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Blind Dates mit Europa: Das TiB geht auf Reisen

in KULTUR von

„Finden wir einen gemeinsamen europäischen Gedanken?”, fragte sich das Ensemble des Theater im Bahnhof (TiB) für die diesjährige Frühjahrsproduktion. Sie packten ihre Koffer und suchten Antworten für ihre Trilogie „Blind Date Europa” an verschiedensten Orten.

Von Lena Matuschik und Simone Seifter

Für die Auswahl ihrer Destinationen hat das TiB den Plan der Grazer Linien über die Europakarte gelegt und die nächstgelegenen Haltestellen zu ihren Wohnungen auf dieser Karte ausfindig gemacht. Diese willkürliche, aber trotzdem planmäßige Zuteilung hat Helmut Köpping in den Osten, Pia Hierzegger in die Mitte und Ed. Hauswirth in den Westen Europas geführt. Ein Interview über den Prozess, ihre Reisen und die Verarbeitung des Erlebten in einem Theaterstück.

 

Annenpost: Helmut, am Freitag ist die Premiere von „Blind Date Ost”. Wie fühlst du dich? 

Helmut Köpping: Ich freue mich drauf! Es ist eine besondere, recht seltene Arbeitssituation für diese Premiere. Nämlich, dass wir in der Gruppe entscheiden, wie das Stück aussieht. Es gibt keine Außenregie. Deshalb macht es Spaß, so zu arbeiten und ich freue mich auf Freitag!

 

Annenpost: 2024 wird als Superwahljahr bezeichnet. Durch die Europawahl passt eure Trilogie perfekt ins Programm. Warum ist euch das Thema EU und Europa besonders wichtig?

Helmut: Wir beschreiben uns selbst als zeitgenössisches Volkstheater. Das heißt, dass wir auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmen. Mal direkter, mal assoziativer, poetischer, aber eigentlich sehen wir unsere Rechtfertigung darin, dass wir mit dem umgehen, was gesellschaftlich abgeht. 

Ed. Hauswirth: Ich finde, alle Ideen, die größer sind als man selbst, sind prinzipiell interessant. Das ist eine Vision für den Kontinent, die ja auch sehr lange gut funktioniert hat, als Friedensprojekt. Weil der Mensch kann in Konkurrenz leben oder in Kooperation und ich finde, in Kooperation ist es doch besser. Unsere Idee für das Stück ist also, mit einer Offenheit wohin zu fahren und herauszufinden, was das Verbindende ist.

 

Annenpost: Im Teaser auf eurer Website habt ihr geschrieben, Europa habe seinen Glanz verloren und sei langweilig geworden. Was genau meint ihr mit dieser Langeweile?

Helmut: Ich glaube, es gibt eine gewisse Routine im Alltag, auch wenn man sich den europäischen Betrieb vorstellt. 

Pia Hierzegger: Und ich glaube, dass wir uns zu Hause ein Bild von Europa und der EU machen und Langeweile eigentlich bei uns entsteht. Nicht aber wenn man vor Ort ist. Es ist überhaupt nicht langweilig und es passiert ja auch dauernd was. Es ist jedes Land speziell und so muss man auch die EU betrachten, als eine Menge von Dingen und nicht so ein abstraktes Ding.

Helmut: Unser Vorschlag ist, ganz unironisch und ernst gemeint, zu reisen.

 

Selfies von Helmut Köpping auf seiner Reise nach Kaunas und Pia Hierzegger in Leipzig – Fotos: Helmut Köpping und Pia Hierzegger

 

Annenpost: Helmut, du hast dich auf den Weg nach Kaunas in Litauen gemacht. Was kannst du uns über deine Reise erzählen?

Helmut: Bei uns war es so, dass wir eigentlich die einzige kleine Gruppe waren, die unterwegs war. Wir drei haben die gleiche Adresse und somit die gleiche Einstiegsstelle. Wir waren 2000 km mit dem Auto unterwegs – durch Polen nach Litauen. Es ist durch Zufall zu einer historisch aufgeladenen Tour geworden. Wir sind in Auschwitz, Treblinka, Warschau und Kaunas gewesen. Nicht nur das Ziel war wichtig, sondern auch der Weg.

 

Annenpost: Pia, du bist nach Leipzig gereist. Hat dich das gefreut oder enttäuscht?

Pia: Von der Gruppe „Blind Date Mitte“ sind alle in Deutschland gewesen. Es war für alle so ein bisschen „Ja super, wir fahren nach Deutschland” (lächelt), weil man das Gefühl hat, dass man es so gut kennt. Wir sind aber schon überrascht worden und unsere Vorurteile haben sich großteils nicht bestätigt. Ich finde, Leipzig ist ein bisschen so wie ein groß gebügeltes Graz. Womit wir zurückgekommen sind, ist, dass dieses Ost-West in Deutschland noch immer sehr stark ist und wir das aber auch in Europa immer wieder finden. 

 

Annenpost: Ed., du warst als Mitglied des Teams „Blind Date West“ in Bastogne in Belgien. Wie hast du deine Reise begonnen?

