Yannick Steinkellner: „Slam muss sich jetzt behaupten“

Lesezeit: 4 Minuten

Poetry-Slam entwickelte sich von einem kleinen Nischen-Format zu einer hippen Studentenveranstaltung. Mittlerweile ist diese Art der Kunst fest etabliert in der Kunst- und Kulturszene, doch das war nicht immer so:

Poetry-Slam-Urgestein Yannick Steinkellner kennt die Poetry-Slam-Szene in- und auswendig, in seiner Heimatstadt Graz hat er sie immerhin selbst mit aufgebaut. Heute vergehen kaum vier Wochen ohne eine Poetry-Slam-Veranstaltung in Graz. Doch vor etwas mehr als zehn Jahren sah die Sache noch ganz anders aus: “Damals gab es in Graz vielleicht drei oder vier Veranstaltungen im Kalenderjahr. Nachdem ich meinen ersten Slam besucht hatte musste ich ein halbes Jahr warten, bis ich im März 2013 selbst auftreten konnte”, erzählt der 31-Jährige.

Alles änderte sich schlagartig, als 2014 ein Slam-Text von Julia Engelmann in den sozialen Medien viral ging. Plötzlich war Slam der Hit schlechthin. Eine bis dahin unscheinbare Szene musste sich rapide professionalisieren, um dem Ansturm an Besucher:innen gerecht zu werden. In dieser Zeit gründete der Slam-Poet auch zusammen mit seinem Kollegen Mario Tomic den Verein PluS (= Performte Literatur und Slam Steiermark), um mehr Angebot für Interessierte zu schaffen.

 

Das Poetry-Publikum

Die Interessierten, das sind zum Großteil Student:innen, Schüler:innen und andere junge Leute. Ursprünglich stammt Poetry-Slam aus der Arbeiter:innenbewegung in den USA in den späten 80ern, weil „Leute eine Bühne wollten, die davor keine bekommen haben”, so Steinkellner. Als Arbeiterkind und ohne fertiges Studium, kennt Steinkellner selbst das Gefühl nur zu gut, nicht in das gesellschaftliche System zu passen – das Thema seines Textes „Wie sie uns gesagt haben”. In den 90er-Jahren dehnte sich das Format von Nordamerika weltweit aus, vor allem Student:innen eigneten es sich sehr schnell an.

Bis heute ist das Publikum bei Poetry Slams oft ein sehr junges. “Ich bin sehr dankbar für unser Publikum”, betont der Künstler, „aber ich wünsche mir, dass es manchmal ein bisschen breiter gestreut wäre.” Denn oftmals sei es so, dass lediglich Personen zu diesen Veranstaltungen gingen, die ohnehin schon überzeugt seien. „Preaching to the converted”, nennt Steinkellner es. Zugänglichkeit ist hierbei ein großes Thema. Denn „Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, dass ein Rollstuhl in den Raum kommen muss”. Eine Person müsse auch die notwendigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen besitzen. Die Digitalisierung trägt hier einen erheblichen Teil bei, um zumindest einen Teil der Slam-Szene zu den Leuten nach Hause zu bringen.

Die Poetry Slams im Grazer Schauspielhaus erfreuen sich immer wieder großer Beliebtheit – Foto: Lex Karelly

 

 Die Poetry-Slam-Werkzeugkiste

„Poetry-Slam ist… „. Diese offene Aussage bietet Abermillionen von Möglichkeiten zur Vervollständigung. Wer bereits einen Slam besucht oder sich auf YouTube durch mehrere Slam-Auftritte geklickt hat weiß, dass kein Text dem anderen gleicht. Poetry-Slam ist Lyrik, Satire, Gestik, Mimik, Rhetorik und noch so vieles mehr. Ob still da stehend oder wild gestikulierend, mit leiser Stimme oder voller Inbrunst sprechend: Die Künstler:innen verwenden ihren ganzen Körper, um ihre Botschaft zu vermitteln.

