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Geflüchtete aus Ukraine: Sprachbarriere leicht gemacht

in SOZIALES von

Vor über zwei Monaten kamen die ersten ukrainischen Geflüchteten in Graz an. Valeriy Stolyarenko möchte schnellstmöglich in seine Heimat zurück, Anastasia Boiko könnte sich in Österreich ein dauerhaftes Leben vorstellen. Die deutsche Sprache ist trotzdem für beide wichtig.

Valeriy Stolyarenko sitzt im Garten seiner Tochter in Gössendorf und genießt den schönen Frühlingstag. Das Windspiel auf der Terrasse läutet in regelmäßigen Abständen und ein paar Vögel zwitschern in der Ferne. Seit rund zwei Monaten lebt er nun mit seiner Frau Liubov im Haus seiner Tochter, die wegen ihres österreichischen Mannes in Gössendorf sesshaft wurde. Stolyarenko studierte Germanistik und arbeitete bis zu seiner Pension vor sieben Jahren für deutsche Firmen in der Ukraine. Deshalb spricht er einwandfrei Deutsch und möchte diese Kenntnisse hier nutzen.

Für die Liebe nach Österreich

Stolyarenko ist einer von über 6.000 ukrainischen Geflüchteten in der Steiermark, rund ein Drittel davon hält sich in Graz auf. Am 6. März verließen er und seine Frau ihr Haus zwei Kilometer außerhalb von Kiew: „Das war die Bitte meiner Frau. Nur deswegen, ich wäre gerne geblieben. […] Ich habe sie hierher gebracht, weil ich sie so liebe.“ Da er in der Vergangenheit bereits öfters die Familie seiner Tochter besuchte, kannte er sich schon ein bisschen in Graz und Umgebung aus. 

Dieses Wissen will Stolyarenko sich jetzt auch zu Nutzen machen und nicht einfach „mit den Händen im Schoß rumsitzen“. Gleich am ersten Wochenende nach der Eröffnung des Flüchtlingszentrums in Graz dolmetschte er dort, um seine Deutschkenntnisse sinnvoll zu nutzen. Er fühlt sich mental und gesundheitlich in guter Lage und möchte daher trotz seiner Rente Geld verdienen: „Ich könnte natürlich als Dolmetscher arbeiten. Ich könnte irgendwo als Mechaniker arbeiten, in einer Autowerkstatt, in einem Flughafen. Ich könnte irgendwo Deutsch unterrichten.“

Wenn Valeriy Stolyarenko sich nicht gerade im Garten aufhält, unternimmt er etwas mit seiner Familie. – Foto: Jana Leimlehner

Stolyarenko hat eigentlich keine Lust mehr, sich im Alter von 67 Jahren in Österreich ein neues Leben aufzubauen. Am liebsten würde er so schnell wie möglich zurück: „Mein Herz liegt in der Ukraine.“ Seine Frau und er fühlen sich in Österreich aber willkommen. Er verspürt Herzenswärme bei den Österreicher:innen und könnte sich, wenn er noch jünger wäre, ein Leben hier gut vorstellen. Da seine Frau nun auch Deutsch lernen will, nimmt sie an den Deutschkursen der FH JOANNEUM teil.

Mit Deutschkursen einen Beitrag leisten

Wie Stolyarenkos Frau nehmen viele weitere ukrainische Geflüchtete an den Deutschkursen der FH JOANNEUM teil. 28 Lehrende führen mittlerweile 32 Lehrgänge, meistens sind es Student:innen der Karl-Franzens-Universität in Bereichen der Sprachwissenschaften. Iuliia Förster ist eine davon. Es war schon immer ihr Traum, Dolmetscherin oder Lehrerin zu sein. Sie entschied sich deshalb für das Studium „Übersetzen und Dialogdolmetschen“ in Graz. Mit ihrer Beteiligung an den Deutschkursen möchte sie einen kleinen Beitrag für die Betroffenen des Kriegs leisten. Die Russin besitzt eigentlich keine wirklichen Vorkenntnisse im Unterrichten und lernt selbst erst seit sechs Jahren Deutsch. Wie die meisten ihrer Kolleg:innen erklärte auch sie sich spontan dazu bereit, den Geflüchteten die deutsche Sprache näherzubringen.

Die Sprachkurse an der FH JOANNEUM sind nach Sprachniveau und in Altersgruppen eingeteilt. So gibt es neben den Erwachsenenkursen auch fünf Pensionist:innenkurse und einen Jugendkurs. Allesamt bestehen die Kurse jeweils aus 60 Einheiten, welche 45 Minuten lang sind. Die Kursperiode zieht sich somit über 15 Wochen. Pro Einheit bekommen Lehrer:innen wie Iuliia Förster 15 Euro. Ihre Gehälter werden von Spenden und Förderungen finanziert. Mit den Lehrbüchern, die zum Einkaufspreis zur Verfügung gestellt werden, kostet ein Kurs rund 1.400 Euro. Unter normalen Umständen gibt es an der FH pro Semester 20 Kurse, welche jeweils 4.500 Euro kosten.

Zu große Angst in der Heimat

Förster beginnt ihre 13. Einheit vergangenen Donnerstag mit Aufwärmfragen. „Wie geht es euch heute? Wie ist das Wetter? Regnet es?“, fragt sie in die Gruppe. Anastasia Boiko hört ihr aufmerksam zu, die Schulbank drückt die junge Mutter gerne freiwillig. Sie floh gemeinsam mit ihren drei Kindern und ihrem Ehemann nach Österreich. Ein Leben in ihrer Heimat nahe der umkämpften Großstadt Lwiw könne sie sich zurzeit nicht vorstellen, da ihre Angst dort zu groß wäre. 

Ihre Kinder fühlen sich in Graz sehr wohl und ihr Sohn möchte in naher Zukunft einem Sportclub beitreten. „Auch mir gefällt es hier sehr, weil es sehr sauber ist im Vergleich zur Ukraine. Das Leben ist hier aber auch viel teurer und wir wissen noch nicht, ob wir uns das leisten können“, übersetzt Iuliia Förster für sie. Boiko könne sich auch vorstellen, ihren Beruf als Managerin hier auszuüben. Dafür brauche sie aber erst einmal ausreichende Deutschkenntnisse.

Iuliia Förster (links) und ihre Schülerin Anastasia Boiko verstehen sich auch auf persönlicher Ebene gut. – Foto: Jana Leimlehner

100 warten noch auf einen Platz

Die regelmäßigen Unterrichtseinheiten sollen den Teilnehmer:innen jedoch nicht nur Wissen vermitteln, sondern sollen auch bei der Einfindung in ein routiniertes Leben helfen. Die meisten Schüler:innen von Iuliia Förster erfuhren über Facebook oder über Bekannte von dem Angebot. Boiko und ihre Kolleg:innen sind positiv gestimmt, sich schon bald auf Deutsch verständigen zu können.

Diese Motivation verspürt auch Christoph Hofrichter, der für die Sprachkurse verantwortlich ist. Er glaubt, dass die Mehrheit längerfristig hier in Österreich bleiben will. Das gelte insbesondere für die jüngere Generation. Aktuell stehen noch 100 angemeldete Personen auf der Warteliste. Zurzeit starten aber keine neuen Kurse mehr, da diese nicht mehr vor den Sommerferien beendet werden könnten. Es sei jedoch ein Intensivkurs für die Sommermonate in Planung.

Titelbild: Im Klassenraum hat die Lehrende Iuliia Förster die ungeteilte Aufmerksamkeit. – Foto: Jana Leimlehner

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