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Große ÖVP-Show im Lend

in POLITIK & WIRTSCHAFT von

Es passiert nicht alle Tage, dass Kanzler und Ex-Kanzler im Annenviertel vorbeischauen. Vom Parteitag in der Helmut List Halle erhofft sich die ÖVP nach dem Umfragetief wieder ein wenig Rückenwind. Ein Einblick hinter die Kulissen des Events.

Da ist ordentlich was los. Diese Erkenntnis haben wohl alle, die sich an diesem sonnigen Samstagnachmittag in der Nähe der Helmut List Halle im Lend aufhalten. Schon von Weitem ist laute Musik zu vernehmen, dazu hat sich im Bereich vor der Halle bereits ein bunter Mischmasch von Polizist:innen, Funktionär:innen und Schaulustigen eingefunden. Schon lange vor dem Einlass gibt es ein kleines Spektakel zu sehen, auch, weil sich einige mit dem Besuch der Volkspartei in Graz aus vielfältigen Gründen nicht anfreunden können. Der Verein gegen Tierfabriken hat kleine Zelte aufgestellt und protestiert lautstark. Auch ein Gegner der Corona-Maßnahmen macht in hellgrüner Weste einen kurzen Rundgang und präsentiert Slogans wie „Ich bin ein gesunder Mensch, ihr könnt mich nicht einsperren.“ Im Anschluss hat ein hastig ausgerolltes Plakat der Kommunistischen Jugend Steiermark seinen großen Auftritt. Mit der Aufschrift Herzlich Willkommen zum 40. Parteitag der Huren der Reichen“ – eine Anspielung auf eine in Folge der Chat-Affäre veröffentlichte Textnachricht – thront es hoch über den Köpfen der Funktionär:innen auf einem Nebengebäude.

Das Plakat der Kommunistischen Jugend wurde sogar in der Schriftart der ÖVP-Wahlplakate verfasst. – Foto: Mathias Huber

Ein kleiner Wagen mit einem stechend pinken Wahlplakat der NEOS auf der Ladefläche zieht unauffällig seine Kreise. Mittlerweile scheint die farbenfrohe Menschenmenge von tiefem Schwarz verschluckt zu werden. Schwarz, das in Form von schicken BMWs und eleganten Anzügen immer präsenter wird. Die Hautevolee der ÖVP“, wie sie ein Demonstrant spöttisch bezeichnet, trifft allmählich ein. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ist einer der ersten aus der Parteispitze. Gemütlich marschiert er mit einer kleinen Entourage vom Wagen zum Eingang. Kurze Zeit später folgt ihm Staatssekretärin Claudia Plakolm, sie ist ebenfalls in Begleitung. Beide verschwinden einige Sekunden später hinter der Wand von Polizist:innen und Funktionär:innen, die sich vor den Toren der Halle aufgebaut hat.

Jetzt kommen auch die ersten Funktionäre an. – Foto: Fabian Hasler

Der türkise Tempel

Vorbei an besagter Wand erhält man ein Armband und es geht weiter in einen kleinen, von Absperrungen begrenzten Tunnel. An dessen Seiten sind prägende Momente und Personen in der Historie der ÖVP abgebildet. Auf den letzten Metern baut sich der Eingangsbereich der Halle vor den Besucher:innen auf. Dort stehen einige Funktionär:innen, viele in angeregte Gespräche vertieft. Unter ihnen ist auch Generalsekretärin Laura Sachslehner. Sie begrüßt alle Ankömmlinge mit einem Händedruck. Überhaupt scheint das gute alte Shake-Hands“ an diesem Nachmittag nahezu dauerhaft präsent zu sein. Überall klatschen sich die Leute ab, oft freundschaftlich, mal etwas verhaltener und formaler. Nach den ersten Begrüßungen geht es weiter ins Innere der Halle. Schier endlose Reihen von Stühlen säumen den Saal, vor ihnen die Bühne mit dem Rednerpult. Links und rechts der Bühne befinden sich gigantische Bildschirme, auf denen schon die ersten Wahlkampfsprüche zu lesen sind. Im hinteren Bereich der Halle haben die anwesenden Medienvertreter:innen bereits ihre Kameras und Stative aufgebaut. Alles scheint bereit für den Anpfiff des türkisen Heimspiels. Wenig später leitet Moderator Peter Madlberger mit enthusiastischen Rufen den Beginn des Parteitags ein. 

