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Endlich wieder …

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Sechs Monate lang hieß es Zähne zusammenbeißen. Jetzt ist es so weit: Die Corona-Maßnahmen werden gelockert. Einige Annenpost-Redakteur*innen haben die Stimmung im Annenviertel eingefangen. Ein Einblick in diesen besonderen Tag.

Keine Muskeln mehr

Marie Essert, McFit am Hauptbahnhof Graz, 9:45 Uhr

Ich steige die Treppen hinunter, es ist 9:45 Uhr, nach fast sieben Monaten kann ich endlich wieder ins Fitnessstudio. Der Schweißgeruch und das Stöhnen der Trainierenden ist bereits wahrnehmbar. Alle haben brav ihre Masken auf, außer wenn die Gewichte in die Luft gestemmt werden. Ich wärme mich auf, neben mir stehen zwei Männer. Die beiden tratschen miteinander, ich schnappe nur Wortfetzen auf: „Meine Muskeln sind nach den vielen Monaten echt weg“, sagt der eine. „Ich seh‘s“, gibt der andere sachlich zurück.

 

Vorbereitungen im Gastgarten

Mirjam Hangler, Ristorante Due Amici, 10:07 Uhr

Der Kellner im blütenweißen Hemd und der sauber umgebundenen Schürze arbeitet sich von Tisch zu Tisch durch den Gastgarten. Mit beneidenswerter Präzision trocknet er mithilfe eines Tuchs die regennassen Tische. Das Wetter arbeitet gegen ihn und verleiht seinen Bemühungen etwas Komisches. Tropfen für Tropfen erobert sich das herabfallende Wasser die Tische zurück, aber der Kellner und sein Tuch halten sich tapfer.

 

Endlich wieder ins Fitnessstudio

Marlene Borkenstein, McFit am Hauptbahnhof Graz, 15:30 Uhr

Basshaltige Musik, angestrengtes Stöhnen und das klackende Geräusch der Kraftmaschinen sind zu
hören. Angestrengte Blicke der Sportler treffen einander. „Komm, noch eine Wiederholung!“, ruft der
Sportler seinem Trainingspartner motivierend zu. Mit seiner letzten Kraft drückt er das Gewicht der
Beinmaschine in die Höhe. Die Erleichterung nach dem vollendeten Satz ist ihm ins Gesicht
geschrieben. Die zwei Männer klatschen ab und freuen sich über die erste erfolgreiche
Trainingsession im Fitnessstudio nach sechs langen Monaten.

 

Bedienen und bedient werden

Barbara Veit, Hotel Weitzer, 15:42 Uhr

Autos werden vor die Eingangstür gefahren und entladen. Das Rollen der nachgezogenen Koffer hallt im großen Foyer. Menschen sitzen in kleinen Gruppen zusammen und lachen. Es herrscht eine lockere Atmosphäre. Man merkt deutlich: Das Personal ist arbeitsreif, alle Gäste urlaubsreif.

Die Einfahrt des Hotel Weitzer am Tag der Lockerungen.
Foto: Barbara Veit

Latin Macchiato

Adela Danciu, Tribeka am Grieskai, 16:00 Uhr

Raggaeton dröhnt aus den Boxen. Die Kellnerin, die gerade einen Latte Macchiato zubereitet, bewegt ihre Hüften schwungvoll zur lateinamerikanischen Musik. Eine junge Frau sitzt in der Ecke, ein Bein auf dem gegenüberliegenden Sessel abgelegt, und tippt konzentriert auf die Tastatur ihres Notebooks. Am Nebentisch zwei Studentinnen, die in ein Gespräch vertieft sind. „Ihr Test, bitte.“ Die Stimme der Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken.

 

Das Dessert, das auf sich warten ließ

Veronica Holl, Granola am Hauptbahnhof, 16:08 Uhr

Der gehetzte Kellner bringt die üppig belegten Teller. Das ungeduldige, nervtötende Handklopfen am Tisch gegenüber verstummt. Gierig und hastend wird verzehrt, was schon da ist, und nachbestellt, was es noch gibt. Über Monate hinweg waren sie des Privilegs Restaurantbesuch beraubt, heute essen die Gäste, als gäbe es kein morgen. Oder als würde morgen schon wieder alles zusperren. „Schling nicht so, Hansi!“, zetert eine Frau, während sie parallel von den zwei ansehnlichen Burger-Hälften in ihren Händen abbeißt. Ihr verstohlener Blick trifft die Dessert-Karte.

