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Von Hindernissen und einem Traum

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Seit 1. Jänner müssen öffentliche Orte und Dienstleistungen barrierefrei sein. Der „Megaphon“-Verkäufer Emmanuel Oliseh ist auf den Rollstuhl angewiesen und kennt die Tücken des Annenviertels. 
Emmanuel Oliseh an seinem Stammplatz vor dem Kaufhaus SEWA.
Emmanuel Oliseh an seinem Stammplatz vor dem Kaufhaus SEWA.

Unzählige Fußgänger, Autos, Radfahrer und Straßenbahnen – ein Tohuwabohu an der größten und am stärksten frequentierten Kreuzung der Annenstraße. Inmitten des Alltagslärms ruht Emmanuel Oliseh wie eine Oase der Höflichkeit. Oliseh grüßt fast jeden Passanten mit einem charmanten Lächeln. Doch nicht nur wegen seiner Freundlichkeit fällt er auf. Der 33-Jährige sitzt im Rollstuhl.

Der Charme des 33-Jährigen ist sein steter Begleiter.
Der Charme des 33-Jährigen ist sein steter Begleiter.

Seit mittlerweile über fünf Jahren verkauft der gebürtige Nigerianer die Grazer Straßenzeitung „Megaphon“, ein Projekt der Caritas, hier an seinem Stammplatz. Die Hälfte des Verkaufspreises bleibt bei ihm. Das kleine Fleckchen vor dem Kaufhaus SEWA ist von Montag bis Freitag seine Arbeitsstätte. Er wohnt allein in einer Wohnung in Waltendorf, Familie oder eine Frau hat er nicht, weder in Österreich noch in Nigeria. Dafür sind seine Freunde ihm umso wichtiger. „Graz ist jetzt meine Heimat.“

Seit seinem fünften Lebensjahr leidet er an Poliomyelitis, kurz Polio, besser bekannt als Kinderlähmung. Seither ist er auf den Stock angewiesen, die Alternative Rollstuhl nützt er seit 2009. Das hält ihn aber nicht davon ab, ein aktives Leben zu führen. Seine Statur lässt es erahnen: Emmanuel Oliseh betreibt Bodybuilding und eine ganze Reihe weiterer Sportarten.

Gleichstellungsgesetz mittlerweile in Kraft
Ein neues Gesetz sollte Emmanuel Olisehs Leben eigentlich ab 1. Jänner dieses Jahres erleichtern. Denn da ist die zehnjährige Übergangsfrist für das Behindertengleichstellungsgesetz ausgelaufen. Seither müssen unter anderem Geschäftslokale, Dienstleistungen, öffentliche Räume und Verkehrsmittel barrierefrei zugänglich sein. Doch in Graz, sagt Oliseh, gibt es noch Aufholbedarf. Das Annenviertel kennt er aufgrund seiner Arbeit. Er meint, dass es in Sachen Barrierefreiheit über dem Grazer Durchschnitt liege. Besonders die Annenstraße erfülle seit dem Umbau 2013 eine Vorbildrolle. Das einzige Manko an ihr sei die Steigung im westlichen Teil. „Ich bin sehr stark, aber viele sind nicht so stark wie ich, für die ist das schon sehr anstrengend. Besonders im Winter, wenn der Schnee die Räder des Rollstuhls durchdrehen lässt.“

In den Seitengassen sieht es teilweise anders aus: Manche Gehsteige seien zu hoch, zum Beispiel die Elisabethinergasse. Probleme gäbe es auch mit älteren Straßenbahngarnituren. Um seinen Arbeitsplatz zu erreichen, verwendet er die öffentlichen Verkehrsmittel. „Manchmal kommt es schon vor, dass ich auf die nächste Straßenbahn warten muss, also auf die Neuen“, sagt er.

Doch nicht nur im öffentlichen Raum gibt es Hürden. Obwohl das Behindertengleichstellungsgesetz inzwischen keine Ausnahmen mehr zulässt, stößt Emmanuel Oliseh immer wieder auf Hindernisse. Der erste Stock des Billigladens SEWA etwa, der Bürobedarf Pagro im Styria-Center oder der Penny Markt am unteren Ende der Annenstraße sind für Oliseh im Rollstuhl unerreichbar. Bei Penny sind zwei Treppen beim Eingang das unüberwindbare Übel. Der Pagro im Styria-Center ist hingegen nur über die Rolltreppe erreichbar.

Eine unüberwindbare Hürde beim Eingang des Penny-Marktes
Zwei Stufen – eine unüberwindbare Hürde beim Eingang des Penny-Marktes.

Bei SEWA sieht die Lage etwas anders aus. Es gibt zwar einige Treppen im aktuellen Geschäftslokal, nach dem Umzug in den nächsten Wochen in die ehemalige „Crocs“-Filiale wird der Markt in Zukunft barrierefrei erreichbar sein.

Mit gutem Beispiel gehe die Sparkasse am Lendplatz voran. „Dort haben sie vor kurzem eine Stufe entfernt. Seitdem kann ich dort hinein. An einigen Stellen im Annenviertel gibt es auch kleine Rollstuhlfahrerlifte, mit deren Hilfe man Treppen umgehen kann. Den Schlüssel für diese Lifte muss ich mir aber erst besorgen“, sagt Emmanuel Oliseh.

Zurück zum SEWA-Umzug. Dieser betrifft Oliseh auch in anderer Weise. Jenes Unternehmen, das dann die Räumlichkeiten von SEWA übernimmt, muss dem Verkauf von Zeitungen vor dem Geschäftslokal erst zustimmen. „Ich bleibe hier“, sagt er optimistisch, „die Organisatoren des Megaphon werden das schon machen, dass ich bleiben darf.“

Oliseh ist aber nicht nur auf diesem Gebiet sehr optimistisch. Die positive Lebenseinstellung spürt jeder, der ihm an seinem Arbeitsplatz begegnet. Das mache der Sport, sagt er selbst. Neben Sledge Hockey, Eishockey für Menschen mit Handicaps an den Beinen, betreibt er auch andere Sportarten, für die sein kräftiger Körper prädestiniert ist. „Ein kleiner Traum von mir ist es schon, Österreich im Sport professionell zu vertreten. Zum Beispiel im Speerwurf oder im Kugelstoßen.“

"Der Sport gibt mir eine positive Einstellung." Emmanuel Oliseh beim Sledge-Hockey.
„Der Sport gibt mir eine positive Einstellung.“ Emmanuel Oliseh beim Sledge-Hockey. (Foto: Privat)

Taktvoll in der Percussion und hinter der Tastatur. Taktgebend in seinen Ehrenämtern. Was er macht, macht er mit Leidenschaft und Pflichtbewusstsein.

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