Der Vorhang geht auf

Nach der Reihe werden die wichtigsten Vertreter:innen vorgestellt, von den frisch zurückgetretenen Schramböck und Köstinger bis zu den Innen- und Bildungsministern. Sie werden überschwänglich angekündigt. Zwischendurch scheint Moderator Madlberger fast ein wenig über die Stränge zu schlagen – so wird Staatssekretärin Plakolm kurzerhand als Verteidigungsministerin annonciert. Peinlich berührt korrigiert er seinen Fehler kurze Zeit später. Er könne sich „gar nicht halten, da kann sowas schon mal passieren“, sagt er und blickt entschuldigend Richtung Claudia Tanner, die den Fauxpas wegzulachen versucht. So weit, so holprig. Dann kommt der wichtigste Mann im Raum auf die Bühne. Bundeskanzler Karl Nehammer beginnt seinen ersten Kurzauftritt mit einem zufriedenen Grinsen und einem Seitenhieb gegen den wohl prominentesten Krankheitserreger unserer Zeit. So viele in so einem kleinen Raum heißt auch so viele Viren – aber jetzt kümmert es uns nicht mehr!” schreit er ekstatisch ins Mikrofon. Eine Aussage, für die er sich einige Tage später in der Kronen Zeitung entschuldigen wird. Danach folgen einige Grußworte, begleitet von generisch klingender Musik. Die Halle klatscht sich ein.

Der Hausherr spricht

Anschließend übernimmt Madlberger wieder das Wort. „Es ist oft nicht einfach mit uns“, stellt er fest, eine Anspielung auf die eher unrühmlichen Ereignisse innerhalb der Partei in den letzten Monaten. Wir machen es uns auch oft nicht einfach, aber wenn es einfach wäre, dann bräuchte man uns nicht!”, schlussfolgert er und schließt damit den Kreis von der Selbstkritik zum Selbstlob. Der nächste Redner ist  der Gastgeber“ des Abends, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. Er hält sich kurz, bedauert zunächst den Verlust des Bürgermeisteramts an die KPÖ bei den Grazer Gemeinderatswahlen vergangenes Jahr, dann richtet er einige Worte an die Delegierten und bittet sie, bei der Wahl zum Bundesparteiobmann für Karl Nehammer zu stimmen. Eine Bitte, die auch andere Redner:innen an diesem Nachmittag geradezu mantraartig wiederholen werden. Nehammer solle gestärkt werden, das sei die Hauptsache.

Der junge und der alte Alt-Kanzler

Etwas überraschend besteigt Sebastian Kurz wenig später nicht etwa alleine, sondern gemeinsam mit Wolfgang Schüssel die Bühne. Beide werden als Ex-Kanzler angekündigt, ihr Gespräch kreist zunächst um den Ukraine-Krieg und europäische Werte. Schüssels Tätigkeit als Aufsichtsrat im russischen Ölkonzern Lukoil, die er erst mehr als eine Woche nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine beendete, wird mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen inszeniert man ihn als Initiator des österreichischen EU-Beitritts. Kurz hingegen präsentiert sich wie auf Abschiedstournee – Ambitionen für eine Rückkehr in die Politik scheinen im Auftritt des 35-Jährigen nicht präsent. Überhaupt wirkt er an diesem Nachmittag hin- und hergerissen – mal im Jubel der Menge badend, mal zurückhaltend. Das hier ist nicht sein Parteitag, er ist nicht mehr die Gallionsfigur der Volkspartei. Trotzdem fällt der Applaus für ihn auffallend üppig aus. Auch Schüssel bekommt viel Zuspruch, er stachelt die Menge ohne Unterbrechung an. Der ältere der beiden Alt-Kanzler schießt gegen alle, die der Partei schaden wollen“, wie er sagt. Gleichzeitig verteidigt er immer wieder die Reformen, die in seiner Amtszeit durchgesetzt wurden. Es wirkt, als halte er eine Rede für eine Wahlkampf, der bereits zwanzig Jahre her ist. Das ist auch Kurz nicht entgangen. Ich bin ein bisschen mehr aus der Übung als er, was euphorische Wahlreden betrifft“, witzelt er. 

