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Sonja Stacher: Mit Kopfkick an die Weltspitze

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Viele Sportarten klingen, nüchtern betrachtet, ziemlich daneben. Wie etwa auf installierten Rädern am Stand zu treten, auf Skiern höher zu beschleunigen als auf der Autobahn, oder seinem Gegenüber gegen Kopf und Rumpf zu schlagen. Was an Letzterem dennoch so fesselnd sein kann, erzählt die frischgekürte Vize-Weltmeisterin im Kickboxen.

Sonja Stacher kommt kurz vor Trainingsbeginn durch die Tür des ASKÖ Stadions in Eggenberg – auf Krücken. Zwei Bänderrisse im linken Bein, zugezogen beim Laufen, gut zehn Tage nach der Weltmeisterschaft. „Und dann denken die Leute, Kickboxen wäre gefährlich“, kommentiert einer ihrer Kollegen lachend.

Vor wenigen Wochen, am 10. November, war die 25-jährige jedenfalls noch stand- und schlagfest. In Budapest gingen die Weltmeisterschaften der WAKO über die Matte. Stacher trat in drei Disziplinen an, im Pointfight, im Leichtkontakt und mit dem österreichischen Nationalteam. Die Bilanz von drei Medaillen, die sie schlussendlich eroberte, kann sich sehen lassen. Im Gespräch beschreibt sie, leidenschaftlich gestikulierend, ihre Kämpfe in Ungarn. Sie erzählt von geschickten Manövern, ihren ehrgeizigen Ansprüchen und den letzten Augenblicken vor einem Kampf – von dem Moment, wenn man nach monatelanger Vorbereitung vor der Unberechenbarkeit der gegnerischen Fäuste steht. Ein jähes Gefühl von Nervosität, ein selbstgemachter Druck, für den der auch der Brustschutz, den KickboxerInnen tragen, nicht konzipiert ist. Wenn sie aber auf die Matte steigt, konzentriert die Grazerin sich. In den folgenden Minuten existieren nur noch sie, die Gegnerin und ein ehrlicher Kampf. Stacher spricht mit dem Ehrgeiz einer Leistungssportlerin, sie ist stolz auf das Erreichte, aber (noch) nicht zufrieden. „Früher nahm ich an Turnieren teil, um wenigstens in einem Kampf zu siegen. Jetzt will ich eine Weltmeisterschaft gewinnen.“ Ihr erklärtes Ziel verfehlte sie im November doppelt knapp, errang sowohl im Leichtkontakt wie mit dem Team den zweiten Platz. „Unser Nationalteam war zuvor nie auch nur annähernd in der Reichweite eines Medaillenranges. Was wir 2017 geschafft haben, ist großartig“, kommentiert Stacher den Erfolg.

Auch in ihrer Nebendisziplin, dem Pointfight – wo der Kampf nach jedem Treffer unterbrochen wird – ging sie letztlich als Drittplatzierte aus dem Bewerb. „Zuerst dachte ich, das könnte gehen. Dann doch nicht. Schließlich hab‘ ich gewonnen“, schildert sie den „Krimi“ des entscheidenden Kampfes. Vier Sekunden vor Ende lag ihre Gegnerin noch einen Punkt vorne, zwei Sekunden später glich Stacher aus und rettete den Nervenkitzel in die Verlängerung. Mit einem finalen „Roundkick“, seitlich am Kopf der Gegnerin platziert, holte sich Stacher die entscheidenden zwei Punkte und Medaille Nummer drei. Wenige Wochen später, im Sportkaffee des ASKÖ Stadions, zieht die Vize-Weltmeisterin Resümee: „All das war wirklich unglaublich. Ich höre trotzdem nicht auf, bevor ich Weltmeisterin bin.“

Sonja Stacher mit den Nationalteamtrainern Ivan Kulev und Michael Gerdenitsch – Foto: KBC Graz