Ed.: Ich habe keine Zeit gehabt, mich richtig vorzubereiten. Aber ich habe schon gewusst, dass dort die Ardennenoffensive Ende des Zweiten Weltkriegs war. Ich habe das Fahrrad im Zug mitgenommen und bin von Wiltz in Luxemburg nach Bastogne mit dem Fahrrad gefahren. Das Interessante an dem Ort ist, dass diese Ardennenschlacht nach wie vor ein großes, touristisches Ding ist. Um die Stadt gibt es über 40 Denkmäler und drei große Museen. Es ist historisch genau, aber es ist eine Art Disneyisierung des Krieges. 

Annenpost: Ed., hast du auch einen Lieblingsmoment?

Ed.: Ja, aber den erzähle ich auf der Bühne! 

 

Annenpost: Was habt ihr als Erstes gemacht, als ihr angekommen seid? Habt ihr die Reise geplant oder euch überraschen lassen?

Helmut: Ich glaube, da gibt es wirklich individuell verschiedene Zugänge, ob man sich vorbereitet oder alles auf sich zukommen lässt. Ich finde es wichtig, die Zuschauer:innen da auch in diesem Prozess mitzunehmen. 

Pia: Also ich habe mir nichts vorgenommen, sondern bin einfach nur durch die Stadt und es hat sich echt immer was ergeben. Eigentlich sehr ungewohnt für mich (lacht). Ich hatte auch eine Telefonnummer von jemandem, den ich nicht gekannt habe – über einen Freund in Graz. Durch den habe ich wieder weitere Nummern bekommen.

Ed.: Das Erste, das ich gemacht habe, ich weiß nicht, ob ich euch das zeigen kann (holt sein iPad heraus und beginnt, uns Fotos zu zeigen)… Ich bin in das Café des Sports gegangen. Und das war quasi mein Ankerpunkt für die ganze Woche. 

Selfie von Ed. Hauswirth in Bastogne – Foto: Ed. Hauswirth

 

Annenpost: Ihr habt euch bei der Recherche Fragen gestellt wie „Finden wir einen gemeinsamen europäischen Gedanken?” und „Sind wir noch zusammen?“. Die Erkenntnisse habt ihr in eurem Stück verarbeitet. Habt ihr die Antworten gefunden, die ihr gesucht habt?

Ed.: Ja, einzelne. In den Gesprächen, die ich geführt habe, mit meiner Landlady Marie France, mit den Leuten vom Museum und der Gemeinde. Beim offiziellen Museum gibt es eine große positive europäische Haltung. Bei den Menschen im Café des Sports und bei Marie France gibt es größere Zweifel. Als sie gehört haben, dass ich sie über Europa interviewen würde, haben sie abgeblockt. Es gibt wahrscheinlich wie überall Skeptizismus, aber letztendlich auch viel zu profitieren. Marie spielt in meiner Erzählung eine gewisse Rolle.

Helmut: Ja, also ich glaube, dass es immer wieder Antworten gibt, die aber sehr persönlich sind. Auch an den drei Abenden. Meine persönliche Antwort darauf ist: Es gibt so Ideen, die man vor der Reise hat und wenn man dann die Reise macht, ist alles doch wieder anders. Das ist auch das Spannende an dem Konzept, dass man nur bis zu einem bestimmten Punkt planen kann.

Pia: Alle haben irgendwie ein Verhältnis zur EU und fühlen sich zum Teil verantwortlich für dieses Gebilde. Und das ist was total Spannendes.

 

Annenpost: Was wollt ihr mit der Trilogie erreichen?

Pia: Man kann eine Reise natürlich nicht noch einmal erleben, aber dieses Teilen, dieses Erleben mit dem Publikum. Wenn das gelingt, wäre es super.

 

INFOBOX
ZU DEN PERSONEN

Ed. Hauswirth ist Regisseur, Schauspieler, Gründungsmitglied und künstlerischer Leiter des Theater im Bahnhof in Graz. Er hat 2014 den Nestroy-Preis für die beste Off-Produktion („Der diskrete Charme der smarten Menschen“, TAG Wien) gewonnen.

Die gebürtige Grazerin Pia Hierzegger ist Theater- und Filmschauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Die österreichische Premiere des Films „Landkrimi – Bis in die Seele ist mir kalt“, bei dem sie als Drehbuchautorin und Schauspielerin beteiligt war, fand am 9. April 2024 im Zuge der Diagonale statt.

Der Schauspieler und Regisseur Helmut Köpping war von 1996 bis 2006 künstlerischer Leiter des Theater im Bahnhof. Neben zahlreichen Bühnenauftritten wirkte er auch in mehreren Filmen wie „Nacktschnecken“ (2004) oder den Landkrimis „Steirerkind“, „Steirerwut“ und „Steirertod“ (2018, 2020, 2021) mit.

 

TERMINE

Premiere Blind Date Ost: 12.04.2024 im TiB

Premiere Blind Date Mitte: 26.04.2024 im TiB

Premiere Blind Date West: 10.05.2024 im TiB

Blind Date Europa (alle drei Teile): 02.06.2024 im TiB

 

 

Titelbild: Die Mitglieder des TiBs starten ihre Reise – Foto: TiB/Helene Thümmel

Ich wurde 2005 in Graz geboren und bin hier aufgewachsen. Nach acht Jahren am BG/BRG Carneri habe ich im Juni 2023 meine Matura absolviert. Jetzt studiere ich „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum. In meiner Freizeit lese ich gerne und tanze Ballett, Contemporary und Jazz. Außerdem interessiere ich mich für Kultur und Fremdsprachen (vor allem Französisch).

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