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Über Frauengesundheit, Sprache und Traditionen

in SOZIALES von

Striezelrezepte, Kondome und Erlebnisse mit Ärzten: Wie das Frauenservice Migrantinnen die österreichische Kultur und Sprache näher bringt.

„Morgen haben die Geschäfte zu!“, leitet Christa, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Frauenservice Graz, die „Deutschkonversation“ am Morgen des 31.10., einen Tag vor Allerheiligen, ein. Elf Damen aus verschiedensten Ländern sind gekommen. Jede sagt „Guten Morgen“ in ihrer Muttersprache, ihren Namen und woher sie kommt. Da gibt es Omarie aus Afghanistan, Vanja aus Kroatien, Nativida aus Peru, Anna aus der Ukraine, Magda aus Syrien, Nahome aus dem Iran und Safia aus Algerien. Die Frauen tauschen sich anschließend in gemütlicher Runde über Tradition, Feiertage und Rituale aus, während sie den von Christa gebackenen Allerheiligenstriezel essen. Sofort will eine Frau nach der anderen das Rezept haben.

Mitarbeiterinnen schreiben schwierige Wörter zur Verdeutlichung für die Migrantinnen auf
Mitarbeiterinnen schreiben schwierige Wörter zur Verdeutlichung für die Migrantinnen auf – Foto: Simone Hauser

Migrantinnen lernen in lockerer Runde

Die „Deutschkonversation“ läuft im Rahmen des Lehrgangs für Integrationswissen und interkulturelle Kompetenzen im Infocafé Palaver. Alle paar Wochen gibt es einen Vortrag über ein bestimmtes Thema. AMS, Schulsystem, (Anti-)Diskriminierung oder Dialog der Religionen. Anfang November war es Frauengesundheit, in der Woche davor wurden die Teilnehmerinnen auf den Vortrag eingestimmt. So wurde nach der „Striezelpause“ über Geschlechterunterschiede, Verhütungsmittel und Abtreibung gesprochen. Manche haben sich bereits gut ausgekannt, andere noch nicht. Maja aus Bosnien meldete sich sofort zu Wort: „Ich habe in einer Apotheke gearbeitet, da habe ich viele Kondome gesehen!“

Der Lehrgang ist kostenlos und die Frauen können kommen, wann sie wollen. Anna aus der Ukraine war im Vorjahr bei allen Modulen des Lehrgangs dabei und hat daher ein Zertifikat bekommen. Safia aus Algerien bemüht sich, so oft wie möglich zu kommen, immer wenn ihre Kinder im Kindergarten sind. Vor sechs Jahren ist sie nach Österreich gekommen, die Kinder sind hier geboren. Zurzeit macht Safia den Führerschein, aber hat noch etwas Angst: „Ich verstehe das Steirische nie. Deshalb wollte ich, dass meine Kinder mit Österreichern in den Kindergarten gehen.“ Wie sie vom Frauenservice erfahren hat? „Beim Vorbeigehen! Ich bin immer unterwegs.“

Referentin Kerstin Pirker erklärt den Migrantinnen Schritt für Schritt das österreichische Gesundheitssystem
Referentin Kerstin Pirker erklärt den Migrantinnen Schritt für Schritt das österreichische Gesundheitssystem – Foto: Simone Hauser

Gesundheitssystem – einfach erklärt

Den Vortrag über das österreichische Gesundheitssystem hält Sozial- und Sexualpädagogin Kerstin Pirker vom Frauengesundheitszentrum Graz. Am Ende sind es 29 Teilnehmerinnen, manche gemütlich am Sofa, viele auf Sesseln. Während des Vortrages stellen die Ehrenamtlichen immer wieder Klappsessel dazu, oft geht die Tür auf und neue Interessierte betreten den Raum. Pirker beginnt klein, mit Begriffserklärungen. Was ist ein Hausarzt? Was ist ein Kassen-, ein Wahl- und ein Privatarzt? Bei welcher Kasse bin ich versichert? Die meisten wissen es nicht. Eine Frau holt ihre E-Card heraus und liest „GKK“ vor. Auch die anderen finden sich gleich zurecht. Immer wieder  fragt die Vortragende: „Haben das auch alle verstanden?“ Alle nicken.

„Ich wollte mich nicht vor ihm ausziehen“

Das größte Problem bezüglich Gesundheit stellt für Migrantinnen nach wie vor die sprachliche Barriere dar. So erzählt Kerstin Pirker von einer Frau, der ohne ihr Wissen die Gebärmutter entfernt wurde – sie hatte davon im Arztgespräch nichts mitbekommen. Dass wir in einer (Über-)Vorsorgegesellschaft leben und viele Eingriffe nicht nötig sind, kommt bei Migrantinnen nur selten an. Sie schenken ÄrztInnen aufgrund ihres Status viel Vertrauen und hinterfragen wenig.

Eine Afrikanerin erzählt von einem Besuch in der Gynäkologie, wo ein Jungarzt einer Ärztin assistierte. „Sie hat den Mann nicht weggeschickt, obwohl ich mich nicht vor ihm ausziehen wollte.“ Am Ende habe sie sich ihren Befund zurückgeben lassen und sei nach Hause gegangen. Es sei wichtig, Migrantinnen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen, so Pirker. Viele wüssten gar nicht, dass sie das Recht auf eine Frauenärztin anstatt eines Arztes haben.

Lange Wartezeiten beim Arzt stören Rozi aus Israel. In ihrer Heimat bekomme man sofort einen Termin. Rozi macht gerade ihren Master in Theologie und ein freiwilliges Praktikum beim Frauenservice, „weil ich es hier so liebe“, wie sie sagt. „Es ist eine besondere Energie hier, so authentisch. Und ich lerne jedes Mal etwas dazu, wenn ich da bin!“

Richtiges Verstehen braucht Zeit

Um über Verhütung zu sprechen, bleibt an diesem Tag keine Zeit mehr. Obwohl es viele Interessierte gäbe. Pirker: „Das ist zu kurz heute und bringt nicht den gewünschten Erfolg, dass Frauen zuverlässig verhüten. Das braucht Zeit und viel Verstehen.“ Für Beratungen könne man sich aber jederzeit an das Frauengesundheitszentrum wenden. Auf der Website gibt es sogar Kurzvideos zum Thema. Abschlussfrage wie nach jeder Einheit im Frauenservice: „Haben das auch alle verstanden?“

 

Infobox

Für Interessierte: jeden Donnerstag von 9:15-11.00 im Infocafé Palaver (Lendplatz 38)

Wer sich vorher anmelden möchte: edith.abawe@frauenservice.at oder office@frauenservice.at

oder einfach anrufen: 0316 716022

Bei Interesse an ehrenamtlicher Mitarbeit: edith.abawe@frauenservice.at

Link zu Videos über sexuelle Gesundheit: http://www.frauengesundheitszentrum.eu/sexuelle-gesundheit-von-frauen/

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