Progress Graz: Fünf Freunde als Brückenbauer zur Ukraine

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Seit 2023 haben es sich fünf ukrainische Trainer zur Aufgabe gemacht, Kindern mit Migrationshintergrund den Einstieg in die österreichische Gesellschaft zu erleichtern. 

Von: Amelie Kurien, Lukas Lackner, Simon Leitner

„Dawai, dawai!“ – „Schneller, schneller!“, ertönt es immer wieder am Sportplatz der Sportunion Gösting. Es sind die Rufe der Trainer von Progress Graz, die an jenem Tag mit ihren drei Mannschaften trainieren. Die Anweisungen sind sowohl in ukrainischer als auch in deutscher Sprache zu hören. Am Spielfeldrand stehen zahlreiche Eltern, die ihren Kindern beim Kicken zusehen. Sie filmen, fotografieren und jubeln. Nach dem Training rufen die Trainer ihre Mannschaften zusammen – für den gemeinsamen Schlachtruf. Die Kinder und Trainer stellen sich in einem Kreis auf und brüllen: „Raaawwwwr!“ Alle verabschieden sich, bevor die kleinen Löwen wieder den Weg in die Arme ihrer Eltern suchen. Eines wird Besuchern sofort klar, die bei einem Training von Progress Graz zusehen: Es geht hier um mehr als nur Fußball. Es geht um ein Miteinander. 

Anfänge des Projekts

Vor einem Jahr, am 14.10.2024 gründete Artem Marchenko, jetzt Obmann, den Verein, ganz offiziell gemeinsam mit vier ukrainischen Trainerkollegen. Sie wollen Kindern mit Migrationshintergrund nicht nur das Fußballspielen beibringen, sondern ihnen auch den Einstieg in die österreichische Gesellschaft erleichtern. Nachdem die Trainer, die allesamt Sportwissenschaften studieren, bereits im Dezember 2023 mit individuellen Trainings für ukrainische Kinder begonnen hatten, stieg die Mitgliederzahl rasant. Im Sommer 2024 entschieden sie sich dann dazu, den Verein zu gründen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 30 Kinder angemeldet.

Die fünf Trainer verbindet eine gute Freundschaft miteinander, sie kennen einander bereits aus der Ukraine. Dort spielten sie gemeinsam für den Verein Knyazha Shchaslyve, der zu Beginn des Krieges aufgelöst wurde, und begannen ihre Trainerlaufbahn. „Wir starteten mit der Arbeit mit Kindern in Kindergärten und den unteren Klassen der Grundschule in Shchaslyve,“ erzählt Marchenko am Rande des Trainings. Shchaslyve ist ein Vorort im Südosten von Kiew. Nach dem Ausbruch des Krieges in ihrer Heimat waren sie gezwungen, ihr Land zu verlassen. Auch Artems Elternhaus wurde bombardiert, da war er selbst gerade in der Akademie von Knyazha Shchaslyve. Die fünf Freunde fanden in Graz eine neue Heimat, wo einige von ihnen beim Grazer AK 1902 ihre fußballerische Laufbahn fortsetzen konnten.

Ein Spieler des Progress Graz schießt den Ball ins Tor.
Teamgeist bei der Arbeit – Foto: Progress Graz

Im Hier und Jetzt 

Heute zählt Progress Graz bereits mehr als 60 regelmäßig trainierende Kinder, Tendenz steigend. Das Angebot richtet sich an Mädchen und Buben im Alter von drei bis dreizehn Jahren. Ziel ist es, den Kindern Freude und Teamgeist zu vermitteln. Trainiert wird im Sommer dreimal wöchentlich am Platz der Sportunion Gösting, in den Wintermonaten sowie bei Schlechtwetter bespielt der Verein die Sporthallen des ASKÖ-Stadions. Finanziert wird das Projekt  durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und eine Unterstützung der Stadt Graz.

Von Beginn an verstand sich Progress Graz nicht bloß als sportliche Initiative, sondern auch als Ort der Begegnung. Rund achtzig Prozent der Kinder haben ukrainische Wurzeln, und doch verschwinden kulturelle Unterschiede am Spielfeld schnell. Fußball ist hier eine gemeinsame Sprache, die ohne Dolmetscher auskommt, erzählt Artem. Integration geschehe fast nebenbei: im gemeinsamen Training, in Routinen, die Gemeinschaft vermitteln, und beim Anfeuern durch die Eltern. Für viele Familien bedeutet der Verein damit nicht nur sportliche Aktivität, sondern schafft auch Zugehörigkeit und Stabilität im Alltag. Artem meint, dass sich die Kinder und ihre Familien in Österreich immer wohler fühlen. Nikita Levadnj, der erst seit Kurzem bei den Zehn- bis Dreizehnjährigen trainiert, betont im Gespräch mit uns, dass ihm vor allem die Atmosphäre und die Lockerheit sehr gefallen. Der sportliche Druck, welcher bei anderen Fußballvereinen schon in jungen Jahren aufgebaut werde, würde bei Progress Graz wegfallen. 

Gerade für neu angekommene Kinder bietet Progress einen klaren Rahmen, in dem sich Vertrauen entwickeln kann. Die positive Resonanz aus dem Umfeld – von Nachbarschaften bis hin zur Stadtverwaltung – stärkt den Verein zusätzlich. 

Progress des Progress Graz

Das Projekt verfolgt für die kommenden Jahre ehrgeizige Ziele: Der Verein möchte sein Trainingsangebot kontinuierlich ausbauen und damit noch mehr Kindern die Möglichkeit geben, Fußball in einem professionellen Rahmen auszuüben. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist die geplante Teilnahme am Spielbetrieb des Steirischen Fußballverbands. Der entsprechende Antrag wurde bereits gestellt, derzeit wartet der Verein auf die Rückmeldung des Verbandes. 

Der Verein möchte langfristig nicht nur Kindern den Zugang zum Sport ermöglichen, sondern auch im Erwachsenenbereich Aufbauarbeit leisten. Der Wunsch nach einer Kampfmannschaft erfordert beträchtliche Ressourcen, derzeit fehlen die Mittel, um dies zu ermöglichen. Deshalb liegt der Fokus zunächst auf dem Nachwuchs. Parallel bemüht sich das Projekt um Sponsoren und Unterstützer, die dem Verein bei der Weiterentwicklung helfen sollen. Trotz dieser Hürden ist die Perspektive klar: Wenn die nächsten Schritte gelingen, könnte der Sportverein Progress Graz zu einem noch wichtigeren Fixpunkt der Grazer Fußball-Landschaft werden – sportlich wie gesellschaftlich.

Infobox:

Anmeldung unter www.progressgraz.at

Instagram: @progress_graz

 

Titelbild: Gemeinsam werden Erfolge erlebt und gefeiert. – Foto: Progress Graz

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