„Zu Ende gehen“ – Über das Spiel mit dem Erdball

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Am Fußballplatz des steirischen Fußballverbands in der Herrgottwiesgasse im Gries wird vom Theater im Bahnhof noch bis einschließlich 10. Juli das Theaterstück ZU ENDE GEHEN. Ein Klima-Match aufgeführt. Brandheiße Themen wie Erderwärmung, Bodenversiegelung und Aktivismus werden dabei theatralisch verarbeitet. Ein Bericht von der Seitenlinie über ein Stück mit ökologischer Relevanz.

Mit den letzten Sonnenstrahlen eines warmen Sommertags beginnt auf dem Grün des steirischen Fußballverbands ein geschäftiges Treiben. Doch ausnahmsweise jagen heute keine 22 Spieler:innen einem Ball hinterher. Stattdessen nimmt auf der Wiese die Odyssee einer einsamen Aussteigerin ihren Anfang.

Anpfiff für den Neuanfang

Die von Darstellerin Gabriela Hiti verkörperte namenlose Hauptfigur lässt vor Spielbeginn ihr bisheriges Leben hinter sich. Sie beschließt Auto und Wohnung zu verkaufen und stattdessen ein Fußballfeld zu erstehen, das sonst versiegelt werden würde. Fortan gestaltet sie das Feld um, statt Hobbykickern sollen sich von nun an Pflanzen und Tiere wohlfühlen können. In diesem kathartischen Prozess führt die selbsternannte Gärtnerin immer wieder einen inneren Monolog, bei dem sich ihre Gedanken zu gesellschaftlichen Problemen mit dem persönlichen inneren Konflikt vermischen.

Dabei ist der Fußball als Grundthema des Stücks durchwegs präsent. Metaphern, Wortwitze und Doppeldeutigkeiten binden ihn immer wieder in die Handlung ein. Verspielte dramaturgische Einwürfe kombiniert mit ikonischen „One-Linern“ aus der Fußballwelt erhöhen nicht nur den Unterhaltungswert, sie bringen das Publikum auch dazu, auf eine andere Weise mit den ernsteren Aspekten der Aufführung umzugehen. Ein Effekt, der von den Kulturschaffenden hinter der „Theater im Bahnhof“-Produktion bewusst gefördert wird. „Wir wollten kein Stück mit erhobenem Zeigefinger machen. Stattdessen wollten wir eine Geschichte erzählen und einen lustvollen Umgang mit der Thematik vermitteln“, erzählt Regisseurin Johanna Hierzegger.

Gabriela Hiti beackert alle 600m² des Felds. – Foto: Johannes Gellner

Neutraler Boden statt „Gruabm“

Die Idee zum Stück kam Hierzegger beim Durchblättern einer Tageszeitung. „Ich habe einen Artikel zur Regenwaldabholzung gelesen, in dem die gerodete Fläche in Fußballfeldern dargestellt wurde. Da dachte ich mir: Wieso nicht auch das Stück auf einem Fußballplatz machen?“, erklärt sie. Gemeinsam mit ihrer Schwester und Regiekollegin Pia Hierzegger und der ebenfalls in direktiver Funktion tätigen Gabriela Hiti begann sie sogleich, nach einem passenden Platz zu suchen. Fündig wurden die drei Frauen schließlich in der Herrgottwiesgasse 134, wo der steirische Fußballverband sein Zuhause hat. Den Kontakt zum Verband bekamen sie eher zufällig, die Zusammenarbeit sei dann aber sehr unkompliziert verlaufen. Ein Telefonat und eine Präsidiumssitzung später hatten sie die Erlaubnis zur Nutzung des Felds. Eine glückliche Wahl, auch, weil der Grund keinem herkömmlichen Verein, sondern dem neutralen Verband gehört, findet Pia Hierzegger. „Wenn wir uns zum Beispiel für die Gruabm entschieden hätten, wären ganz sicher keine GAK-Fans gekommen“, lacht sie.

Die Allrounderin und ihre Mannschaft

In jedem Fall werden sportliche Rivalitäten für die Zuseher:innen an diesem Tag zur Nebensache. Stattdessen lauschen sie auf der Tribüne einer vielfältigen Geräuschkulisse. Allrounderin Gabriela Hiti treibt dabei mit ihren Erzählungen beständig die Handlung des Stücks voran, unterstützt wird sie dabei von eingespielten Soundeffekten sowie musikalischen Eigenkompositionen ihres Sohnes Benno Hiti, der auch in der Band Kobrakasino tätig ist. Erzählungen, Musik und Effekte kann das Publikum über die von den Veranstalter:innen verteilten Kopfhörer aus nächster Nähe erleben. Schauspielerischen Support für die Hauptdarstellerin sucht man auf dem Feld vergebens, Hiti spult allein routiniert Kilometer wie Textzeilen ab. Lediglich der Platzwart des hiesigen Verbands leistet ihr mit einen humorvollen Kurzauftritt vorübergehend Gesellschaft. In den Schlussminuten des Matches gegen Klimawandel, Bodenversiegelung und Umweltverschmutzung werden dann die wohl brennendsten Fragen des Nachmittags aufgeworfen: Wenn wir als Menschen nicht dazu in der Lage sind, mit unserem Planeten umzugehen, sind wir dann eine Fehlentwicklung der Natur? Und: könnten wir unsere Genialität nicht auch für das Gute einsetzen?

„Wir können das noch drehen“

Es sind Fragen, zu denen das Stück keine einfachen Antworten präsentiert. „Wir erhoffen uns einfach, dass die Leute zuschauen – und sich dann ihre eigenen Gedanken machen“, sagt Gabriela Hiti. Abschließend will man dem Publikum vor allem zwei Zitate mit auf den Weg geben. Zum einen: „Hoch werden wir das nicht mehr gewinnen“, Toni Pfeffers legendärer Sager beim Halbzeitinterview des 0:9-Debakels der Österreicher gegen Spanien 1998, als das ÖFB-Team zur Halbzeit bereits mit 0:5 im Rückstand lag. Zum anderen: „Wir können das noch drehen“, eine hoffnungsvolle Anspielung auf potenzielle Werkzeuge des Klimaschutzes. Am Ende bleibt somit nur noch die Frage: Wie hoch sind wir denn eigentlich im Rückstand?

 

Titelbild: Aufführung bei Flutlicht – Foto: Mathias Huber

Aus einem kleinen Dorf in der Obersteiermark, jetzt heimisch in der Murmetropole. Politik- und sportbegeistert und 24/7 am Singen. Sorry, Nachbarn.

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