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Mit Einhaar zum Zweithaar

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Die gelernte Friseurin und Perückenmacherin Gudrun Schinagl schenkt Strahlen- und Chemotherapiepatient:innen in ihrem Salon ein Stück Normalität für den schweren Alltag.

Seit über 30 Jahren betreut Gudrun Schinagl in Graz Krebspatient:innen in ihrem Salon „EINHAAR“ in der Feuerbachgasse. Mit Feingefühl unterstützt sie ihre Patient:innen bei der Wahl ihrer Zweitfrisur, wenn durch die Chemotherapie die Haare ausfallen. Die Auswahl an Perücken in verschiedensten Haarfarben und -frisuren und in allen erdenklichen Längen ist groß. Ihr Sortiment umfasst Zweithaar aus Kunst- und Echthaar, aber auch Haarteile und Kopfbedeckungen.

Der Weg zum Traumberuf

Als ihre 14-jährige Cousine an einem Kopftumor erkrankte und Schinagl sie zwei Jahre lang bei den Krankenhausbesuchen begleitete, wurde sie zum ersten Mal mit dem Thema Krebs konfrontiert. Damals fiel ihr auf, dass immer öfter Chemopatient:innen in den Salon „Vogue“ kamen, in dem sie zu dieser Zeit arbeitete, und nach Perücken fragten. Nach dieser Beobachtung vereinbarte sie mit ihrer damaligen Chefin, dass sie fünf Stunden in der Woche zur Verfügung bekam, um in Spitälern zu beraten. „Das hat zu dem Zeitpunkt noch niemand gemacht und darauf wollte ich eingehen”, erklärt Gudrun Schinagl ihre Idee. „Jeden Donnerstag, als ich in das Krankenhaus in Fürstenfeld gefahren bin, habe ich mich steirisch angezogen, um in Erinnerung zu bleiben”, erklärt sie. Es war schwierig, in einen Chemoraum zu kommen, daher musste sie mit Ärzt:innen diskutieren und auf sie einreden. Nach einem halben Jahr hatte sie es geschafft und begann, Patient:innen in den Chemoräumen Perücken anzupassen.  

Bereits nach drei Monaten wurde der Salon „Vogue“ in der Annenstraße um einen eigenen Raum für die Perückenmacherin erweitert. Bald darauf bekam sie im Krankenhaus in Fürstenfeld einen Platz im Psychologenzimmer, um ein wenig Privatsphäre für die Beratung ihrer Kund:innen zu schaffen. „Wenn man sich die Haare abrasiert, ist es so, als würden wir uns nackt ausziehen, dafür benötigt man Vertrauen”, erzählt Gudrun Schinagl, die nun seit mittlerweile 13 Jahren ihren eigenen Salon führt.

Von der Diagnose bis zur Zweitfrisur

Die erste Überwindung stelle schon die Terminvereinbarung dar. „Viele Kunden rufen gar nicht selber an oder weinen schon beim Telefonieren.” Deswegen kommen die Kunden schon vor der Chemotherapie das erste Mal in den Salon. Beim Erstgespräch ist es Gudrun wichtig, dass sie von den Patient:innen die nötigen Informationen für die Behandlung bekommt und die Wünsche und Vorstellung der Kund:innen kennenlernt. Sie erklärt, dass sie oft als Freundin gesehen werde – aufgrund der Intimität, die die Behandlung und vor allem das Abrasieren mit sich bringt. 

Wenn die Perücke dann fertig ist,  übt sie mit den Zweitfrisurträger:innen das richtige Aufsetzen vor dem Spiegel und schminkt sie beim endgültigen Termin noch, um den Effekt des neuen Lebensgefühls zu verstärken. Nicht jeder Mensch sei gleich und jeder bringe seine eigene Geschichte mit, sagt sie. Gudrun Schinagl versucht, das Persönlichkeitsbild so natürlich wie möglich auf das Aussehen zu übertragen. Die Kund:innen kommen mit einer Bewilligung eines Heilbefehls zu ihr, mittlerweile übernimmt die Österreichische Gesundheitskasse einen Teil der Kosten.

In ihrem Salon schafft Gudrun Schinagl eine angenehme, intime Atmosphäre für ihre Patient*innen
In ihrem Salon schafft Gudrun Schinagl eine angenehme, intime Atmosphäre – Foto: EINHAAR/ Michael Ferlin-Fiedler

Ausgleich und Bewältigung

„Wenn ich in meinem Umfeld Geschichten aus der Arbeit erzählt habe, haben sich alle immer umgedreht und wollten nicht mit mir reden”, sagt Schinagl. Aus diesem Grund gründete sie gemeinsam mit Claudia Petru die Frauenkrebshilfe. Die Gemeinschaft, die dort gelebt wird, helfe nicht nur ihr, sondern viel mehr noch Patient:innen und auch ehemaligen Erkrankten. „Alleine weiß man nicht, was man tun kann, damit es einem selber wieder gut geht – da wollen wir helfen.” Im 14-Tage-Rhythmus gibt es Gruppenkurse wie Yoga, Kulturveranstaltungen oder den „Kaffeetreff”. Dort werden Erlebnisse, Erfahrungen geteilt. Da lässt sich auch auf die Krankheit für einen Moment vergessen.

Erfahrungen und Erlebnisse

Für ihre Leichtigkeit mit dem Umgang dieser Themen sorgt mittlerweile die jahrelange Erfahrung. Aber am Anfang sei es für sie auch sehr schwer gewesen. Vor allem wenn junge Mädchen zu ihr kamen. „Einmal kam ein 16-jähriges Mädchen zu mir, mit dichten, langen, gesunden Haaren, sie begannen schon auszufallen. Das Mädchen war so traurig, dass sie die Haare schon früh komplett abrasieren musste”, erinnert sich Gudrun Schinagl. „Nach eineinhalb Stunden musste ich die Eltern nach Hause schicken. Danach habe ich sie einfach schreien und weinen lassen, um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Nach vier Stunden ging sie mit ihrer Zweitfrisur und einem Lächeln aus der Türe. Das werde ich nie vergessen.”

Mit jungen Patient:innen zu arbeiten, findet Schinagl nach den vielen Jahren immer noch schwer. Zu wissen, dass die Krebsbehandlung vielleicht nicht helfen wird. Dabei hat sie die Erfahrung gemacht, dass Kinder dem Tod eher gelassen entgegensehen. Als zweifache Mutter fühlt und weint sie aber mit den Eltern mit. „Wenn ich für jedes Mal weinen in der Kinderklinik einen Euro bekommen hätte, wäre ich schon lange reich”, nimmt sie es mit ein bisschen Humor.

Sie habe wohl ein besonderes Gespür, könne sich gut ihre Kund„innen hineinversetzen, sie selber sieht das als Gabe. „Wenn es zum Weinen ist, dann ist es zum Weinen. Meine Aufgabe ist es dabei, Mut zu machen”, sagt die Perückenmacherin, die selbst vor wenigen Jahren ihren Mann an Krebs verlor. Auch beim Verarbeiten damit half ihr ihre jahrelange Erfahrung. „Es gibt kein Rezept für den richtigen Umgang, jeder hat da seine eigenen Wege.” 


Titelbild: Gudrun Schinagl beim Aufsetzen der Perücke – Foto: EINHAAR/ Michael Ferlin-Fiedler





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