Lindy Hop, Authentic Blues und Rock’n’Roll tanzen und dabei die tradierten Geschlechterrollen verlassen: Das versucht der Grazer Tanzverein „The Lindy Cats“ in offenen Tanzworkshops in der Postgarage.
Es ist Mittwochabend und das kleine Postgaragen-Café verwandelt sich für die nächsten paar Stunden in ein Tanzcafé. Die Live-Band Swingwagon beginnt zu spielen, die Tanzfläche füllt sich mit einem tanzbegeisterten und stylisch gekleideten Publikum. Und schon ist man mittendrinnen in einem Tanzabend der “Lindy Cats“, die sich seit 2014 für die Kultur des Swing-Tanzens in Graz einsetzen.
Bye bye Geschlechterklischees!
An diesem Abend führt ein Paar, das Mitglied im Verein ist, in den Authentic Blues, einen Tanz der zur Gattung des Swing gehört, ein. Der Authentic Blues ist eine Ausdrucksform, durch die die Schwarze Bevölkerung ihre Unterdrückung sowohl während, als auch nach der Sklaverei verarbeitet habe, erklärt das Paar, damit die Tänzer auch über die Geschichte des Tanzes Bescheid wissen.
Bevor sich die Tanzpaare bilden, zeigen die Tanzlehrer der heutigen Einheit Einzelübungen mit den Grundschritten vor. Danach suchen die Gäste ihre:n Tanzpartner:in, egal welchen Geschlechts, und versetzen sich in die Rolle, die sie für den heutigen Abend einnehmen wollen. Dabei ist es den Tänzern am wichtigsten, Spaß zu haben und ihren Bewegungsdrang frei auszuleben, statt einem strengen Programm zu folgen. Es wird darauf geachtet, dass niemand untätig herumsteht. Und es ist egal, ob man Anfänger oder schon fortgeschrittene Tänzerin ist.
Zurück zu den Wurzeln
Der Lindy Hop, ein Tanz, der vom Verein mit viel Leidenschaft und Hingabe getanzt wird, gilt als einer der Urväter der Swing-Tänze. Zudem hatte er großen Einfluss auf Boogie, Jazz und Rock’n’Roll und entstand in den 1920-Jahren in der afroamerikanischen Kultur. Und es war fast nur die Schwarze Bevölkerung, die zu diesen Rhythmen tanzte, erklärt Julia Seyss-Inquart, selbst motivierte Tänzerin und Mitglied des Vereinsvorstandes.
Der Tanzstil galt bis in die 1950er-Jahre als revolutionär, es tanzten Schwarze mit weißen Menschen, Männer mit Männern und Frauen mit Frauen, erklärt Julia Seyss-Inquart,am Rande des Tanzabends. In den 1990er Jahren eroberte der Tanzstil dann Europa und gewann an Popularität, sagt Seyss-Inquart. Doch dann habe sich der Tanz in eine selbstständige Richtung entwickelt, mit viel Raum zur Improvisation. Seyss-Inquart und die Lindy Cats streben aktuell eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Swing an, indem sie alte Ideen und Tanzschritte wieder aufgreifen.
Tanz als Gespräch
So versucht Julia Seyss-Inquart gemeinsam mit Elena Ivanchenko und Manuel Pfeifenberger in den neuen Workshops, sich verstärkt von den traditionellen Männer- und Frauenrollen im Tanz zu lösen und stattdessen die Rollen geschlechtsneutral in „Leader“ und „Follower“ zu benennen.
Vor allem soll die Freiheit der Follower erhöht werden. Die Tänzer:innen, die diese Rolle einnehmen, werden dazu motiviert, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, während die Leader aktiv darauf aufmerksam gemacht werden „zuzuhören“. „Jetzt ist es ein Tanzen, bei dem nicht nur eine Person ,redet´ und die andere ,zuhört´, es ,reden´ zwei Personen“, erklärt die gebürtige Russin Elena Ivanchenko, die die neuen Workshops mit offenen Rollen in englischer Sprache unterrichtet.
Die Tatsache, dass jede:r die Tanzrolle wählen darf, in der er oder sie sich wohlfühlt, wird als bereichernder Lernfortschritt wahrgenommen, erklärt Manuel Pfeifenberger, einer der Mitorganisatoren. Julia Seyss-Inquart, betont, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, Geschlechterklischees in diesem Tanzstil aufrechtzuerhalten.
Zehn Jahre Lust am Tanzen
Der Verein The Lindy Cats feiert demnächst seinen zehnten Geburtstag und die Mitglieder hätten die Lust am Tanzen seitdem nicht verloren, konnte Julia Seyss-Inquart im Laufe der Jahre beobachten. Innerhalb des Vereins engagieren sich etwa 40 Personen aktiv und ehrenamtlich, um Workshops zu organisieren und anzubieten. In den verschiedenen Workshops, die wöchentlich stattfinden, zählt der Verein insgesamt fast 200 begeisterte Teilnehmer, die sich darauf freuen, die Vielfalt der Swing-Tänze kennenzulernen.
Subkultur mit Tanzen zu verbinden, sei das Ziel des Vereins, sagt Julia Seyss-Inquart. Das versuche man vor allem bei den Socials, den Tanzabenden im Postgaragen-Café. Eintritt verlangt der Verein für solche Abende nicht, jede:r ist willkommen, der oder die mitmachen möchte. „Wenn ich zu den Socials jedes Mal Eintritt verlange, schließe ich manche Menschen aus. Es war uns immer schon ein Anliegen, dass das nicht passiert“, erklärt Seyss-Inquart.
Für Julia Seyys-Inquart und für Elena Ivanchenko ist der energiegeladene und positive Lindy Hop eindeutig der Lieblingstanz unter den Swing-Tänzen. Der Lindy Hop ist ein Tanz mit flotten und raumgreifenden Figuren, der den Tänzern viel Interpretationsspielraum in der Musik und Kreativität in der Umsetzung lässt. Manuel Pfeifenberger findet, dass der Lindy Hop auch gut zum Annenviertel passt, aufgrund seiner Offenheit und Diversität. Und was passt zu 8010? Pfeifenberger: „Der strenge Walzer!“
Am 17.01.2024 findet im Postgaragen Café wieder ein Social statt mit freiem Eintritt.
Beginn 19:30 Uhr
Titelbild: Ein Abend im Postgaragen-Café mit den Lindy Cats und der Live-Band Swingwagon- Foto: Constanze Steinböck