Teilnehmer*innen der Muruferreinigung
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Muruferreinigung: Weg mit den Tschick!

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Achtlos weggeworfener Müll ist ein österreichweites Umweltproblem. Am Samstag befreiten mehr als hundert Freiwillige den „Müll-Hotspot“ Murufer rund um die Augartenbucht von Einweg-Plastik, einem Fahrrad und ganz vielen Tschickstummeln.

Hinter einem Baum neben der Anlage des Stand Up Paddling Sportclub Graz liegen besonders viele Flaschenverschlüsse und nicht zuordenbare rote Metallringe. Eine Weinbergschnecke muss auf einem abgerissenen Streifen Küchenrolle ihr Dasein fristen. Dieses unscheinbare Plätzchen ist ein versteckter Ablageort für Müll aller Art. „Was machen Sie da?“, ruft eine Bewohnerin schon fast garstig über den dahinterliegenden Zaun. Sie befürchtet Wildpinkler*innen, von der heutigen Muruferreinigung weiß sie wohl nichts. Ein Hinweis und das Zeigen des grünen Müllsacks beruhigen die Lage und ihr Gemüt aber wieder. Sie zieht von dannen.

Der zweite Take sitzt

Die „Große Muruferreinigung“ stellt den jährlichen Höhepunkt der Stadt Graz während des „Großen steirischen Frühjahrsputzes“ dar. Dieser dauert heuer von 6. April bis 21. Mai. In diesen sechs Wochen befreien tausende Freiwillige Plätze, Wege und Wiesen in Gemeinden und Städten von Littering, also Gegenständen und Abfällen, die dort achtlos zurückgelassen wurden. Vor allem in unzugänglichem Gelände wie dem Ufer der Mur, das gerne auch als „Müll-Hotspot“ bezeichnet wird. Dieses zieht obendrein viele Menschen an und wo sich viele Leute aufhalten, wird gelittert. Der Startpunkt des Sammelns ist die Augartenbucht. Von dort schwärmen die Teilnehmer*innen nach Norden und Süden sowie über die nahen Brücken in den Gries zur anderen Uferseite aus.

Kurz nach zehn Uhr geht es los. Ralf Kawitzke stand schon vor drei Wochen in der Augartenbucht. Die Müllsammelaktion sollte eigentlich schon am 9. April stattfinden, doch schlechtes Wetter zwang die Veranstalter*innen der Stadt und Holding Graz kurzfristig zur Verschiebung. Das Wetter spielt an diesem 30. April Mal mit. Es ist mit 20 Grad angenehm warm und fast wolkenlos. Vogelgezwitscher untermalt diesen schönen Tag.

Viele Stimmen wollen ihrer Stadt Graz etwas zurückgeben. „Manchmal fahre ich hier mit dem Fahrrad entlang und man hat auch eine persönliche Beziehung zur Mur. Das ist eine gute Geschichte“, so Kawitzke über seinen Antrieb. Der gebürtige Münchner, der seit zwei Jahren in Graz lebt, steht dem Müllthema aktuell familiär sowie kulturell nahe. Seine Frau wirkt beim Theaterprojekt „Trashland“ mit, das in dieser Woche im Schauspielhaus noch dreimal zu sehen ist und die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft behandelt. „Dann passte das, dass ich hier heute entlanggehe,“ erklärt Kawitzke mit einem Lächeln.

Ralf Kawitzke
Ralf Kawitzke wurde am 9. April nach Hause geschickt, drei Wochen später ist er wieder da. – Foto: Tobias Graf

Das Murufer ist in gewissen Bereichen schwer zugänglich. Allzu oft wird Mutigen der Satz „Pass ja auf!“ nachgerufen. Paddler*innen hätten in diesem Jahr Abgänge ins Wasser verhindern sollen, indem sie vom Wasser aus ans Ufer steigen und den Müll abgrasen. Aus dieser guten Idee wurde aber nichts, Initiator Philipp Moser ist beim Zweittermin beruflich verhindert. Andere angekündigte Wassersportler*innen, die ihm beim Ersttermin zusagten, lassen sich nicht blicken.

Das ist Litter, das tut weh!

Es ist ein frühjährlicher Tanz mit der Müllzange und dem auffälligen, grünen 110-Liter-Plastiksack. Die Greifzange ist aus Holz, Handschuhe und Sack werden von den Veranstalter*innen zur Verfügung gestellt. Es ist so einfach und geht doch so schnell auf die Knochen. Nicht nur die Fußball-, Spikeball- und Volleyballspieler*innen im Augarten betreiben an diesem Tag Sport. Das ständige Über-Zäune-Klettern, um Hundekotsackerl und Flaschen vom Murufer zu holen, ist anstrengend.

Neben Einzelkämpfer*innen und jungen Familien nützen viele junge Menschen die Muruferreinigung, um Zeit miteinander zu verbringen. Sie tauschen das Smartphone gegen die Müllzange und den Laptop gegen den Müllsack. Die ehemaligen Schulkolleginnen Hélena Konrad und Kerstin Stadler trafen sich am Samstag ganz zufällig und beschlossen, spontan am Müllsammeln teilzunehmen. „Wir haben uns in der Straßenbahn gesehen und haben uns gedacht, das ist eine gute Gelegenheit,“ erzählt Stadler. Viele Fremde lernen sich im Dienste für die Umwelt kennen, der soziale Aspekt dringt seit der COVID-19-Pandemie immer stärker hervor. Die Müllsammelgemeinschaft „No Time To Waste” oder Organisationen wie die Katholische Kirche oder Sea Shepherd sammeln in Graz regelmäßig.

