Auf Streife

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Eine Nacht lang durfte die Annenpost die Polizeiinspektion Lendplatz auf Streife begleiten. Während Chefinspektor Werner Schenk Drogen konfiszierte und im Volksgarten für Ruhe sorgte, sprachen wir mit ihm über das Böse im Menschen und wie er mit der Feindseligkeit gegenüber der Polizei umgeht.

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Werner Schenk ist seit Anbeginn seiner Karriere in Grazer „Problemvierteln“ tätig.

„Wollen Sie auch einen Kaffee? Heute Nacht müssen’s noch ein bisschen länger aufbleiben“, fragt Chefinspektor Werner Schenk lachend, als wir sein Büro betreten. Seit über 30 Jahren ist er bei der Polizei, in der Inspektion Karlau „aufgewachsen“, mittlerweile leitet er die Polizeiinspektion Lendplatz. Gut gelaunt erzählt er mir von seinem Nachmittag. Dass er mit seiner Kollegin im Kloster bei einem Schweigeorden gewesen war und dort die Nonnen mit ihm gesprochen hätten. „Aber nur, weil ich die Uniform anhatte. Sowas mache ich immer gerne, mit den Leuten reden. Da bin ich neugierig.“ Werner Schenk ist gerne Polizist. Auch wenn die Arbeit oft undankbar sei.

„Das ist die pure Freude an der Gewalt!“

Der Respekt vor der Polizei sei schon lange verloren gegangen. Erst letztens wären Polizisten im Streifenwagen von einem Unbeteiligten mit einer Bierflasche beworfen worden. „Ich denke, das liegt auch daran, dass die Gesellschaft irgendwo verroht. Jeder hat in der Jugend Blödsinn gemacht und beim Zeltfest herumgerauft. Früher, auch im Dienst, wenn da einer zu Boden gegangen ist, dann war Schluss. Heute tritt der noch zum Kopf hin. Und das kann ich mir nicht erklären, wieso das so ist. Das ist die pure Freude an der Gewalt.“

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Mittlerweile ist Werner Schenk nicht mehr „in der ersten Reihe“, weil er auch viele organisatorische Dinge zu tun hat.

Die Polizei hat eine Kontrollfunktion. „Wieso machen viele potentielle Täter nicht, was sie sich im Kopf ausmalen? Aus Angst vor der Strafe!“ Ich soll mir vorstellen, die Exekutive in Österreich würde für eine Woche zurückgezogen werden. Die Polizisten würden sich  in das Revier zurückziehen und die Bevölkerung sich selbst überlassen. „Dann würden Sie nicht mehr auf die Straße gehen können!“ Ich frage Werner Schenk, ob er den Film „The Purge“ kenne. Nein, aber „Das Experiment“ kenne er, den habe er schon öfter gesehen. „Ich sage Ihnen, die Abgründe der menschlichen Seele sind tief – und ich hab schon oft hinein geschaut!“

Auf Streife

Er erzählt mit ruhiger Stimme von zugerichteten Leichen und Selbstmorden. Man erlebe Dinge, die man mit nachhause nimmt. Die einen noch Tage nicht loslassen. „Manchmal sitzen wir nach dem Dienst noch bei einem Bier zusammen und reden darüber, dann ist es schon leichter“, erzählt er mir. Es klopft an der Türe. Es ist 21 Uhr, Zeit, mit der Streife zu beginnen. Ich bekomme eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Polizei“. „Bitte ziehen Sie die an, wenn irgendwas ist“, wirft Bezirksinspektorin Anna Frass noch ein, dann steigen wir in den Polizeiwagen.

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Per Funk tauschen sich die Beamten mit der Polizeistreife Graz Umgebung aus.

