Lesezeit: 4 Minuten, 24 Sekunden

Thesen zum Brunch

in KULTUR von

responseABILITY lautet der Titel der aktuellen <rotor>-Ausstellung, bei der Künstler des Artist-in-Residence-Programms  West Balkan Calling ihre Werke bis 26. Mai präsentieren. Beim gemeinsamen Brunch erzählen sie von der kreativen Aufarbeitung ihrer Beobachtungen und der Kunst, die einem überall begegnen kann.

Samstag, kurz vor halb elf. Im Café-Raum im <rotor> wurden mehrere Tische zu einer Tafel zusammengeschoben und die weiße Tischdecke mit buntem Kaffeegeschirr und Brotkörben beladen – in einer halben Stunde soll hier gebruncht werden. Margarethe Makovec, die den <rotor> gemeinsam mit Anton Lederer leitet, begrüßt mich und macht mir einen Espresso.

„Es ist schon eine ganz besondere Ausstellung“, sagt sie, während sich der Raum langsam füllt – Künstler, Kunstinteressierte, Hungrige. Margarete kocht Kaffee, stellt uns einander vor. Unter den Ausstellern befinden sich Künstler aus Belgrad, Tirana, Skopje, Pristina und Cetinje. Das 2015 und 2016 realisierte Kunstprojekt „West Balkan Calling“ führte viele dieser Künstler auf österreichischen Boden und umgekehrt österreichische Kunstschaffende auf den Balkan. Insgesamt zwölf Teilnehmer des Projekts zeigen einige der im Prozess entstandenen Werke im Rahmen der Ausstellung „responseABILITY“. Sie verdeutlichen den künstlerischen Blick auf das Fremde, erzählen von kulturellen Verschiedenheiten und der Sehnsucht nach Zusammenhalt.

Mit einem Notizblock streune ich durch die Räume und Stimmungen der Künstler, verharre vor Installationen und Environments. Mir passiert, was jedem geschieht, der die Kunst aus der Ferne mag, aber zu selten mit ihr konfrontiert wird: Ich verstehe sie nicht. Zumindest nicht rational. Die Werke scheinen mir fern, als würden sie in einer parallelen Welt kommunizieren. Kurz vor elf lande ich wieder im menschenvollen Café-Raum und suche eine Erklärung.

Vavras These des Zerfalles

Vor mir fallen raumhohe Textilbahnen von der Decke. Sie sind bedruckt mit Bildern von Schrott und Müll, zeigen Teile von Plastik, Metall und Beton – angehäufte Bruchstücke einer nicht rekonstruierbaren Vergangenheit. Die Künstlerin Inge Vavra steht neben mir. „Ist das nicht wunderschön?“, fragt sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich hätte auch keine.

„Die Struktur der zerfallenden Lagerhalle spiegelt die des Landes, das sie umgibt“ – Inge Vavra

Vavra nahm die Bilder der Müllberge 2016 in einer verlassenen Kühlschrankfabrik in Cetinje, Montenegro, auf. Weitere Bilder, gesammelt in einem Fotobuch, zeigen die Landschaft Montenegros: steinig, schroff, ein wenig wüst. Für Vavra gleicht ihr Charakter dem der Schutthaufen in der aufgelassenen Fabrik. „Beide zerfallen und vergehen doch nicht“, erklärt sie und deutet auf Bruchteile von Plastik, die nicht gänzlich verschwinden, bloß ihre Form aufgeben. Die Objekte werden langsam von der Natur zurückerobert, die Landschaft verwildert in ihrer Ursprünglichkeit. Ein Portrait des Zerfalles. „Man fährt meist mit einer Idee in ein fremdes Land. Kartografien machen, etwa. Und dann begegnet man der Kunst auf ganz unerwartete Weise“, erzählt die 75-jährige. Sie erkannte das Kunstwerk in den Bruchteilen alter Schaffenskraft. „Das ist wunderschön“, sage ich.

Die bedruckten Textilbahnen von Inge Vavra dominieren den Raum – Foto: Marko Kosović

Romanos These der Gemeinschaft

Ein Fernsehbildschirm zeigt eine kleine Bühne, einen einzigen Notenständer und einen leeren Raum. Eine junge Klarinettistin kommt herein und beginnt zu spielen, ein alter Mann ist der Einzige, der ihr zuhört. Schwere, unharmonische Töne, nicht berührender als Fahrstuhlmusik.

