Der Grazer Versehrtensportclub gründet die zweite Blindenfußballmannschaft Österreichs – und setzt damit ein starkes Zeichen für Inklusion und Sportgeist. Was als Workshop begonnen hat, wächst nun zu einem ambitionierten Projekt mit Zukunft.
In Österreich ist Fußball Volkssport. Doch trotz der großen Beliebtheit steckt der Blindenfußball noch in den Kinderschuhen. Erst seit wenigen Monaten stellt der Grazer Versehrtensportclub (GVSC) mit seiner Blindensport-Abteilung eine Fußballmannschaft auf. Damit ist sie die erste außerhalb Wiens und die zweite in Österreich.
„Die Steiermark ist halt klein“, meint Linda Kanzler, Trainerin des GVSC. „Es gibt einfach wenige Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderungen, die aktiv Sport treiben – und noch weniger Trainer:innen, die sie dabei unterstützen können.“ Selbst im Verhältnis zur Größe Wiens gebe es dort nur wenige Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen. Auch wenn grundsätzlich Interesse vorhanden sei, bleibe es oft nur bei der Idee. Oftmals scheitere es an der Umsetzung – sei es aus Mangel an Unterstützung oder fehlender Eigeninitiative.
Umso wertvoller sei das Engagement von Anna-Maria und Jonas, die den Blindenfußball nach Graz gebracht haben. Beide Student:innen sind seit längerer Zeit Mitglieder des GVSC und sehr aktiv in der Blindensport-Sektion. Ursprünglich wollten sie letzten Herbst – mit Unterstützung der Wiener Vereine – einen Workshop zum Blindenfußball organisieren. Doch aus der Idee wurde schließlich die Gründung einer ganzen Mannschaft. Trotz der Hilfe von Kanzler und ihrem Ehemann Franz Kager, dem Sektionsleiter für Blindensport, betont die Trainerin: „Die beiden machen das wirklich selbst. Wir unterstützen nur.“ Dennoch hat selbst Anna-Marias Abwesenheit wegen eines Auslandssemesters der Mannschaft keinen Abbruch getan. Mittlerweile trainiert das Team jeden Dienstag auf dem Bezirkssportplatz Reininghaus, der vom Grazer Sportamt gratis zur Verfügung gestellt wird.

Wie Blindenfußball funktioniert
Schon von weitem ist das Training deutlich zu hören: ein stetiges Klirren vom Ball, dazwischen laute „Voy”-Rufe der Spieler:innen und klare Kommandos von der Trainerin. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, folgt in Wahrheit klaren Abläufen.
Auch im Blindenfußball jagen alle Spieler:innen dem Ball hinterher. Nur sorgen Rasselkugeln darin dafür, dass jede Ballbewegung hörbar bleibt. So wissen die Mitspieler:innen jederzeit, wo er sich befindet und wie schnell er sich bewegt. Nähert sich ein Spieler oder eine Spielerin dem Ball, muss er oder sie laut „Voy!“ rufen – Spanisch für „Ich komme!“. Dieser Ruf soll Kollisionen verhindern, denn Blindenfußball ist deutlich körperbetonter als herkömmlicher Fußball. „Es ist eine wilde Sportart“, sagt Jonas. „In den paar Wochen, in denen wir jetzt trainieren, hatten wir schon eine gebrochene Nase und eine geprellte Hand.“ „Und ein Cut auf der Stirn, nicht zu vergessen!“, wirft eine Mitspielerin lachend ein. Deshalb tragen bei offiziellen Turnieren alle Feldspieler:innen zusätzlich zu ihren Dunkelbrillen auch einen Kopfschutz.
Begrenzt wird das Feld durch Banden, die den Ball im Spiel halten und den Spieler:innen helfen, sich räumlich zu orientieren. „40 mal 20 – da verlierst du dich schnell einmal“, sagt Jonas. Um die Orientierung zu erleichtern, gibt es klare Anweisungen von außen, wobei das Spielfeld hierbei in drei Zonen unterteilt ist: Verteidigung, Mittelfeld und Angriff. In jeder Zone darf jeweils eine sehende Person Anweisungen geben – der Torwart hinten, der Coach in der Mitte und ein Guide hinter dem gegnerischen Tor. Kommunikation sei ohnehin das Wichtigste. Neben den Kommandos von außen ist der Dialog unter den Spieler:innen auf dem Spielfeld entscheidend. „Das ständige Reden beim Laufen kostet auch viel Kraft“, erklärt Trainerin Kanzler. „Deswegen spielen wir beim Aufwärmen oft Fangen mit Dunkelbrillen – und jeder muss dabei laut rufen.“
Ein offizielles Spiel dauert zweimal 15 Minuten. Eine Mannschaft besteht aus vier Feldspieler:innen und einem Torwart. Bei den Matches der Männer müssen alle Feldspieler vollständig blind (B1) sein. Während man bei den Frauen auch mit Sehrest (B2/B3) spielen kann. Der Torwart oder die Torfrau darf sehend oder sehbehindert sein (B2/B3). Damit alle dieselben Voraussetzungen haben, tragen alle Feldspieler:innen blickdichte Dunkelbrillen.