Mit Bezirksinspektorin Anna Frass, Inspektorin Anja Lorenz und dem Chefinspektor beginnt die Streife. „Das sind zwei super Kolleginnen“, beteuert Werner Schenk. Fast ein Drittel der Besetzung der Inspektion Lend ist weiblich. „Meistens gibt es keine Probleme, aber ab und zu werden wir als Frauen weniger ernst genommen. Dann verlangen die Leute nach einem männlichen Kollegen“, erzählt Inspektorin Anja Lorenz. Ein Fall sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Nämlich, als sie mit einer Kollegin in einem Haus eintraf, in dem ein Mann damit drohte, seine Kinder aus dem Fenster zu werfen. „Niemand wollte mit uns reden. Das war brenzlig, als wir da noch auf einen männlichen Kollegen warten mussten.“

Brennpunkt Volksgarten

Langsam fahren wir die Keplerstraße entlang. Die Straßenbeleuchtung ist in dieser Nacht ausgefallen, stockdunkel ist es. „Manchmal kommen die Leute schon auf Ideen“, sagt Inspektorin Lorenz lachend. „Letztens hat da vorne ein Lokal ein Schild mit der Aufschrift ‚Hier günstiges Gras‘ vor die Türe gestellt.“ Sie zeigt mir ein Foto, das sie davon mit ihrem Handy gemacht hat. Drogen, das sei sowieso eines der großen Themen des Viertels. Auch wegen dem Volksgarten. „Das ist halt schwierig dort. Wir machen einen Schwerpunkt, ziehen wieder ab und nach ein paar Stunden ist wieder der normale Betrieb.“ Man könne nur versuchen, Dealer und Kunden zu stören. Dafür werde mittlerweile jede Nacht im Volksgarten kontrolliert. Deshalb fahren auch wir mit dem Streifenwagen in den Park. Es ist mittlerweile 22 Uhr, aber heute spielen sogar noch ein paar Kinder im Park. Ein junger Mann springt noch schnell vom Fahrrad ab, aber die Polizistinnen haben ihn schon entdeckt. „Man darf im Park nicht Rad fahren, außerdem hat er kein Licht“, erklärt mir Bezirksinspektorin Frass.

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Vor allem Gewalt- und Drogendelikte seien im Viertel häufig.

Weder Geld noch einen Ausweis hat der Radfahrer dabei. „Dann sagen’s mir ihre Adresse und wir treffen uns in 10 Minuten dort“, machen sich die Polizistinnen mit ihm aus. Ich wundere mich etwas, als der junge Mann ein paar Minuten später wirklich schon brav mit einem Zehner in der Hand auf der Straße wartet. Schwül sei es, ob er uns von oben was zu trinken holen soll. Die Freundlichkeit des gerade um Zehn Euro Erleichterten überrascht. „Die sind aber leider nicht immer so lieb“, erklärt der Chefinspektor zwinkernd. Wir fahren weiter. Im Funk wird durchgesagt, dass seit heute Mittag ein kleines Mädchen vermisst wird. Sie ist nicht mehr von der Schule nachhause gekommen. Drückendes Schweigen.

Die „Gschmierten“ und die „Heh“

Als wir die Mariahilferstaße entlang fahren, bemerke ich die  Blicke der Menschen. Neugierig, aber auch abschätzig werden wir im Wagen gemustert. Ich fühle mich sonderbar, ein bisschen als würde ich nicht dazu gehören. Vom Label „Freund und Helfer“ seien die „Gschmierten“ oder die „Heh“, wie sie gern genannt würden, sowieso weit entfernt, erzählt Werner Schenk. „Grundsätzlich braucht sowieso niemand die Polizei, aber wenn sie dann selber betroffen sind, können wir gar nicht schnell genug da sein. Aber das darf einen nicht berühren, sonst kann man den Job eh nicht machen.“  Es sei nun mal Aufgabe, die Gesellschaft zu ordnen. „Ich weiß schon, dass es keine dankbare Aufgabe ist, wenn ich einen strafen muss, wenn einer am Steuer telefoniert, oder nicht angeschnallt ist. Aber wenn er dann in ein anderes Auto fährt, war das wohl das kleinste Übel.“

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Auch Parksünder werden an diesem Abend von Inspektorin Lorenz abgestraft

