Eine Dame strickt einen grünen Pullover.

“Stricktastische” Zeiten im Annenviertel

Lesezeit: 3 Minuten

Stricken, Häkeln und Nähen boomen in Zeiten von Homeoffice & Co. Die Maschenwerkstatt liefert den Rohstoff zum Trend, Maria Reiner den sozialen Raum.

„Handarbeit war schon vor der Pandemie im Kommen, aber Corona verstärkte den Trend“, sagt Viktoria Schichl. Sie ist eine der Inhaberinnen der Maschenwerkstatt, ein Woll- und Garngeschäft, das sich direkt hinter dem Kunsthaus befindet. Sie selbst strickt seit mehr als 40 Jahren und hat mit der Maschenwerkstatt ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Einen Grund für den Hype um die Handarbeit sieht Viktoria Schichl unter anderem in ihrer entspannenden Wirkung. „Einfache Stricksachen wirken wie Yoga – sie holen einen runter. Komplizierte Muster aber fordern das Gehirn“, sagt die leidenschaftliche Strickerin. Dass Stricken nicht nur entspannend wirken kann und Stress reduziert, sondern zusätzlich die Kreativität fördert, zeigt die englische Physiotherapeutin Betsan Corkhill gemeinsam mit zwei weiteren Autorinnen in ihrer Studie, für die sie mehr als 3500 Stricker*innen weltweit online befragt haben.

Aber nicht allein die positiven „Nebenwirkungen“ des Strickens befeuerten den Trend. Auch der Wert der Stricksachen selbst hat sich geändert: „Mitte des letzten Jahrhunderts musste man für den Eigenbedarf stricken, weil es nichts anderes gab. Heute sind Stricksachen Luxusgüter. Sie stehen für Individualität“, sagt Viktoria Schichl.

Stricken erlebt einen Imagewandel

Für ein Gefühl von Luxus sorgt die große Auswahl an hochwertigen und exklusiven Garnen in ihrem Geschäft, die sie vorwiegend von kleineren Lieferanten bezieht. „Die Nachfrage nach nachhaltiger Wolle steigt“, stellt Viktoria Schichl fest und bietet neben Bio- und Fairtrade Wolle auch vegane Wolle an. „Gutes Material macht die gestrickte Arbeit aus“, meint Schichl und spricht aus Erfahrung.

„Seit Beginn der Pandemie spüren wir einen deutlichen Kundenzuwachs. Die Kundenfrequenz ist gestiegen“, sagt die Geschäftsinhaberin, die das Stricken schon vor dem Schreiben und Rechnen beherrschte. „Vor dem zweiten und dritten Lockdown sind die Kund*innen vor dem Geschäft Schlange gestanden“, so Schichl. „Unsere Kund*innen reichen dabei von der ‘klassischen alten Dame’ bis zur Studentin, die sich mit YouTube das Stricken beibringt. Von denen, die immer schon stricken bis zu Wiedereinsteigern. Von Frauen bis Männern.“

Gemeinsam strickt sich’s besser

Eine Kundin der Maschenwerkstatt ist Maria Reiner. Die Geschäftsführerin des Vereins Stadtteilprojekt Annenviertel zückt selbst ab und zu Stricknadeln und Wollknäuel: Vor der Pandemie hat sie sich mit Strickbegeisterten aus dem Annenviertel monatlich zum gemeinsamen Stricken und Plaudern getroffen. Seit März letzten Jahres organisiert Maria Reiner, auf Vorschlag von ihrer Schwester Johanna Reiner, mit ihr gemeinsam Online-Strickrunden via Zoom. „Unser Prinzip ist es, nichts Neues zu erfinden, sondern etwas sichtbar zu machen was es schon gibt. Mitmachen ist das Zauberwort“, sagt Maria Reiner und springt auf den wolligen Trend auf.

Screenshot des Online-Strick-Treffens vom Verein Stadtteilprojekt Annenviertel.
Gudrun und Birgit (untere Reihe) besuchen regelmäßig die Online-Strickrunden vom Verein Stadtteilprojekt Annenviertel – Foto: Maria Reiner

Immer montags um 18 Uhr finden die Annenviertler Zoom-Strickrunden statt. Teilnehmen kann jede*r, der oder die ein Paar Nadeln und Wolle zu Hause hat. „Es gibt eine Runde, die kommt fast immer, weil es gerade jetzt echt schön ist, soziale Kontakte wenigstens auf diese Art zu haben“, sagt Maria Reiner. An diesem Montag haben sich zehn Frauen im virtuellen Strickraum eingefunden, um die nächsten 60 Minuten miteinander zu verbringen. „Vor allem das Stricken in der Gruppe hat einen großen Einfluss auf das Glücksgefühl, stärkt soziale Kontakte und die Kommunikation mit anderen“, schreiben auch die Autorinnen der Strick-Studie.

Die Strickgruppe um Maria Reiner ist bunt gemischt. Eine Profistrickerin aus Niederösterreich, die neu entworfene Muster probestrickt, kommt regelmäßig zur Strickrunde. Eine Strickerin trennt das Gestrickte jedes Mal wieder auf, um etwas Neues daraus zu machen. „Dann haben wir auch solche, die über die erste Reihe längere Zeit nicht hinaus stricken“, erzählt Maria Reiner und lacht ein „so wie ich“ hinterher. „Es sind aber auch Hardcore-Strickerinnen in unserer Runde, die einem beim Lesen von Strickanleitungen helfen, wenn’s mal nicht klappt.“

Handarbeit im 21. Jahrhundert

Ihre Strickanleitungen findet Maria Reiner auf Ravelry. „Ravelry ist das Facebook für Strickende“, erklärt sie. Auf diesem sozialen Netzwerk findet man alles rund ums Handarbeiten. Im persönlichen Notizbuch werden Garne, Werkzeuge, Projekte und Anleitungen verwaltet. Mitglieder können ihre Projekte und Ideen teilen, sich in Foren austauschen und ihre eigenen Anleitungen verkaufen, wie es Viktoria Schichl und Magdalena Truger von der Maschenwerkstatt mit ihrem Label „Viktoria Maria“ machen.

 

Titelbild: Imagefoto “Stricken” – Foto: Tina Reiter

Infobox

Tipps und Tricks zum Stricken von Viktoria Schichl

  1. Als Strickanfänger sollte man unbedingt mit einfachen Sachen wie Schals oder Hauben zu stricken beginnen.
    Keine Riesenprojekte starten!
  2. Dass man mit dicker Wolle und Nadeln schneller fertig wird ist klar, es ist aber schwieriger zu stricken!
    Lieber mit mittelstarker Wolle und Nadeln beginnen.
  3. Material beeinflusst das Ergebnis: Es lohnt sich wirklich auf Qualität zu setzen und auf gute Materialien bei Nadeln und Wolle zu achten. Dann sieht auch das fertige Strickstück gleich viel besser aus.

Naturliebende Kärntnerin, die sich's gern vor dem Kamin gemütlich macht, wenn's draußen kalt wird. Kann zu einer Tasse Earl Grey nie Nein sagen, zu Kaffee schon gar nicht.

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