Sehende Personen hingegen dürfen bei offiziellen Matches nicht mitspielen, da diese auch ohne Sehkraft während des Spiels einen Vorteil hätten. „Sehende tun sich viel leichter, Grundabläufe zu lernen“, erklärt Jonas. Allein die Möglichkeit, ohne Brille zu trainieren, ergebe einen unfairen Wettbewerbsvorteil. Deswegen dürfen sie lediglich an Trainings oder Freundschaftsspielen teilnehmen, aber nicht an offiziellen Wettbewerben. Nur als Tormann oder Torfrau dürfen Sehende antreten – was jedoch nicht zu unterschätzen sei: „Weil der Schütze das Tor nicht mit den Augen anvisiert, ist es viel schwerer vorherzusagen, wohin der Ball geht.“ Weil der Torhüter oder die Torhüterin den lediglich zwei Meter großen Strafraum nicht verlassen darf, kommen die Schützen aus kürzester Distanz zum Abschluss.

Blindenfußball in Österreich
Der österreichische Blindenfußball ist eng mit allen drei sportübergreifenden Sportdachverbänden verbunden: dem Allgemeinen Sportverband Österreich (ASVÖ), der Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich (ASKÖ) und der Sportunion. 2009 gründete der Versehrtensportclub ASVÖ-Wien (VSC) Österreichs erste Blindenfußballmannschaft, später folgte der ASKÖ mit einer Abteilung des Allgemeinen Behindertensportverein-Wien (ABSV).
In Deutschland hingegen existiert bereits seit 2008 die Deutsche Blindenfußball-Liga. Das macht die enge Zusammenarbeit des Deutschen Behindertenverbandes und des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes mit dem Deutschen Fußballbund möglich. Dementsprechend sind auch große deutsche Fußballvereine mit einer Blindenmannschaft vertreten. In Österreich besteht eine solche Zusammenarbeit zwischen dem ÖFB und dem Blindenfußball nicht. Erst 2021 trat der Österreichischer Behindertensportverband (ÖBSV) als BSV 1958 – wobei die Jahreszahl für das Gründungsjahr des ÖBSV steht – an. Somit waren sie bis vor zwei Jahren die erste österreichische Vertretung in der deutschen Liga.
Der VSC und ABSV Wien fusionierten ihre Mannschaften und nahmen den Platz des BSV 1958 ein. Bis heute treten die Vereine gemeinsam als VSC/ABSV Wien an.
So ist der Grazer Versehrtensportclub erst die zweite aktive Blindenfußballmannschaft Österreichs. Mit der Mitgliedschaft bei der Sportunion bietet nun je ein Verein eines Dachverbands Blindenfußball an. Doch bis zu einer eigenen Liga oder einem Cup-Wettbewerb in Österreich ist es noch ein weiter Weg. „Das steht in den Sternen. Aber wenn es genug Mannschaften gibt, wird es das sicher geben“, meint Jonas. Auch eine Teilnahme an der deutschen Liga ist für die Grazer vorerst unrealistisch: „Das liegt an der Organisation, Zeit und natürlich Finanzierung.“
Trotzdem blickt man zuversichtlich in die Zukunft: Noch in diesem Herbst soll in Graz ein Turnier mit vier Mannschaften stattfinden. Bisher sammelte die Mannschaft erste Spielerfahrung nur bei einem Freundschaftsspiel in Ljubljana. Um künftig auch bei offiziellen Wettbewerben antreten zu können, will der GVSC eine eigene Herren- und Damenmannschaft aufbauen. Mit der Gründung will man außerdem andere Vereine motivieren, Blindenfußball ins Programm zu nehmen. In der Hoffnung, den Blindenfußball in Österreich weiter aufzubauen.
Titelbild: Jonas (r.) im Training mit seinen Mannschaftskollegen – Foto: Andreas Jell