Der nächste Radfahrer, der wegen fehlendem Licht aufgehalten wird, muss mit auf das Revier. Denn als er gebeten wird, seine Hosentaschen zu leeren, kommt ein zusammengeschnürtes Päckchen mit grünem, stark riechendem Inhalt zum Vorschein. „He, aber das will ich noch rauchen“, murrt er, als die Polizistinnen es ihm abnehmen. Mit einer Feinwaage werden später 6,3 Gramm gemessen. „Wir müssen das Packerl dann zur Untersuchungsstelle schicken“, erklärt mir Schenk. Dort wird festgestellt, ob es sich tatsächlich um Suchtgift handelt. „Es war aber noch nie Oregano“, schmunzelt der Chefinspektor.

„Die Kundschaft wartet!“

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Inspektorin Lorenz befragt den Festgenommenen

Geknickt sitzt der Verhaftete auf einer Bank in der Inspektion, während er befragt wird. Daran, wie derjenige, der ihm die Drogen verkauft hat, ausgesehen oder geheißen hat, will er sich nicht mehr erinnern können. Ich nutze die Zeit, um mich ein wenig umzusehen. Nur mehr vereinzelt sitzen Polizisten vor ihren Computern. Ein Ventilator kühlt surrend den Raum, leise Radiomusik spielt im Hintergrund. Der Duft von Kaffee liegt in der Luft. Der Mann darf wieder gehen, die Menge an Drogen, die er bei sich hatte, ist zu gering, um weitere Schritte einzuleiten. „Kommen Sie, unsere Kundschaft wartet“, ruft mir Werner Schenk zu. Wir verlassen das Revier und ziehen weiter Kreise im Streifenwagen. Per Funk werden die Polizisten zurück in den Volksgarten bestellt. Um Lärmbelästigung gehe es dieses Mal.

Schon von der Straße hört man Geschrei aus dem Park. Eine Gruppe betrunkener Männer verbringt den Abend mit Bier und Wein im Volksgarten. Frech rufen sie den Polizisten entgegen: „Brauchst du was?“ Die Männer beginnen mit den drei Polizisten zu diskutieren, immer lauter werden sie dabei. „Gute Nacht jetzt und leise ist’s. Geht nachhause, okay?“, ruft der Chefinspektor den Männern zu . „Ich schlafe hier. Ich habe kein Zuhause“, antwortet einer von ihnen. Die Polizisten steigen wieder in den Wagen. Nach ein paar Minuten wieder ein Funkruf. Es ist noch immer nicht leise im Park. Fünf Polizisten versuchen nun die sechs  Männer zu bändigen. Als einer der Männer zunehmend aggressiv wird, wird er kurzerhand festgenommen. Die anderen protestieren. Wo ihr Freund hinkomme, fragen sie. „Geht’s jetzt heim, er kommt dann nach“, erwidert Bezirksinspektorin Frass.

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Aus dem Park dringt Lärm, als wir ankommen.

„Das ist wahrscheinlich der ‚Anführer‘. Wir reden jetzt einfach mit ihm und erklären, dass das keine gute Sache ist“, klärt Werner Schenk auf, was mit dem jungen Mann passieren würde. „Dann darf er wieder gehen.“ Aber er will bleiben, erklärt der Festgenommene als wir im Revier ankommen. Er würde gerne ins Gefängnis kommen, Zuhause habe er sowieso keines. „Ja, solche gibt es eben auch“, erklärt der Chefinspektor unschlüssig. Man müsse nun überlegen, was man mit ihm mache. Es ist mittlerweile ein Uhr morgens und ein wenig hilflos wirken die Beamten nun. Während die Polizisten in dieser Nacht noch bis zwei Uhr in der Inspektion bleiben, um ihren Dienst zu beenden, muss der Festgenommene wieder gehen.

 

 

Wenn Eva nicht gerade im Annenviertel recherchiert, steckt sie ihre Nasen am liebsten in Bücher, geht ins Theater oder verreist. In ein paar Jahren wahrscheinlich in Berlin anzutreffen.

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