum Lend versucht, gesunde Ernährung attraktiver zu machen.
„Briiing!“, tönt der Wecker durch den Raum. Das ist Viktoria Ernes Zeichen, den Backofen zu öffnen. Die studierte Gesundheitsmanagerin greift nach der selbstgemachten Quiche und stellt sie auf die Arbeitsplatte. Daneben bereiten die Teilnehmer:innen des Clubs der gesunden Ernährung gerade die Nachspeise vor. Der Club ist ein Projekt des Stadtteilzentrums Lend und organisiert jeden Donnerstag von 10 bis 14 Uhr eine Kochsession in der Mariengasse 41. Dabei kreieren Menschen jeden Alters und mit den verschiedensten sozialen, kulturellen und beruflichen Hintergründen gesunde Gerichte. Die Rezepte dafür stammen entweder von den Teilnehmer:innen oder von Frau Erne. Sie wandelt alle Ideen so ab, dass das Essen entweder vegetarisch oder vegan ist.
Gesunde Ernährung im Annenviertel
Jede Kochsession hat ein eigenes Thema. Die erste des heurigen Jahres dreht sich um Vollkornmehl. Während die Teilnehmer:innen Quiche, Salat und Topfencreme zubereiten, erzählt Frau Erne den Kochenden immer wieder, was Vollkornmehl ist und welche Vorteile die Verwendung der Schale der Getreidekörner für den menschlichen Körper hat. Ihre Motivation, die Kochsessions zu organisieren, sei ihre Leidenschaft für das Kochen und das gemeinsame Erschaffen. „Mein oberstes Ziel ist, dass die Menschen die Freude am Kochen wiederentdecken. Dabei sollen sie niederschwellig das Wissen mitbekommen, was ihr Essen mit ihrem Körper macht”, erklärt sie.

Ihre Notizen und Vorbereitungen hierzu sammelt Frau Erne in einer Mappe. Als Grundlage ist darin auch ein ausgedrucktes Bild der Österreichischen Ernährungspyramide zu finden. Sie visualisiert die ideale Lebensmittelauswahl pro Tag beziehungsweise pro Woche. So werden der Bevölkerung die im Auftrag von Gesundheit Österreich ausgearbeiteten Ernährungsempfehlungen möglichst niederschwellig nähergebracht. Die Basis der Pyramide bildet Wasser. An der Spitze stehen Fettes, Süßes und Salziges – davon soll möglichst wenig konsumiert werden. Hier hat sich seit letztem Jahr nichts geändert. Doch dazwischen hat sich einiges getan, denn die Österreichischen Ernährungsempfehlungen wurden angepasst und erweitert.
Neue Ernährungsempfehlungen – erstmals auch vegetarisch
Warum das wichtig ist, zeigen die Daten der STATISTIK AUSTRIA. 50% der Österreicher:innen leiden demnach an Übergewicht oder Adipositas. Diese und weitere aktuelle Entwicklungen, unter anderem auch Klimaparameter, sind dafür verantwortlich, dass die Österreichischen Ernährungsempfehlungen überarbeitet wurden. Die finale Aktualisierung veröffentlichte das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) im Dezember letzten Jahres.
Die Ernährungsempfehlungen sehen nun weniger Milchprodukte und Fleisch beziehungsweise Fisch vor. Diesen Platz nehmen nun Hülsenfrüchte ein. Frau Erne setzt diese Veränderung bereits um. „Wenn jemand mit einem Rezept für Spagetti Bolognese zu mir kommt, adaptiere ich das und füge statt der Bolognese Linsen hinzu“, sagt sie. Dabei kommt der Gesundheitsmanagerin ihre Erfahrung als Vegetarierin zugute. Aufgrund ihrer Ernährungsgewohnheiten sieht sie auch die zweite Veränderung der Empfehlungen positiv. Es entstand ein zusätzliches Konzept: Erstmals gibt es auch Empfehlungen für eine ovo-lacto-vegetarische Ernährung. Die empfohlenen Lebensmittelportionen enthalten zwar Eier und Milch, verzichten allerdings auf Fleisch, Fisch und Meerestiere.

Diese Änderungen sollen nicht nur Treibhausgasemissionen einsparen, sondern auch die Gesundheit der Bürger:innen fördern. „Bewusste Ernährung mit einem Fokus auf Gemüse, Obst, Getreide und Hülsenfrüchte ist nicht nur für den Planeten gut, wir leben dadurch auch länger und gesünder“, wird Johannes Rauch, Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, auf der Website des BMSGPK zitiert.
Doch diesen Internetauftritt kennt niemand der Teilnehmer:innen des Clubs der gesunden Ernährung. Dass keiner aus dieser Gruppe über die Änderung der Österreichischen Ernährungsempfehlungen Bescheid weiß, zeigt, dass niederschwellige Angebote, wie der Club, notwendig sind, um die Ernährungskompetenz in der Bevölkerung zu fördern. Jede und jeder Einzelne hat eine andere Motivation, dieses Angebot anzunehmen. „Kochen muss einfach, schnell und günstig sein”, sagt Manuela Andrich, eine der Teilnehmer:innen. Sie möchte hier Ideen sammeln, um kochen zu können, wenn ihre vegan-essende Tochter zu Besuch kommt. Ob ihr Wunsch nach neuen Rezepten, die Freude an der Gemeinschaft oder die Möglichkeit, die eigenen Deutschkenntnisse zu verbessern, es ist egal, was die Menschen zu den Kochsessions lockt. Alle sind willkommen, unabhängig davon, ob sie zum ersten Mal oder jede Woche dabei sind.
Titelbild: Nach dem gemeinsamen Kochen lassen sich Frau Erne (Zweite von rechts) und die Teilnehmer:innen ihre Gerichte schmecken – Foto: Yara Höfer
Interessanter Artikel, informativ und sehr gut verfasst.
Ein toller Beitrag! Gratulation an die Teilnehmer des Clubs. Ernährung ist sehr wichtiges Thema und daher ist es schön, dass es Menschen gibt, die ihre Erfahrungen weitergeben. Danke!