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Flucht aus Syrien: „Seltsam, wie schnell sich die Dinge ändern“

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Familie Al Shaar* ist vor einem Monat aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet nach Österreich geflohen. Ein Gespräch darüber, wie es ist, alles hinter sich lassen zu müssen, über ihr neues Heim in der Welschen Kirche am Griesplatz und das quälende Gefühl der Nutzlosigkeit.

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Auch sechs Kinder leben in der Welschen Kirche

In Syrien waren sie eine reiche Familie . Ein vierstöckiges Haus mit großem Garten. Die Mutter Anwältin, der Vater Sportlehrer und Besitzer eines Kleidungsgeschäfts. Fünf Kinder, das jüngste davon gerade mal vier Jahre alt. Die älteren Söhne studierten an der Universität, die jüngeren Geschwister besuchten gute Schulen. „Es ist schon seltsam, wie schnell die Dinge sich ändern. Früher haben wir armen Menschen geholfen , jetzt sind wir selbst auf die Hilfe anderer angewiesen“, erzählt die Mutter der Familie.

Denn als der Krieg kam, änderte sich alles. Überstürzt musste die Familie das Geschäft und ihre Habseligkeiten verkaufen, um Geld für die Flucht aufzutreiben. Das luxuriöse Haus in Al-Qamishli wollte niemand haben. Denn die nordsyrische Stadt liegt unweit der Dörfer, in denen sich kurdische Einheiten heftige Gefechte mit den Terrormilizen des IS liefern. Rund 300 Kilometer entfernt von Kobane.

70.000 Euro kostete die Flucht für die siebenköpfige Familie. In einem Container wurden sie, zwei Tage lang auf einem Lastwagen, nach Österreich transportiert. Zusammengepfercht in der Dunkelheit. Angekommen in Österreich, wurden sie im Flüchtlingslager Traiskirchen untergebracht. Nach acht Tagen dann die Nachricht, man hätte einen Platz für sie in Graz gefunden. Seit 20 Tagen wohnt die Familie nun, zusammen mit einem armenischen Pärchen, das ein Kind erwartet, in einer Wohnung über der Welschen Kirche.

250 neue Unterkunftsplätze für Flüchtlinge in kirchlichen Gebäuden haben die Diözese Graz-Seckau und die Caritas dem Land Steiermark vorgeschlagen. Nur zufällig wurde auch die Wohnung am Griesplatz zum Unterschlupf. Die Räumlichkeiten, die zuvor eine Studenten-WG beherbergten, waren eigentlich für ein anderes Projekt vorgesehen. Doch weil daraus nichts wurde, ist hier nun Platz für die zwei Flüchtlingsfamilien. Vereinbart sei, dass die Welsche Kirche für ein halbes Jahr als Unterkunft dienen solle.

Was danach mit der Wohnung passiert, hänge vom Bedarf ab, erklärt St. Andrä-Pfarrer Hermann Glettler. Ein bisschen besorgt sehen die beiden Eltern jetzt aus, als sie dem Pfarrer zuhören. „Doch falls nicht so schnell etwas anderes gefunden wird, könnt ihr selbstverständlich auch länger bleiben“, beruhigt er sie und legt die Hand auf die Schulter der Frau.

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Im ersten Stock der Welschen Kirche ist die Familie untergebracht

Die Annenpost wird spontan zu einem Besuch in der neuen Bleibe eingeladen, die Gastfreundschaft der Familien hat nicht unter den Ereignissen gelitten. Die kleine Tochter serviert dampfenden Tee, der Vater sitzt rauchend am Fenster. Fast den ganzen Griesplatz kann man von hier oben überblicken. Menschen gehen unten auf der Straße an der Kirche vorbei, niemand schaut nach oben. Zwei kleine Betten stehen neben dem Esstisch, nackte Puppen liegen am Fußende. Zur vollen Stunde läuten die Kirchenglocken eindringlich über uns.

So eng mit der Katholischen Kirche verknüpft zu sein, ist für die muslimische Familie kein Problem. „Die Kirche ist ein Haus Gottes, bei welchem Namen man ihn auch nennen mag.“ Auch den katholischen Gottesdienst besuchen sie gerne. Denn Halt im Glauben zu finden, sei jetzt wichtig. In Syrien hätten sie alles gehabt, hier in Österreich seien sie nun ganz unten. „Wir sind nicht nach Österreich gekommen um uns durchfüttern zu lassen. Wir hatten Angst um unser Leben und die Sicherheit unserer Kinder“, räumt die Mutter mit geläufigen Vorurteilen auf.

Besonders frustrierend sei es für die Familie keine Beschäftigung zu haben, in Syrien waren es die beiden Eltern gewohnt bis zu 60 Stunden die Woche zu arbeiten. Vor allem der Vater leide darunter, man fühle sich nutzlos. „Nur herumsitzen und zu essen, ist nicht genug, um zufrieden zu sein. Wir sind ja keine Tiere!“, sagt er. Sehr gerne würden sie wieder arbeiten, denn es fühle sich seltsam an, zu essen, ohne es sich selbst verdient zu haben. Doch Pfarrer Glettler lenkt ein: „Die Arbeit wird kommen, jetzt ist es Zeit, sich von der anstrengenden Flucht zu erholen!“

*Name von der Redaktion geändert

Wenn Eva nicht gerade im Annenviertel recherchiert, steckt sie ihre Nasen am liebsten in Bücher, geht ins Theater oder verreist. In ein paar Jahren wahrscheinlich in Berlin anzutreffen.

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