Der Showman

Nach Kurz und Schüssel folgen Formalitäten wie die Präsentation des Finanzprüfungsberichts. Das ist genauso unspektakulär, wie es sich anhört. Dann soll es aber wieder spannender werden, ein Einpeitscher wird angekündigt. Er habe ja schon so manche legendäre Rede gehalten, heißt es. Klubchef August Gust“ Wöginger wird somit schon vor seinem Gang auf die Bühne der verbale rote Teppich ausgerollt. Karl Nehammer als Lenker eines Schiffes durch einen schweren Sturm – dieses Bild zeichnet Wöginger in seiner Rede vom Kanzler und seiner Partei. Und der Karl bringt uns da durch!“, ruft er ins Mikrofon. Überhaupt erhöht der Gust“ einige Male merklich die Lautstärke und macht daraufhin immer wieder eine Pause, um den Anwesenden Zeit zum Applaudieren zu geben.

Die Spannung steigt

Nach August Wöginger ist vor Günther Platter. Und auch der Tiroler Landeshauptmann beginnt seine Performance mit einer, wenn auch etwas kürzeren, Lobeshymne für Karl Nehammer. Schließlich ist Platter nicht als Einpeitscher, sondern als Verkünder einer möglichst frohen Botschaft nach Graz gekommen: Er darf das Endergebnis der Wahl zum Bundesparteiobmann bekanntgeben. Bevor es mit besagter Wahl losgehen kann, muss deren einziger Kandidat aber noch offiziell seinen Hut in den Ring werfen. Den großen Auftritt beginnt der Kanzler mit einem vorab produzierten Film, der einen Einblick in den Alltag eines Regierungschefs geben soll. Mit emotionsgeladenen Bildern und sanften Klängen sollen die Zuseher:innen eingestimmt werden, noch bevor der anwesende Nehammer zu sprechen beginnt. Dieser geht anschließend über eine Stunde lang gefühlt das gesamte Wahlprogramm der Partei durch. Dann kommt aber endlich das, worauf alle gewartet haben. Eine Pause wird angekündigt und die Delegierten ziehen sich zurück, um ihre Stimme abzugeben. Zeit für die Besucher:innen, das eine oder andere Getränk zu genießen. Genaue Prognosen über ein mögliches Ergebnis der Wahl will dabei keiner so recht abgeben. Ein ÖVP-Gemeinderatsmitglied gibt lediglich auf Nachfrage das Überschreiten der 90-Prozent-Hürde als Ziel an. Er könne sich aber eigentlich keinen Grund vorstellen, wieso auch nur ein einziger Delegierter nicht für Nehammer stimmen sollte. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der JVP-Bezirksobmann im Lend, Sebastian Lechmann. Zudem sei man aber einfach froh, dass der Parteitag hier im Viertel stattfinden würde. Kurz danach bittet Moderator Madlberger die Leute, wieder auf ihre Plätze zurückzukehren. Das Wahlergebnis ist da.

Karl der Große

Bevor er das Geheimnis lüftet, macht es Günther Platter spannend. „Es wurden 524 Stimmen abgegeben, davon gültig sind… 524 Stimmen“, sagt er in einer sonoren Stimmlage. „Und auf Karl Nehammer entfallen… 524 Stimmen!“ In der Halle brandet tosender Jubel auf. Es ist ein Ergebnis, mit dem in dieser Deutlichkeit wahrscheinlich niemand gerechnet hat.

Standing Ovations für den Kanzler nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses. – Foto: Mathias Huber

Auch Nehammer wirkt ein wenig überrascht. Trotzdem lässt er sich erst einmal in aller Ruhe von den Anwesenden feiern. Noch in seiner Dankesrede ruft er als Wahlziel die Verteidigung der „Pole Position“ bei der nächsten Nationalratswahl aus. Dann die 100% zu erreichen, wird wohl um einiges schwieriger werden.

 

Titelbild: Kanzler Nehammer hält die wichtigste Rede des Nachmittags. – Foto: Mathias Huber

 

Aus einem kleinen Dorf in der Obersteiermark, jetzt heimisch in der Murmetropole. Politik- und sportbegeistert und 24/7 am Singen. Sorry, Nachbarn.

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