 

Lachen, bis der Bauch weh tut

Ellen Warth, Kernstockgasse, 16:25 Uhr

Zwei Frauen stehen sich – mit Abstand – gegenüber und plaudern über dieses und jenes. Wie aus heiterem Himmel brechen die beiden in schallendes Gelächter aus. Das Lachen wird immer lauter, der Abstand immer kleiner. Nach Luft japsend klopft die eine der anderen auf die Schulter. Auch eine Gasse weiter kann ich ihr herzhaftes Lachen noch deutlich hören. Ihre gute Laune hat bestimmt nicht nur mir den Tag versüßt.

 

Endlich wieder Würstelstand

Sophie Aster, Nachtwürstelstand am Lendplatz, 16:37 Uhr

Es ist helllichter Tag, die Tür zum Nachtwürstelstand steht weit offen. Sonnenlicht hat das Innere des Anhängers wahrscheinlich schon lange nicht mehr gesehen. Ein Mann mit brauner Haube stolpert heraus, zündet sich eine Zigarette an, grinst und leert sein Stamperl zur Feier des Tages in einem Zug. Auf einem kleinen Schild, das an der Tür angebracht ist, steht: „Geöffnet: 18:00-5:00“. Doch die Uhrzeit ist heute egal. Das „Geöffnet“ ist das, was zählt.

Ein Stamperlglas und eine Zigarette stehen und liegen auf einer Bank.
Foto: Sophie Aster

Einen Espresso, bitte!

Friedrich Hainz, Pizzeria Venezia in der Annenstraße, 17:16 Uhr

Am Eingang der Pizzeria steht: „Heute Calamari vom Grill und Lasagne al Forno”. Klingt italienisch. Ich betrete die Pizzeria. Ein türkischer Kellner schaut hinter dem Tresen hervor. Doch nicht so italienisch. Aber egal, die Freude über die Wiedereröffnung ist sicher trotzdem groß. „Den ersten Espresso nach dem Lockdown, bitte!”, sage ich scherzhaft. Meinem Gegenüber ist anscheinend aber wenig zum Scherzen zumute. Ich versuche es nochmal: „Wie läuft es heute, am ersten Tag?” Nichts zu machen. Wieder getäuscht. Also schnell wieder hinaus. Ich trinke den Espresso und lege zwei Euro auf den Tresen. Das Trinkgeld darf er sich behalten. Ich drehe mich um und will gehen. Der Kellner ruft mir nach: „2,70 bitte!” Österreichische Preise. Die dritte Falschannahme des Tages.

Das Restaurant Venezia wartet mit seinem Gastgarten auf die Lockerungen.
Foto: Friedrich Hainz

Der strahlende Wirt

Chiara Wenig, Ristorante Trenta in der Eckerstraße, 17:20 Uhr

Freudiges Gelächter und angeregtes Getratsche empfangen einen beim Betreten des Restaurants. Als der Wirt uns erblickt, strahlt er über das ganze Gesicht, kramt mit hastigen Händen einen Stoß Zettel hervor und steuert in unsere Richtung. Gerade an unserem Tisch angekommen, legt er schon während der Begrüßung die Zettel auf den Tisch. „Bitte tragt dort eure Daten ein, aber stresst euch nicht!“ Ein Blick in die Gesichter der Runde, danach erhebt er sich und springt zur Theke. Sein Blick schweift zur Tür. Als ein Pärchen diese öffnet, leuchten seine Augen auf. Seine Hände wandern zur frisch gebügelten Schürze. Voller Vorfreude streift er über den makellosen Stoff. Zu lange ist es her, dass er dies das letzte Mal gemacht hat.

 

Besonders normal

Paul Koren, Keplerstraße – Lendplatz – Lendkai – Südtirolerplatz, 19:23 Uhr

Zur Hälfte des Monats scheinen doppelt so viele Menschen auf den Straßen und die Hälfte dieser Menschen doppelt so alkoholisiert zu sein. Die gelben Sitzgelegenheiten der Schule des Wir beherbergen zwei Jacken mit verschiedenen Blautönen, die auf einen dritten einreden. Die Anordnung ein Renaissance-Bild, die Farben eher Pop-Art. Am Lendplatz ist Skaten verboten, die Skater dort wissen das aber anscheinend nicht. Endlich wieder Zigaretten- und Biergeruch gemischt wahrnehmen! Gastgärten sind voll, die Gäste auch und sogar vom Rad aus merkt man: Das neue Besondere ist das alte Normal.

 

Titelbild: Nach langem Warten darf die Gastronomie wieder öffnen – auch im Annenviertel. – Foto: Pixabay

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