Diese Vielfältigkeit gilt nicht nur für den Stil des Textes, sondern auch für deren Themen. Viele Texte handeln von aktuellen Themen, die einen großen Teil der Menschen beschäftigen. Die Künstler:innnen performen das, was sie selbst bewegt und versehen ihre Texte oftmals mit persönlichen Anekdoten. Mentale Gesundheit, Feminismus, soziale Ungerechtigkeit, Umweltschutz… die Liste ist endlos. Letzteres ist  auch das Thema der nächsten Slam-Veranstaltung mit Steinkellner im Annenviertel. Poetry-Slam bedient sich also nicht bloß einer Werkzeugkiste, sondern ist auch selbst ein Werkzeug. Ein Werkzeug, das auf relevante Themen aufmerksam macht, zum Nachdenken anregt, aber auch für lautes Lachen und Unterhaltung sorgt.

 

Die Sache mit dem Geld

Poetry-Slam ist zwar genauso wie die Grand Slams im Tennis ein Wettbewerb, jedoch geht es selten um irgendwelche hohen Preisgelder oder Trophäen. Für die Schülerin Lisa Konrad, die auch selbst gerne mit ihren eigenen Texten bei Slams auftritt, gibt es gar keine Gewinner:innen oder Verlierer:innen. „Unter den Künstlern ist klar, dass die Bewertung egal ist. Und wenn es wirklich etwas zu gewinnen gibt, wird das immer untereinander aufgeteilt“, sagt die Grazerin. Einerseits war die Professionalisierung ein Segen für die Künstler:innen, denn so bekamen sie mehr Gelegenheiten für Auftritte. Manche konnten auf diese Art und Weise ihre Passion sogar zum Beruf machen. Andererseits war diese Veränderung auch wie ein Fluch, da mit ihr ein enormer Leistungsdruck einherging. Steinkellner betont deshalb, wie wichtig es sei, dass Kultur gefördert wird und Künstler:innen leistungsunabhängiges Geld bekämen. Die Poetry-Slam-Szene in Deutschland ist sogar noch professioneller, was sich auch in den Texten widerspiegelt. „In Deutschland klingen viele Sachen sehr ähnlich. Das liegt daran, dass man keine schlechten Punkte bekommen will, um Auftritte und in weiterer Folge ein bisschen Geld zu bekommen. In Österreich gibt es vergleichsweise viel mehr Themenvielfalt“

 

Zukunftsausblick

Anders als andere Kulturformen wie das Theater, ist Poetry-Slam noch ein vergleichsweise junges Format. Steinkellner möchte dazu beitragen, dass Poetry-Slam nicht nur ein Phänomen von ein paar Jahren ist, sondern sich in der Kulturlandschaft behauptet und verankert. „Die größte Herausforderung ist, dass es nicht anfängt, Schüler:innen zu nerven.”, meint der Künstler. Er warnt vor dem Aussterben eines ganzen Kulturformats. „Dann fehlt irgendwann eine Generation, und dann noch eine und so weiter.“ Außerdem betont er, wie wichtig es sei, dass in Poetry-Slams nicht nur über bereits etablierte Themen gesprochen werde. Poetry-Slam solle auch ein Sprachrohr für jene von “unten”, die Schwächeren sein und seine Wurzeln nicht vergessen. Die Slam-Szene steht momentan vor vielen Herausforderungen und Veränderungen. Doch das ist für Steinkellner kein Grund zur Sorge, ganz im Gegenteil: „Wir schreiben als Szene gerade Geschichte und ich darf dazu beitragen – ich finde das total aufregend!”

 

Info-Box

Yannick Steinkellners  nächste Slam-Veranstaltung im Annenviertel:

21. März 2024: „Beat the Heat – Poetry Slam gegen die Klimakrise“ im Kunsthaus zum Thema globale Erwärmung

 

Titelbild: Yannick Steinkellner in seinem Element als Slam-Poet in Dortmund. – Foto: Caro Neuwirth

"Journalism is the first rough draft of history."

Hi, mein Name ist Lena, ich bin Journalismus und PR-Studentin mit Zuckergoscherl, das UNglaublich viel redet, wirklich UNglaublich viel. Zusammen mit vielen anderen Redakteur*innen versorge ich euch mit leiwanden Gsch'ichten aus 8020. Seid's live mit dabei, wenn wir zusammen ein Stückchen Annenpost-Geschichte schreiben. <3

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

2 + 10 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Lokal-Porträt: Von Kräutern, Kichererbsen und Kürbissen

Nächste Geschichte

Aktivismus für mehr Vielfalt: Gender- und Sexualaufklärung in Graz

Letzter Post in KULTUR