Ein Foto einer Podiumsdiskussion auf einer schwach beleuchteten Bühne. fünf Personen, zwei Moderator:innen und drei Kulturschaffende sitzen in hellen Sesseln auf der Bühne und sprechen. Hinter ihnen befindet sich eine große Leinwand, auf der in weißen Großbuchstaben auf rosa Hintergrund „KULTURKAMPF: UNGARN #RETTUNGSKETTE 2“ steht. Das Publikum ist im Vordergrund zu sehen, hauptsächlich von hinten.

Kulturkampf grenzenlos – der Blick nach Ungarn

Lesezeit: 3 Minuten

Wie Viktor Orbán Kultur als Machtinstrument einsetzt – und was das mit der Steiermark, Graz und dem Annenviertel zu tun hat.

Im Theater am Lend diskutierten Künstler:innen und Kulturvermittler:innen aus Ungarn und der Steiermark über politische Einflussnahme auf Kultur. Die Veranstaltung Kulturkampf: Ungarn – #Rettungskette 2 nahm die Kulturpolitik der ungarischen Regierung zum Anlass, um auch Entwicklungen in Österreich kritisch zu beleuchten. Besonders im Grazer Annenviertel zeigt sich, wie bedroht freie, kritische Kunst durch finanzielle und politische Maßnahmen ist.

Am 25. Juni lud das Theater am Lend zur Podiumsdiskussion Kulturkampf: Ungarn – #Rettungskette 2. Unter der Moderation von Gábor Thury (Steirischer Herbst) und Maria Leitgab (Theater am Lend) diskutierten Gäste wie der Regisseur Jakab Tarnóczi und Autorin und Performancekünstlerin Kinga Tóth über den Umbau der Kulturlandschaft unter Ungarns Premier Viktor Orbán. Der Begriff „Kulturkampf“ sei längst Teil des ungarischen Sprachgebrauchs, so die Veranstalter – ein Verweis darauf, wie die Regierung Kunst politisch instrumentalisiere. Die Veranstaltung knüpfte zugleich an aktuelle Entwicklungen in Graz an: Unter dem Hashtag #Rettungskette protestieren Kulturschaffende gegen drohende Kürzungen in der Steiermark.

Kulturpolitik im Orbán-Stil

Seit seinem Wahlsieg 2010 baut Viktor Orbán Kulturinstitutionen und Medien zu einem zentralistischen System um. Laut der Deutschen Welle, einem deutschen Auslandsrundfunk, kontrolliere Orbáns Regierung weite Teile der Literatur-, Medien- und Theaterszene. Demeter, ein enger Vertrauter Orbáns, verwaltet zahlreiche Fördergelder und hat oppositionelle Künstler:innen öffentlich diffamiert. Wer sich kritisch äußert, muss mit Mittelkürzungen oder Repressionen rechnen.

Auch kulturelle Zensuren nehmen zu. Seit 2021 verbietet ein Gesetz in Ungarn die „Darstellung nicht traditioneller Geschlechterrollen“ gegenüber Minderjährigen. Das betrifft unter anderem Literatur, Theater und Bildungsangebote.

Ein dunkles Foto zeigt einen Vortragssaal mit einem großen Bildschirm, auf dem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einem weißen Hemd spricht. Das Publikum sitzt im Vordergrund mit dem Rücken zur Kamera.
Ein bei der Veranstaltung gezeigtes Video zeigt Viktor Orbán, wie er sich 2018 in Rumänien zum Kulturkampf in Ungarn äußert. – Foto: Elena Koranter.

Spannungen in der Steiermark

In Österreich herrschen andere Verhältnisse, doch auch hier gibt es zunehmende Spannungen. Im Frühjahr 2025 sorgten politische Eingriffe in die Kulturpolitik der Steiermark für Kritik. Das Kulturkuratorium wurde ohne Erklärung fast komplett neu besetzt und viele Förderungen kurzfristig gestrichen. Im März gingen rund 2.500 Menschen unter dem Motto Kulturland retten auf die Straße. Getragen wurde der Protest von einem Bündnis aus Künstler:innen, Vereinen und Initiativen – darunter auch das Theater am Lend. Ihre Forderung: verlässliche Rahmenbedingungen für die freie Szene und ein klares Bekenntnis zur Vielfalt.

