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Parklets und Raumwandler: Relaxen auf Asphalt

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Der öffentliche Raum in Graz wird über weite Strecken von Autos beherrscht. Im Annenviertel und in Eggenberg sind derzeit schlaue Interventionen zu erleben, die zeigen, dass man den Raum auch anders als zum Parken verwenden könnte.

Von: Julia Schöttel, Viktoria Spitzbart und Anja Treitler

Der Parkplatz vor dem Merkur ist für gewöhnlich kein Ort mit besonders hoher Aufenthaltsqualität. Der riesige, im Jahr 2018 umgestaltete Platz, der im Zentrum des Bezirks Eggenberg liegt, ist der Nutzung durch Autos vorbehalten. Seit einigen Tagen gibt es inmitten der Asphaltwüste eine kleine Grünoase: Aus Pflanzsäcken sprießen Blumen und Kräuter, einige Passanten nutzen die Säcke um sich auszurasten. Ein “Parklet” hat hier vorübergehend einen Parkplatz ersetzt, wie ein Schild erklärt, und einen “konsumfreien öffentlichen Raum für ALLE” geschaffen.

Parklets schaffen öffentlichen Raum

„Die Idee ist, dass man sich temporär einen Stadtraum, der dem Verkehr gewidmet ist, selbst aneignet”, sagt Reinhard Braun, Leiter der renommierten Foto-Galerie Camera Austria, der diese und drei weitere Inseln in Eggenberg im Rahmen des Projekts Die Stadt & Das gute Leben in mühsamen Verhandlungen mit den Besitzern und der Stadt Graz ermöglicht hat. „Es geht um ein Signal, um eine Aneignung des öffentlichen Raums, der immer weiter zurückgedrängt wurde.” Bis 23. Oktober sollen die Parklets Eggenberg beleben – ein weiteres ist vor dem Hauptbahnhof-Ausgang in der Waagner-Biro-Straße zu finden und das dritte beim green.LAB Graz, ebenfalls in der Waagner-Biro-Straße. Ein viertes entstand in der Alten Poststraße am Reininghaus, das gleichzeitig auch Standort eines mobilen Kinos ist. Umgesetzt wurden sie durch Daniela Zeschko (Natur.Werk.Stadt) und Franziska Schruth (Stadtlabor), auch die Künstlerin Nicole Six war an der Planung und Umsetzung beteiligt.

Tatsächlich dominiert der Verkehr über weite Strecken den öffentlichen Raum in Graz. Initiativen wie die Parklets machen darauf sowie auf alternative Potenziale dieser Flächen aufmerksam. In Graz nehmen nach Zahlen des Stadtvermessungsamtes alle Parkplätze eine Fläche von rund 75 Hektar ein. Das entspricht 1500 Fußballfeldern. Auf derselben Fläche könnten auch alle GrazerInnen gleichzeitig ihre Yoga-Matten ausrollen – unter Wahrung eines sehr ordentlichen Sicherheitsabstands.

Entwicklung der Parklets

Der Ursprung der Parklets liegt in den USA. Ein Aktivist fütterte im Jahr 2005 in San Francisco einen Parkautomaten mit Münzen, rollte ein Stück Kunstrasen aus und machte ein Picknick. Seither hat die Idee auf der ganzen Welt AnhängerInnen gefunden. Auch in Wien haben sich Parklets bewährt. Heuer gab es bereits 70 solcher Einrichtungen, Förderungen erleichtern dort die Umsetzung. Auch in Graz stoßen sie auf Interesse. „Von den BewohnerInnen vor Ort gibt es durchweg positive Rückmeldungen – insbesondere was das Merkur-Parklet betrifft”, berichtet Projektkoordinatorin Antonia Schneider. Beim ÖBB-Parklet hingegen seien die Meinungen laut Schneider durchwachsen, im Zuge eines Kreideworkshops wurden dort Kreidemalerein am Boden erstellt. Laut den Beschwerden hätten die Menschen Angst, dass es ausarten würde und folglich zu einem Selbstläufer werde. Daraufhin wurden die Malerein nun entfernt.

Malerein beim Parklet am Hauptbahnhof sorgten für Beschwerden – Foto: Anja Treitler

Raumwandler: Garten statt Parkplatz

Parkplätze für öffentliche Nutzungen zurückzugewinnen, ist auch eine Spur einfacher zu haben. Auch das kann man zur Zeit im Annenviertel erleben, in der Kernstockgasse vor dem Büro der Nachbarschaften etwa: Dort ist aktuell ein “Raumwandler” stationiert, ein Fahrrad, das zu einem kleinen Garten  mit Sitzmöglichkeiten zum Pausieren umgebaut wurde. Sogar eine Gießkanne gibt es, um die Blumen und Kräuter in den Beeten am Leben zu wässern. Und in einem Gästebuch können PassantInnen während ihres Besuches eine Nachricht hinterlassen.

Das umgebaute Lastenrad kann an jedem beliebigen Parkplatz abgestellt werden. Da es sich dabei um ein StVO-konformes Fahrrad handelt, braucht man dafür  weder Genehmigungen noch ein Parkticket. Hinter dem schlauen Raumwandler steht die Forschungsgesellschaft Mobilität (FMG) mit weiteren Partnern, das Projekt wird vom Sozialamt der Stadt Graz gefördert. Ziel ist es, Orte für Gemeinschaft zu schaffen und Einsamkeit zu bekämpfen.

“Bitte mehr davon!”

Insgesamt befinden sich neben dem mobilen Garten vier weitere Raumwandler auf Grazer Parkplätzen. „Seit Projektstart im Juli hat sich keine BürgerIn über den verlorenen Parkplatz beschwert”, sagt Sabine Oberrauter von der FMG. Das Gartenrad parkt noch bis November in Graz und wartet auf BesucherInnen. „Solche Aufenthaltsoasen im grauen Straßenraum sind genau das, was innere Städte – und die Menschen darin – zum Aufatmen brauchen. Bitte mehr davon!“, so einer von vielen positiven Einträgen im Gästebuch.

Mobiler Garten in der Kernstockgasse – Foto: Anja Treitler
Infobox

Das von Camera Austria initiierte Projekt Die Stadt & Das gute Leben erweitert noch bis 22.11. den Aktionsraum der Kunstinstitution nach Eggenberg und öffnet zugleich den Ausstellungsraum für die Allgemeinheit.

Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe Mobiles Kino wird am 5.10., 19.30, am Parklet Reininghaus der Film Moon (2009) gezeigt.

Über die Aktivitäten der Gruppe Bussi im Rahmen des Projekts Die Stadt & Das gute Leben hat die Annenpost bereits berichtet. 

Das Programm im Detail

[TITELBILD: Parklet am Merkur-Parkplatz in Eggenberg – Foto: Anja Treitler]

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