Das Schiff des Theseus
Lesezeit: 2 Minuten, 51 Sekunden

Mit der Zille auf Identitätssuche

in KULTUR von

Christian Winkler lässt im Theater am Lend die Geschichten von vier Personen mit Roma-Wurzeln aufleben.

von: Sarina-Danielle Pinczar, Sofia Müller Garcia & Karoline Pilich

“Bin ich noch ich oder bin ich jetzt jemand anderes?” Diese Frage stellt sich Bernhard Berl in der Performance “Das Schiff des Theseus” im Theater am Lend. Er spricht darüber, wie er mit 20 eine Entdeckung machte und herausfand, dass er eigentlich Roma-Wurzeln hat. Die Performance wird derzeit im Theater am Lend aufgeführt. Autor und Regisseur Christian Winkler, unter seinem Pseudonym Franz von Strolchen, verarbeitet in seinem Werk vier wahre Geschichten, die alle in irgendeiner Form mit dem Schicksal der europäischen Roma und Romnja zu tun haben. 

Den Auftrag, ein Stück über Rom:nja zu kreieren, erhielt Christian Winkler im Rahmen eines EU-Projekts. Das KunstLabor des Vereins uniT sucht in diesem Projekt nach neuen Lösungen für die Klimakrise. Winkler selbst hat keine Roma-Wurzeln und hatte daher zunächst Zweifel, ob er das Projekt realisieren solle, wie er im Gespräch vor der Aufführung erläutert. Schlussendlich fasste er den Entschluss, die Geschichte eines Grazer Freundes, Bernhard Berl, zu rekonstruieren. 

Christian Winkler leitet die Performance ein. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Die Zille des Theseus

Berls Geschichte bildet nicht nur das Fundament der Performance, sondern diente auch als Inspiration für das Bühnenbild. Im Zentrum der Bühne befindet sich eine alte Feuerwehr-Zille. Es ist, wie Winklers Recherchen ergeben haben, genau dieselbe Zille, die vor 85 Jahren stumme Zeugin einer tragischen Szene wurde. Es ist genau dasselbe Boot, das Augenzeugen damals dazu nutzen hätten können, Bernhards Großmutter zu retten. Sie sah angesichts der Verfolgung durch die Nationalsozialist:innen aufgrund ihrer Roma-Wurzeln keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen, und stürzte sich am Tag des “Anschlusses” in die Mur. 

Während des Stücks wird die Zille von den Darsteller:innen laufend auseinandergenommen und mit anderen Teilen erneuert. Als Inspiration dafür diente das Paradoxon “Das Schiff des Theseus” aus dem alten Griechenland. Das Paradoxon handelt von einem Schiff, bei dem auf seiner Reise jedes Teil einmal ausgetauscht wird. Philosophisch stellt sich die Frage, ob das Schiff noch dasselbe ist, das losgefahren ist oder ein anderes.

Ausgrenzung von Rom:nja

Rom:nja haben auch heute noch mit Ausgrenzung und Vorurteilen zu kämpfen, erklärt Winkler im Gespräch. Winkler betont, dass es ihm daher sehr wichtig war, ein positives Narrativ auf die Bühne zu bringen, das den Klischees den Rücken kehrt. Im Fokus der Inszenierung steht die Identität von vier Darsteller:innen. In der Performance stellt jede:r von ihnen seine bzw. ihre erlebte Geschichte auf ganz persönliche Art vor. 

Das Publikum erfährt so die Geschichte von Franciska Farkas, die mit dem Film “Viktoria: A Tale of Grace and Greed” bekannt wurde, und der es nicht gefällt, dass sie aufgrund ihrer Herkunft in Filmen immer nur Roma-Rollen spielt. Oder von Vinko Cener, einem slowenischen Journalist und Moderator, dem es in seiner Kindheit untersagt wurde, Romani zu sprechen, obwohl es seine Muttersprache ist. “Eine Sprache ist, wer du bist. Einige Dinge kann man nur in seiner Muttersprache ausdrücken”, ist Christian Winkler überzeugt. Daher gibt er jeder und jedem der Akteur:innen die Möglichkeit, die eigene Geschichte in der Muttersprache zu erzählen – neben Deutsch und Englisch auch Mazedonisch, Ungarisch, Slowenisch und Romani. Das erlaubt dem Publikum, diese Lebensgeschichten hautnah und persönlich nachzuempfinden. 

Die Melodie der Sprache

Musikalisch wird die Performance  von Ivan Trenev (Akkordeon) und Moritz Weiß (Klarinette/Bassklarinette) umrahmt. Auch ein mazedonisches Lied erklingt zwischendurch. Gesungen wird es von Natalija Teodosieva , die zum Lied eine besondere Verbindung hat. In ihrer Kindheit hat ihre Großmutter  ihr das Lied vorgesungen. “Musik gibt einem die Möglichkeit zu hören, wie andere Sprachen klingen”, kommentiert Winkler, der mit seinen Werken regelmäßig im Theater am Lend vertreten ist.

Mazedonische Schauspielerin bringt auf der Bühne ihre Geschichte zum Ausdruck. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Diesen Samstag kann man sich zum letzten Mal zusammen mit Christian Winkler im Theater am Lend auf die Spuren der Roma begeben. Bereits im Dezember kehrt er mit seinem neuen Stück “Boji” ins Theater zurück.

 

Titelbild: Die Schauspieler performen teilweise auch auf dem Boot. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Geboren 2002 und aufgewachsen in der südsteirischen Weinregion Gamlitz, jetzt wohne ich in Graz. Seit Oktober 2023 studiere ich Journalismus und PR. Davor habe ich die Handelsakademie absolviert und meine Begeisterung für Politik entdeckt.

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