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Die Grenzen des Helfens

in SOZIALES von

Kältetelefon und Notschlafstellen sorgen dafür, dass in Graz auch im Winter niemand auf der Straße übernachten muss. Was aber, wenn die Hilfe abgelehnt wird?

Von Sarah Kirchmayer und Anna Rumplmayr

In dicke Schlafsäcke und Decken gehüllt liegt ein Mann am Grazer Hauptplatz, direkt neben dem H&M. Zahlreiche Menschen gehen an ihm vorbei,, einige bringen Lebensmittel vorbei, andere lassen Kleingeld da. Nicht wenige machen sich Sorgen, andere ärgern sich über den Anblick des Obdachlosen. Doch nach kurzer Zeit und in gewisser Weise hat man sich an den Anblick gewöhnt – der Mann, der aus Osteuropa stammen soll und sich im Herbst des Vorjahres am Hauptplatz eingerichtet hatte, war bald fast nicht mehr wegzudenken. Bis er nach Weihnachten und über Nacht spurlos von der Bildfläche verschwand.

Der Obdachlose vom Hauptplatz  ist kein Einzelfall, sondern zeigt die Situation vieler Menschen in Graz auf, die auf der Straße leben. Nicht alle wollen sich in dieser Situation helfen lassen und eine der Sozialeinrichtungen der Caritas oder der Vinziwerke in Anspruch nehmen.. Jakob Url ist als Teamkoordinator seit vier Jahren beim Kältetelefon und der Winternotschlafstelle der Caritas. Er ist dort für das Anwerben und die Betreuung von Freiwilligen sowie für das Finanzmanagement zuständig. Er weiß, dass man in den Fällen, in denen sich eine Person bewusst für die Straße entschieden hat, wenig tun kann.

Niemand muss Hilfe annehmen

Ihre Entscheidung sei zu akzeptieren, sagt Jakob Url, denn der öffentliche Raum sei für jeden frei nutzbar. Und für einige Obdachlose ein Zuhause, in dem sie sich eingerichtet hätten. “Das ist nicht verboten und muss akzeptiert werden, auch wenn es für Passant*innen unangenehm ist.” Viele Personen, die sich dazu entscheiden, auf der Straße zu leben und nicht in die Notschlafstellen zu kommen, würden unter psychischen Problemen leiden oder hätten schlechte Erfahrungen gemacht. „Und so ehrlich muss man sein: Es besteht sicher ein Defizit in Graz. Es gibt keine Notschlafstellen mit Einzelunterbringung. Manche sind dann lieber draußen, bevor sie in einem Schlafraum mit vielen anderen nächtigen“, meint Url. Insgesamt gibt es sieben Notschlafstellen mit mehr als 400 Betten in Graz – vier davon bietet die Caritas an, die restlichen die VinziWerke Graz (die Annenpost berichtete).

Die Anzahl derjenigen, die lieber auf der Straße bleiben, ist übrigens unerwartet hoch: Laut einer Statistik der Caritas wurden in der Saison 2021/22 bis 25. Jänner von 260 angetroffenen Personen – also all jene, mit denen sich die Caritas, ob mit oder ohne Anruf, auseinandergesetzt hat – nur 18 an eine Notschlafstelle vermittelt. Diejenigen, die sich weigern, in eine Schlafstelle zu gehen, werden aber nicht im Stich gelassen: Sie bekommen warme Kleidung, Mahlzeiten und Heißgetränke vom Team des Kältetelefons zur Verfügung gestellt. Auch dieses Angebot müsse aber nicht angenommen werden, betont Jakob Url.

Die Notschlafstelle als Sprungbrett in die „Normalität”?

Für diejenigen, die sich für eine Notschlafstelle entschieden, könnte das ein kleiner aber bedeutsamer Schritt sein. Denn abgesehen von einem warmen Bett, Essen und Sanitäreinrichtungen bietet die Caritas auch Beratungsgespräche an, die langfristig helfen können. Jakob Url ist überzeugt, dass das auch gelingt. „Das ist ganz unterschiedlich.  In vielen Fällen funktioniert es. Aber einige Personen kenne ich seit meinem ersten Jahr”, sagt Url. Einige Menschen seien mit ihrem Leben in der Obdachlosigkeit relativ zufrieden und möchten sich gar nicht verändern. Das könnten zwar viele Menschen nicht verstehen – aber “das müssen wir als Grazer*innen aushalten.”

Der Kältebus des Kältetelefons der Caritas Steiermark – Foto: Caritas Steiermark

Helfen bedingt Freiwilligkeit

Dass manche Menschen Hilfe verweigern, müssen auch die Freiwilligen des Kältetelefons lernen zu ertragen.  “Auch wenn wir uns das nicht vorstellen können, die Leute sind Überlebenskünstler und die schaffen das schon”, glaubt Url. Nur wenn Lebensgefahr besteht, müsse man gegebenenfalls auch gegen den Willen der Personen einschreiten.

 

Titelbild: Die freiwilligen Helfer des Kältetelefon verteilen Wärmendes – Foto: Caritas Steiermark

Wahl-Grazerin, aber insgeheim ewige Oberösterreicherin. Liebt die Natur, Kaffee und neue Abenteuer erleben.

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