Wie junge Burschen zu „Heroes” werden

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Im Rahmen des Heroes-Projektes setzen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund für die Rechte von Frauen und ein gewaltfreies Zusammenleben in der Steiermark ein.

Olfat ist 19 Jahre alt und lebt seit drei Jahren in Österreich. Durch einen Freund wurde er auf das Heroes-Projekt aufmerksam. „Mir ist wichtig, dass die Mädchen die gleichen Rechte wie Jungs haben und dass jede Person für sich selber entscheiden kann”, so der gebürtige Afghane. Dies möchte er auch anderen Jugendlichen vermitteln.

Bei wöchentlichen Treffen diskutieren und hinterfragen interessierte Burschen gemeinsam mit ausgebildeten Pädagogen Themen wie Identität, Ehre oder Rollenbilder. „Uns geht es im ersten Schritt darum, die Strukturen und Traditionen zu sehen, zu erkennen und einmal auf den Tisch zu bringen”, erklärt Gruppenleiter Faraz Baradaran Leilabadi. Hinter dem Verhalten der jungen Männer stehe oft das Bedürfnis, die Frauen in der Familie beschützen zu müssen. Dies gelte es zu hinterfragen: Warum musst du deine Schwester von der Schule nach Hause begleiten? Was ist der Unterschied zwischen deiner Schwester und dir? Wovor musst du sie beschützen? Was bedeutet Schutz? Solche Fragen sollen die Jugendlichen zum Nachdenken anregen und ihnen gleichzeitig Argumente liefern, um sich gegen solche Erwartungen innerhalb der Familie wehren zu können.

Der 17-jährige Kushtrim wurde durch einen Workshop an seiner Schule auf das Heroes-Programm aufmerksam. „Viele sagen etwas, aber wenn man ihre Gründe hinterfragt, haben sie keine Antwort darauf”, so der gebürtige Mazedonier. Sein Umfeld habe auf seine Teilnahme bei den Heroes durchwegs positiv reagiert, seine Eltern seien stolz auf ihn. Seine Klassenvorständin brachte auch schon ein Zeitungsinterview von ihm mit in die Klasse, um es dort aufzuhängen.

Gruppenleiter Leilabadi begleitet die „Heroes"
Gruppenleiter Leilabadi begleitet die „Heroes“ – Foto: Isabella Deckan

Familienehre um jeden Preis

In vielen traditionalistischen Gesellschaften spielen Ehre und das Ansehen der Familie eine große Rolle. Der gute Ruf der Familie steht dabei über den individuellen Interessen der Angehörigen. Laut Michael Kurzmann, der neben Emina Saric für die Leitung des Heroes-Projektes verantwortlich ist, gibt es in ehrkulturellen Milieus daher klare Normen und Erwartungen, wie sich Männer und wie sich Frauen zu verhalten haben. Männliche Familienangehörige seien dabei vor allem für die Wahrung der Ehre zuständig: durch Kontrolle und Schutz. „Die Kontrolle bezieht sich dabei sehr stark auf die Frauen, die Schwester und ihr sexuelles Verhalten”, so Kurzmann.

Seit 2017 setzt sich in der Steiermark der Verein für Männer- und Geschlechterthemen in Kooperation mit der Frauenberatungsstelle DIVAN, die ihren Sitz in der Mariengasse hat, gegen eine Unterdrückung im Namen der Ehre ein. „Heroes” heißt das Projekt, die Idee dazu stammt aus Schweden. Mittlerweile gibt es die Initiative in einigen Städten Deutschlands, in Österreich bisher nur in Salzburg und der Steiermark.

Workshops für Gleichaltrige

Nach Abschluss einer sechs- bis neunmonatigen Ausbildungsphase werden die jungen Männer als „Hero“ ausgezeichnet und setzen sich im Rahmen von Workshops mit Gleichaltrigen für die Gleichbehandlung von Mann und Frau ein. Im März 2018 fand die Abschlussfeier der ersten Heroes-Gruppe statt. Seitdem fanden Kurzmann zufolge bereits 44 Workshops in steirischen Schulen, Jugendzentren und Ausbildungseinrichtungen statt.

Bei den Workshops zeigen die „Heroes“ ein Rollenspiel, das eine Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau nachstellt: Der Vater will etwa, dass die Tochter heiratet anstatt zu studieren, oder der Bruder ist dagegen, dass die Schwester sich auf Facebook anmeldet. Der vorgespielte Dialog hat immer ein offenes Ende, was die Basis für die anschließende Diskussion bildet. Thema ist dabei stets die Frage, warum männliche Familienmitglieder das Recht haben, über persönliche Entscheidungen der weiblichen zu bestimmen.

Herausforderungen und Zukunft

Vorschläge, worüber die angehenden „Heroes“ bei ihren Treffen sprechen und reflektieren, kommen auch von weiblicher Seite. Im Mafalda-Mädchenzentrum gibt es einen Mädchenbeirat, bei dem sich junge Frauen mit Migrationshintergrund über Probleme und Anliegen mit männlichen Familienmitgliedern austauschen. Darüber diskutieren später die Burschen innerhalb der Heroes-Gruppe. In Zukunft sei Kurzmann zufolge auch eine engere Zusammenarbeit der beiden Jugendgruppen geplant.

Die Reaktion von Familien und Freunden auf die Teilnahme bei den Heroes ist grundsätzlich positiv. „Ihnen ist es lieber, sie sind bei uns als in irgendwelchen Parks“, sagt Gruppenleiter Ervin Cenanovic. Einen Fall wie in Berlin, wo einem angehenden Hero aufgrund der Projektteilnahme ein Familienausschluss angedroht wurde, habe es in der Steiermark bisher noch nicht gegeben.

Ziel der Initiative ist es nicht, dass die jungen Männer ihrer Familie den Rücken kehren. Kurzmann resümiert: „Die Heroes entwickeln eine Patchwork-Identität: Sie bleiben verbunden mit ihrer Kultur und Community, aber hinterfragen diese nach außen hin und in ihren individuellen Handlungen.“

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