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Scherbeln, Sex und Selbstentfaltung

in Allgemein/SOZIALES/VIERTEL(ER)LEBEN von

Hier wird wild geknutscht und heftig abgetanzt. Bei den heißbegehrten Sex-Positive-Partys der FAGtory feiern Menschen gemeinsam und doch ganz individuell ihre Verschiedenheit und Weltoffenheit. Ein Partybesuch der besonderen Art.

von: Mittermayr Lena, Jonke Tabea

Um 22.20 Uhr hat sich eine beträchtliche Schlange vor der Postgarage gebildet. In sexy Spitzenunterwäsche oder Leder-Outfits warten die Besucher:innen seit 20 Minuten auf die Öffnung der Türen. Sogar eine glänzend rote Stretchlimousine fährt vor, aus der mehrere Drag Queens steigen. Einigen Gäst:innen reißt der Geduldsfaden. „Herst, oida, wieso gedn’ do nix weida?”, hört man rufen. Oder, wie sonst aus dem Einzelhandel bekannt: „Zweite Kassa bitte!”

Die Sex-Positive-Partys des FAGtory Clubs gibt es seit 2014, nächstes Jahr feiern sie ihr zehn jähriges Jubiläum. Zu Beginn war der Club eine After-Party der Pride-Parade in Graz und fand nur auf einem Floor statt. Nach der Corona-Pandemie erfuhr die FAGtory einen massiven Nachfrageanstieg, mittlerweile bespielt sie alle drei Floors der Postgarage.

Aus der einstigen “Schwulenparty” im kleinen Kreise hat sich eine Sex-Positive-Party entwickelt, deren Besuchende bunt gemischt hinsichtlich Sexualität, Alter und gesellschaftlichem Hintergrund sind. Ärzt:innen, Sportler:innen, Student:innen – hier feiern alle gemeinsam. Es ist die einzige queere Veranstaltung dieser Größe in der Steiermark und die online zu erhaltenden Early Bird und Presale Tickets sind meist nach wenigen Stunden ausverkauft. Der FAGtory Club bietet noch eine Besonderheit: einen Ort, an dem die Gäst:innen sich ihrer sexuellen Lust hingeben können – den Darkroom.

 

Ein Safer Space, aber kein Safe Space

Als sich die Türen um halb elf endlich öffnen, kommen die Mitglieder des Awareness-Teams heraus und gehen auf die Wartenden zu. Das Awareness-Team ist für das psychische Wohl der Besuchenden zuständig und an den leuchtenden pinken Haarreifen mit riesigen Glubschaugen zu erkennen. Die FAGtory ist eine Mottoparty, weshalb gewisse Outfit-Standards eingehalten werden müssen. Diese sind je nach Thema unterschiedlich. Die letzte Veranstaltung der FAGtory am 18. November stand unter dem Motto „Lipstick” – und es war ein glamouröses, rotes oder „shiny” Outfit gefragt.

„Kinky geht aber immer”, sagt Awareness-Team Mitarbeiterin Ina beim späteren Gespräch im Hotbox-ähnlichen Backstage-Bereich An sich gibt es kein “richtiges oder falsches Outfit”, bestätigte auch der Organisator Joe Niedermayer vorab in einem Interview. Das Einhalten des Dresscodes sei jedoch ein Indikator dafür, ob jemand in die Veranstaltung passt oder einfach nur dort ist, um Unruhe zu stiften oder zu “gaffen”. Besucher:innen sind aufgefordert, Vorfälle auch selbst zu melden. „Der größte Teil des Awareness-Teams seid ihr”, meint der ehrenamtliche Mitarbeiter Uwe Aulibauer.

ehrenamtliche Mitarbeiterin Ina und ehrenamtlicher Mitarbeiter Uwe des Awareness-Teams – Foto: Julia Schuster

Weil die Veranstalter:innen die Party so sicher wie möglich gestalten wollen, spricht das Awareness Team vor dem Einlass auch über die Regeln. Diese sind simpel: Kein Rassismus, kein Sexismus, keine Queerenfeindlichkeit und keine Diskriminierung. Die FAGtory ist “safer als andere Nachtclubs”, so Joe Niedermayer, einen vollständigen Safe Space könnten aber auch sie nicht gewährleisten.

 

Drei Floors, ein Motto

Wer die Türkontrolle passiert hat, gelangt über das Foyer direkt auf den Main-Floor. Hier legen die Nacht hindurch mehrere DJanes und DJs auf. Von absoluten Gay-Classics wie „I kissed a girl” von Katy Perry über „skandalöse” Songs wie „Unholy” von Sam Smith bis hin zu typischen Party-Hits ist alles dabei. Kaum jemand steht gelangweilt herum. Die Besucher:innen sind hier, um sich die Seele aus dem Leib zu tanzen und gemeinsam zu feiern, dass sie hier so unterschiedlich und so frei sein können, wie sonst kaum an einem Ort. Die Diversität der Feiernden lässt sich auch an den unterschiedlichen Interpretationen des Dresscodes erkennen: Erotische Unterwäsche, Cosplay Kostüme, Fetisch-Wear… eine Flut an kreativen Outfits.

Ab Mitternacht können alle die Lust auf musikalische Abwechslung hat, dem zweiten Floor einen Besuch abstatten. Hier lädt unter anderem DJ Mischkonsum mit Techno und mitreißenden Beats ein, die Musik zu fühlen. Wer aufmerksam durch die Räume wandelt, merkt bald, dass, wie auch in vielen anderen Nachtclubs, Drogen nicht ganz unüblich sind.

 

Kuscheln und Kink im Darkroom

Wer sich in den ersten Stock verirrt oder heute Nacht überhaupt nur deshalb hierhergekommen ist,  findet hinter einem schweren, dunklen Vorhang den Darkroom. In gedämpftem Licht können sexuell offene Menschen ihre persönlichen Grenzen erkunden und miteinander intim werden. Eine erotisch aufgeladene Stimmung liegt in der Luft und lustvolle Berührungen werden ausgetauscht. “Das Wichtigste hier ist Respekt und Konsens gegenüber den Mitmenschen”, beteuert Joe Niedermayer. Da die FAGtory an sich ein sicherer Ort sein will, sollen natürlich gerade auch die Besucher:innen des Darkrooms sicher sein, wenn sie Sex haben. Daher werden bereits im Foyer gratis Kondome verteilt, auch im Darkroom selbst liegen weitere auf den schwarzen Tischen bereit.

Vorhang des Darkrooms;” NO = NO – ONLY YES MEANS YES” – Foto: Tabea Jonke

Bis sieben Uhr morgens ist es möglich, sich im FAGtory Club zu verausgaben. Dann schließen sich die Türen und die Mitarbeiter:innen begeben sich nach dem Aufräumen zu einem gemeinsamen Sektfrühstück. Die nächste Party steht bereits in den Startlöchern. Unter dem Motto “Be PrEPared” findet die kommende FAGtory-Party am 9. Dezember statt. Das Thema soll anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember auf die PrEP (Präexpositionsprophylaxe), ein Vorbeugemittel zum Schutz vor einer HIV Ansteckung, aufmerksam machen.

Info-Box
Der The FAGtory Club ist ein Projekt der RosaLila PantherInnen. Mit den Einnahmen der Sex-Positive Partys werden wichtige LGBTQ+ Charity Projekte in Graz finanziert.

Um ehrenamtliche:r Mitarbeiter:in des The FAGtory Clubs zu werden ist es nicht Voraussetzung, ein Vereinsmitglied der RosaLila PantherInnen zu sein.

Titelbild: The FAGtory Club Tanzfläche – Foto: Julia Schuster

 

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