In Rekordzeit an die Weltspitze

Es war ein winziges Bild auf Facebook, das Abbild eines in die Luft tretenden Kickboxers, das Sonja Stacher 2012 so faszinierte, dass sie sich für den Sport zu begeistert begann. Neun Monate später kämpfte sie als Teil der Kampfmannschaft des ASKÖ Kickbox-Centers Graz in ihrem ersten Turnier. „Genau da wollte ich hin, in die Kampfmannschaft. Ich wusste es vom ersten Training an.“ Seither widmet die Elektrotechnik-Studentin einen Großteil ihrer Energie und ihre ganze Leidenschaft der sportlichen Karriere. Zwei bis dreimal die Woche trainiert sie im Verein, die übrigen Tage am Rad oder beim Volleyball. Das Team des KBC Graz motiviere sie, dort pushe man sich gegenseitig, fordere sich selbst und die anderen zu Höchstleistungen, um es schließlich möglichst aufs Stockerl zu schaffen. Gleich drei Mitglieder des Vereins sind im österreichischen Nationalteam, zwei weitere sind Anwärter für die Startplätze. Einen Leistungssport nachvollziehen, meint die Silbermedaillen-Trägerin, könne man nur, wenn man ihn auch selbst ausübe. Ihr Freund, Weltmeister Roman Brüdl, kann das. „Bei uns wird kein Training ausgelassen, wir sind nicht zu müde oder haben einfach keine Lust.“ Ein Bänderriss im Bein ist für sie im Übrigen auch keine Ausrede, um das Training der Arme ausfallen zu lassen.

„Mein Sidekick ist stark, er stoppt meine Gegnerinnen. Das macht mich zufrieden“, sagt Sonja Stacher (hier in schwarz) – Foto: KBC Graz

Klingt schmerzhaft. Ist es nicht.

„Ich hab einmal gesagt: Boxen, das ist doch der dümmste Sport überhaupt. Da stehen sich zwei gegenüber und schlagen sich ins Gesicht“, erzählt die Grazerin. Die Philosophie des Kickboxens ist kaum „geistreicher“, bloß traditioneller, beinhaltet es doch wesentliche Elemente asiatischer Kampfkünste. Das Ziel bleibt aber dasselbe: Kampf. Die Kunst, den eigenen Körper besser zu beherrschen als der Gegner. Wer schneller, gezielter trifft, bekommt die Punkte, gewinnt das Turnier. Klingt schmerzhafter, als es tatsächlich ist. Der Sport schärfe vielmehr das Gefühl für den eigenen Körper, trainiere jeden Quadratdezimeter potentieller Trefferfläche, fördere Koordination, Ausdauer und Kraft.
Die Randsportart erscheint einem weniger wahnsinnig, wenn man ein Training in der Eggenberger Sporthalle beobachtet. Man trifft auf mehr oder weniger durchschnittliche Menschen in einem Schlagabtausch, der eher technisch penibel, als aggressiv motiviert erscheint. Keine Kämpfe im Halbdunkeln, keine gebrochenen Nasen. Stattdessen eine freundliche Atmosphäre und eine überraschend hohe Frauenquote. An ein realitätsfernes Bild ihres Sport ist die Trägerin des braunen Gurtes allerdings gewöhnt: „Wenn ich sage, dass ich Elektrotechnik studiere, schauen mich die Leute schon verwundert an. Dann betone ich mit Freude, dass ich außerdem professionell kickboxe.“

Infobox
Kickboxen ist eine nicht-olympische Randsportart, die seit dem späten 20. Jahrhundert vor allem in den USA und in Europa ausgeübt wird. Sie entstand nach dem Vietnamkrieg in den Vereinigten Staaten und wurde stark von der vietnamesischen Nationalsportart Thaiboxen inspiriert. Außerdem verbindet sie Techniken und Elemente der traditionellen Kampfkünste wie Karate und Taekwondo mit dem klassischen Boxen. Die Kickboxvereine Österreichs sind unter dem Dachverband des ÖBFK (österreichischen Bundesfachverband) zusammengefasst. Dieser stellt auch das Nationalteam.

Verliert sich regelmäßig im eigenen Kopf. Gierig nach Höhenluft und schwarzem Kaffee. Bekannt für ihren kritischen Blick.

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