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Kein Flaneur ohne Boulevards

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Der Grazer Stadtflaneur Günter Eichberger erklärt, wie er die Annenstraße mit einen Zauberstab verändern würde, was einen richtigen „Flaneur“ ausmacht und warum bald Außerirdische das Annenviertel beleben werden.

von Sonja Radkohl

 

Autor, Kolumnist für die „Kleine Zeitung“ und hauptberuflich Grazer Stadtflaneur: Wenn Günter Eichberger durch die Straßen von Graz schlendert, lässt er sich Zeit. Er beobachtet genau, hört zu und hinterfragt kritisch. Heraus kommen dabei meist zynische Texte, in denen er sämtliche Mängel von Graz auflistet. Ob Stadtpolitik, Kunst, Verkehr oder Weltuntergangsszenarien – Günter Eichberger verschont nichts und niemanden, charakterisiert Graz aber gleichzeitig auf eine treffend verzerrte Art. annenpost.at hat den führerscheinlosen Flaneur getroffen und spaziert mit ihm in Gedanken durch reale und fiktive Annenstraßen.

 

Günter Eichberger

Der Grazer Stadtflaneur Günter Eichberger

 

Herr Eichberger, sind Sie ein Annenstraßen-Fan?

Bin ich nicht, nein. Wenn man die Annenstraße als Geschäftsstraße sieht, ist es mit ihr schon abwärts gegangen als ich in den 70ern nach Graz gekommen bin. Fan kann ich also schwer sein, außer ich denke an Versuch, eine Alternativszene zu schaffen. Vor ein paar Jahren hat man die aufgelassenen Geschäfte künstlerisch gestaltet – das ist schon positiv. Ansonsten ist die Annenstraße das, was sie jetzt ist: Sie hat etwas geisterhaft Verlassenes.

Wenn Sie sich jetzt vorstellen, durch die Annenstraße zu flanieren, was nehmen Sie wahr?

Da fallen mir Lokale ein, die ich von früher kenne, als ich noch hier in der Nähe gewohnt habe. Über eines dieser Lokale, den „Eisvogel“, hat Mathias Grilj ein langes Gedicht verfasst. Das ist nicht so lange her, da ist er im leer geräumten Eisvogel gehockt und hat diesen Text rezitiert. Diese Lokale gibt es aber zu Teil nicht mehr und von einigen wüsste ich auf die Schnelle auch nicht, wie sie geheißen haben.

Und neben den Lokalen?

Ansonsten denke ich natürlich an das Annenhofkino. Das kenne ich auch noch aus einer Zeit, als es nur einen großen Saal gegeben hat – das war damals der schönste Saal in Graz. Ich habe immer den Wunsch gehabt, mir einmal an einem Geburtstag dieses Kino zu mieten, um den ganzen Tag über diese wunderbare Tonanlage Musik zu hören. Es ist leider nie dazu gekommen.

Die Stadt Graz will die Annenstraße bis 2013 komplett umbauen. Es soll mehr Plätze zum Verweilen geben und die Straße soll zum Flanieren einladen. Werden Sie diese Möglichkeiten nutzen?

Also sie wollen Boulevards anlegen? Kein Flaneur ohne Boulevards. Eine Germanistik-Studentin hat mir einmal erklärt, dass ich streng genommen kein Flaneur bin, weil es in Graz keine Boulevards gibt. Aber wenn sich in der Annenstraße etwas ändert, werde ich das gerne in Augenschein nehmen.

In Ihrem Buch „G-Punkt des Universums“ meinen Sie, eine Leerstelle sollte das Denkmal der Demokratie sein, denn „Die Demokratie protzt durch Leere.“ Beweist die Stadt Graz nicht mit der Renovierung der Annenstraße das Gegenteil, also viel Ideen- und Einfallsreichtum?

Das werden wir sehen. Ich habe wenig Vertrauen in die Politik, in ihre Phantasien und in ihre Gestaltungskraft. Ich war sogar eine Zeit lang in einer Stadtentwicklungskommission, da sollte man Visionen für Graz entwickeln. Meine Beiträge waren immer so wie die Kolumnen, eher absurd oder phantastisch. Mit den Realitäten konfrontiert komme ich meistens ins Schwimmen – ich erfinde einfach Dinge.

Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen die Umgestaltung der Annenstraße überlassen. Was würden Sie tun?

Dann wäre die Phantasie an der Macht! Das wäre wie in meinem Märchen „Lost Highway“ (Anm.: In dem er eine fantastische Annenstraße beschreibt). Ich würde mir einen Zauberstab wünschen: alternative Galerien, Kulturzentren und noch mehr Kinos, ein paar Konzertsäle mit besserer Akustik als in der Liebenauer-Tonverzerrungsanstalt-Eishalle. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Annenstraße das alternative Kulturzentrum von Graz wird.

Welche Galerien würden Sie anlegen?

Wenn ich Geld hätte, wäre ich gerne Kunstsammler und würde das sammeln, was mir gefällt. Da wären meine Lieblingskünstler, über die ich geschrieben habe, wie Claudia Klučarić und Werner Schimpl. Claudia Klučarić arbeitet z.B. mit Bildunterschriften, die in einem assoziativen Zusammenhang mit dem stehen, was sie zeichnet. Diese Kunst hat am Markt aber wenige Erfolgsaussichten, da sie viel Beschäftigung verlangt.

Wenn man diesen beiden Künstlern die Renovierung der Annenstraße überlassen würde, was würden sie machen?

Das ist eine sehr interessante Frage, wir werden sie einfach anrufen, ich habe von beiden die Nummer. Ich könnte mir vorstellen, dass der Werner Schimpl statt der Straßenbeleuchtung etwas mit Lichtobjekten macht – so eine Art eigene Galaxie oder Sonnensystem.

2012 geht auch in Ihrem Buch „Der G-Punkt des Universums“ die Welt unter. Was soll dann aus der Annenstraße werden?

Eben, sie geht unter. Oder soll die Annenstraße bleiben? Der Rest der Welt ist untergegangen, nur die ewige Annenstraße bleibt stehen. Und dann beleben Außerirdische das Annenviertel. Diese Außerirdischen würden das Annenviertel in ihrem außerirdischen Sinn verändern, damit sie sich als Außerirdische im irdischen Annenviertel wohl fühlen. Sie würden aus dem Annenviertel ein außerirdisches Annenviertel machen. Das würde dann ganz anders ausschauen, aber wie, das kann ich mir nicht vorstellen, weil ich ja kein Außerirdischer bin.

 

Als perfektionistische Kindergartenpädagogin scheint Sonja geradezu prädestiniert dazu zu sein, buntem Treiben in der Klasse entgegen zu stehen. Im Unterricht fliegt ihre Füllfeder schier über die Seiten, wenn sie sich fleißig Notizen macht. In ihrer Freizeit lebt sie gerne ihre musikalische Seite beim Gitarre spielen aus oder vertieft sich stundenlang in Bücher. Dank ihres schriftstellerischen Talents ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch sie ihre Karriere, wie ihr Lieblingsjournalist Hubert Patterer, im Printbereich starten wird. Verfasst von Jennifer Polanz

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