„A community works like a symphonie“ – Stefano Romano

„Man erkennt es nicht, stimmt‘s?“ fragt Stefano Romano, der Schöpfer der Installation, auf Englisch. „Es ist die Orchestermusik von Ode an die Freude, bloß ohne Orchester. Sie spielt nur ihre eigene Stimme.“ Ode an die Freude, die Hymne der europäischen Union, steht in Romanos Werk für ebendiese. Jedes Instrument, jede Stimme, symbolisiert einen der Mitgliedstaaten. Zusammen ergeben sie eine Melodie – wenn sie zusammen spielen würden. „Wir funktionieren nicht als Gemeinschaft, wenn wir unsere Stimmen ohne Rücksicht auf andere spielen“, ist der in Tirana lebende Künstler überzeugt. In Albanien, so beobachte er, sehe man die EU bloß von außerhalb, man verstehe den Wert einer Gemeinschaft nicht. Doch auch innerhalb der europäischen Grenzen habe man keinen Blick dafür. „Da ist keine Gemeinschaft, keine Melodie.“

Installationskunst mit Ton – Foto: Marko Kosović

Dante Buus These der Selbstermächtigung

Vor mir hängt eine Farbfotografie von Dante Buu an der rot gestrichenen Wand. Darauf zu sehen ist ein Mann im Anzug – jung, dunkel, selbstsicher. Im linken Mundwinkel steckt eine Zigarette ohne Glut. Sechs Hände, die sich aus sechs schwarzen Anzugärmeln strecken, bieten ihm sechs Flammen an. Der Mann im Zentrum schaut unverwandt in die Kamera, in die Augen des Betrachters. Er hat nicht die Absicht, das Feuer für die Zigarette anzunehmen.

„If you wanna fuck me, you don’t have to pretend it’s for art“ – Dante Buu

Dante Buu sitzt neben mir auf der kleinen Bank draußen vor den Ausstellungsräumen, wir rauchen. (Ja, er hat sein eigenes Feuer, Anm.). Er erzählt von Macht und Missbrauch von Macht, darum gehe es immer, überall. Er erzählt von Menschen ohne Selbstbewusstsein, die sich dieser Macht unterwerfen. Und er erzählt von sich und von seiner Arbeit, der Gegenthese zu den prekären Arbeitsumständen im Kunstbetrieb. Seine Fotografie ironisiert diese Verhältnisse bereits in seinem Titel: If you wanna fuck me, you don’t have to pretend it’s for art. „Es gibt immer Mächtigere und es ist immer ein Mann und sie wollen immer irgendetwas.“ Gesellschaftliche Unterwerfung, Hierarchie, Abhängigkeitsverhältnisse, das wollen sie, sagt der in Montenegro geborene Künstler. „Aber weißt du was? Fuck it.“ Dante Buu hebt die Schultern, raucht noch eine. „Es reicht zu sein, wer man ist, und zu tun, was man macht.“ Der Mann im Zentrum der Fotografie ist Dante Buu selbst. Er nimmt kein Feuer von den schlipstragenden Männern an. Hat er nie.

Das Selbstportrait von Dante Buu über dem gedeckten Tisch – Foto: <rotor>

Im Café-Raum ist jeder Platz an der bunten Tafel besetzt, auf den Tellern der Gäste häufen sich Käsereste und Brotkrümel, Aufstriche werden durchgereicht und Teller aufgefüllt. Fröhliche Stimmen schwirren umher und der Geruch nach Kaffee liegt in der Luft. Es ist halb zwei als ich meinen letzten Espresso mit Margarethe trinke. Sie zeigt mir die Posterreihe, die im Rahmen der Ausstellung entstanden ist. Ein Poster für jeden Künstler, je ein Symbol, ein Bild oder eine These seiner Werke. Margarethe erinnert sich an ihre Arbeit mit den ausländischen Künstlern: “Von einigen habe ich viel lernen können.” Lernen über fremde Kulturen und die eigene Gesellschaft – eine These der Ausstellung.

Verliert sich regelmäßig im eigenen Kopf. Gierig nach Höhenluft und schwarzem Kaffee. Bekannt für ihren kritischen Blick.

Loading Facebook Comments ...

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

*

acht − 2 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.