Zwei Moderator:innen und drei ungarische Kunstschaffende sitzen auf einer Couch und unterhalten sich vor einer rosa Leinwand mit der Aufschrift „KULTURKAMPF: UNGARN #RETTUNGSKETTE 2“.
Ungarische Kunstschaffende, wie Kinga Tóth (zweite von rechts), im Gespräch mit den Moderatoren über ihre Erfahrungen in Ungarn. – Foto: Elena Koranter.

Ed Hauswirth, Theatermacher und Mitinitiator der Veranstaltung, erkennt Parallelen zum ungarischen Modell: „Der Austausch des Kulturkuratoriums erinnerte frappant an Orbáns Vorgehen: Was man nicht kontrollieren kann, schwächt oder zerstört man.“ Eine ähnliche Erfahrung schilderte die ungarische Autorin und Performancekünstlerin Kinga Tóth, die seit vielen Jahren über kulturelle Repression in ihrem Heimatland spricht. Sie beschreibt die zentralistische Umstrukturierung der Kulturförderung unter Viktor Orbán mit drastischen Worten: „Alles wurde zentralisiert, alles war nach Budapest gerichtet, alles staatlich entschieden.“

Hauswirth, warnt vor einem schleichenden Strategiewechsel. Rechtspopulistische Kräfte versuchten zunehmend, Narrative über Begriffe wie Kunst und Diversität umzudeuten.  Beispiel dafür sei das Volksbildungswerk Steiermark, das unter Willy Gabaliers Leitung neue Wettbewerbe organisiere, in denen Kunst und Offenheit anders interpretiert würden.

Ein Viertel mit Kulturauftrag

Zwischen Lendkai und Annenstraße befindet sich nicht nur das Theater am Lend – auch Initiativen wie das Theater im Bahnhof oder Kunstprojekte im Kulturzentrum Rotor arbeiten hier und Kollektive nutzen einige Räumlichkeiten im Viertel. All diese großen und kleinen Plattformen sind wichtig für unabhängige, gesellschaftskritische Kunst. Diese Häuser leisten kulturpolitisch und sozial wertvolle Arbeit – oft mit geringen Mitteln. Für sie sind langfristige Planbarkeit und öffentliche Förderung überlebenswichtig. „Kunst braucht Strukturen und Geld, die eine Demokratie – wenn sie ihren Namen ernst nimmt – zur Verfügung stellen muss“, so Hauswirth, „Kritische Kulturarbeit ist ein Lebensmittel für die Gesellschaft.”

Das zeigt sich etwa im Kulturzentrum Rotor: In direkter Nähe zum Theater am Lend diskutieren internationale Künstler:innen regelmäßig über Migration, Teilhabe oder Ökologie. Die Kürzungen treffen auch diese Räume – durch Druck auf Fördermittel und wachsende Unsicherheit. Den Begriff „Kulturkampf“ will Hauswirth auf das Annenviertel selbst jedoch nicht anwenden: „Hier dominiert trotz mancher Konflikte ein urbanes Miteinander und das Prinzip der Toleranz.“

Kulturpolitik zwischen Kontrolle und Kritik

Die Veranstaltung Kulturkampf: Ungarn – #Rettungskette 2 schlug eine Brücke zwischen Budapest und Graz und zeigt, wie stark kulturpolitische Entwicklungen international miteinander verflochten sind. Die Strategien politischer Einflussnahme – etwa durch Mittelkürzungen, ideologische Steuerung oder strukturelle Eingriffe – ähneln sich vielerorts. „Rechtspopulisten verfolgen weltweit die gleichen Strategien“, sagt Hauswirth, „Der Begriff Playbook hat sich etabliert. Mit der Veranstaltung wollten wir ein Bewusstsein herstellen und den Fokus auf die Rolle der Kunst legen.”

Was in Ungarn längst Realität ist, lässt sich auch in Österreich in ersten Ansätzen beobachten. Die Diskussion über politische Einflussnahme und die Instrumentalisierung von Kunst und Kultur ist damit auch hier aktueller denn je.

 

Titelbild: Moderator:innen Gábor Thury und Maria Leitgab im Gespräch mit ungarischen Kunstschaffenden – Foto: Elena Koranter.

Servus! Nach meiner Matura 2024 habe ich mich auf direkten Wege in den Mediendschungel begeben. Wenn ich nicht gerade an meinen neuen Artikel arbeite, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich lese oder die Welt bereise.

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