Kathrin Stadler und Hélena Konrad
Hélena Konrad (rechts) und Kerstin Stadler, die noch nicht weiß, dass sie bei der anschließenden Verlosung einen 20-Euro-Gutschein der Stadt Graz gewinnen wird. – Foto: Tobias Graf

Die Tschick: Schlecht für Lunge und Umwelt

Rund einhundert Teilnehmer*innen sind es insgesamt. Weiter nördlich, ausgehend vom Pongratz-Moore-Steg nahe des Kalvarienbergs in Gösting, sammeln zeitgleich 30 Menschen Abfall. Unter den wachsamen Augen mehrerer Kameras, auch jener des ORFs als Veranstaltungspartner, findet sich allerlei. To-Go-Verpackungen aus Plastik und allseits „beliebte“ Atemschutzmasken boomen, der COVID-19-Pandemie sei Dank. „So wirklich spannende Funde gibt es selten“, so Christopher Lindmayr, Referatsleiter für Abfallwirtschaftscontrolling beim Grazer Umweltamt, vor der Veranstaltung. Eine dieser Besonderheiten war eine Schusswaffe, die daraufhin der Polizei übergeben wurde. Das gibt es heuer zwar nicht, eine leere Patronenhülse reicht aber auch. Zu den größten Funden des Tages gehören ein Fahrrad sowie ein Scooter, die aus der Böschung geborgen werden. Einige Teilnehmer*innen beißen sich auch an einer Europalette die Zähne aus, die murabwärts schwimmt. Sie wird schließlich aus dem kühlen Nass gerettet.

Einig sind sich die Müllsammler*innen, wenn sie gefragt werden, was sie am häufigsten aufheben. „Ganz viele Tschickstummel“, sagt Victoria Scheucher, die wie viele erstmals als Muruferreinigerin im Einsatz ist. Am Grieskai geht es kaum voran, da Kippen den Boden des Gehsteigs säumen. Sie sind in Wiesen und auf Erdböden schwierig zu erspähen, müssen aber dringend weg. Sie vergiften Böden und stellen eine Gefahr für Tiere und Kinder dar. Scheucher wünscht sich dazu mehr Bewusstsein und Aufklärung über die Gefahr von Zigarettenkippen in der Bevölkerung: „Mancher, der vielleicht nicht so gerne Zeitung liest und reflektiert ist, der weiß das vielleicht gar nicht. Ich habe das auch erst vor Kurzem erfahren.“

Tschickstummel
Weggeworfene Zigarettenstummel gefährden Böden und Lebewesen. – Foto: Tobias Graf

Ist die beste Reinigung umsonst?

Naturreiniger*innen für einen Tag zu spielen, ist ein Dienst für die Gesellschaft und Umwelt. Die Beseitigung von weggeworfenem Abfall ist teuer und soll sich in allen österreichischen Gemeinden auf jährlich 155 Millionen Euro belaufen. „Um dem Phänomen des Litterings entgegentreten zu können, bedarf es einer Vielzahl parallel stattfindender Maßnahmen!“, so Christopher Lindmayr vom Umweltamt. Neben Aufklärungsaktionen und Verboten von Einwegkunststoffen kann eine einfache Antwort für das achtlose Wegwerfen abgerauchter Zigaretten schon ein mobiler Aschenbecher sein, wie er vom Umweltamt und der Holding Graz seit Juli 2021 verteilt wird.

Nach über zwei Stunden ist das Müllsammeln vorbei und es geht zum entspannten Teil der Veranstaltung über. Die Teilnehmer*innen finden sich wieder in der Augartenbucht ein und genießen gratis Kaffee und eine Stärkung, es werden auch vegane Jausensackerl ausgegeben. Den letzten Akt bildet die Ziehung einiger Gewinnerlose, jede*r Teilnehmer*in erhielt mit ihrem Müllsack eines. Bereits am Rückweg dorthin finden sich am Muruferradweg wieder vereinzelt Tschickstummel am Boden.

Infobox
Der LENDWIRBEL findet diese Woche statt und dabei gibt es auch eine Skulptur aus Einwegmüll zu bestaunen. „Das Müllmahnmal von Graz“ ist in der Griesgasse aufgestellt und soll Gastronomiebetriebe zur Verwendung von Mehrwegsystemen bei der Essensauslieferung motivieren.

Titelbild: Ob Jung oder Alt, Parteigänger*in oder Aktivist*in: Alle freuen sich auf das Müllsammeln. – Foto: Tobias Graf

Für ganz Hungrige gibt es hier noch ein paar Impressionen der Muruferreinigung zum Konsumieren – für genauere Informationen auf das Bild klicken!

Mag ulkige Redewendungen, begeistert sich für nahezu jeglichen Sport und liebt alles außerhalb des Gewöhnlichen.

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