Der empörte Stéphane Hessel (Foto: Sarah Bleuler)

Der lange Atem der Empörten

Lesezeit: 4 Minuten

Vergangenen Samstag, am 15. Oktober, dem Tag der Empörung, wurde weltweit demonstriert, gegen Budgetkürzungen, gegen die Macht der Finanzmarktspekulanten, gegen soziale Ungerechtigkeit. Auch in Graz wurde der Tag der Empörung von der Plattform 25 begangen, mit Diskussionen, Aktionismus und Reden – unter anderem von dem ehemaligen Widerstandskämpfer und Autor des Buches „Empört Euch!“, Stéphane Hessel.

Ein kühler Herbstmorgen am Grazer Südtiroler Platz, die Häuser werfen noch lange Schatten, die Menschen kosten die spärlichen Sonnenstrahlen aus. Rund um ein paar Bierbänke sitzen Menschen im Alter von Anfang 20 bis über 50 und genießen ihr Frühstück. Sie nippen an ihrem Espresso, bestreichen ein Stück Schwarzbrot mit Pastete und unterhalten sich angeregt miteinander. Auf einmal hört man ein lautes Knacken – die Leute zucken zusammen – dann ein kurzes Rauschen und eine metallisch verstärkte Stimme: „Empört euch!“, ruft ein Mann am Ende des Tisches in sein Megaphon. Nachdem die Leute die zwei Worte verstanden haben, wenden sie sich wieder ihrem Frühstück zu und schenken dem Mann kaum weitere Beachtung. Diesen Satz haben sie nicht zum ersten Mal gehört, auch heute werden sie ihn noch oft hören. Denn dieses Frühstück ist ein Protestfrühstück. Und heute ist der “Tag der Empörung”.

Tag der Empörung
Listen - Speak - Talk, Graz Mariahilfer Platz (Foto: Sarah Bleuler)

Wir wollen ja keine Revolution – Stéphane Hessel

Am 15. Oktober, dem internationalen Tag der Empörung, wurde weltweit gegen die Macht der Finanzmärkte demonstriert: auf der Piazza della Repubblica in Rom, auf der New Yorker Wall Street, vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und – etwas kleiner dimensioniert – am Grazer Mariahilferplatz und im Lendviertel. Organisator war die Plattform 25, die im Frühling diesen Jahres als Zusammenschluss mehrerer Vereine gegründet worden war und ursprünglich gegen die Kürzungen im Sozialbudget des Landes Steiermark protestiert hatte. Das Programm am Tag der Empörung in Graz reichte von “Kampfstrickerinnen” auf der Keplerbrücke über Diskussionen der NGO attac bis hin zu einem Vortrag des ehemaligen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, der mit seinem Buch „Empört Euch!“ vor genau einem Jahr dazu aufgerufen hatte, die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft zu hinterfragen.

Plattform will wieder aktiv werden

„Die Krise wurde verursacht durch Finanzmarktspekulanten und Superreiche, und wir, die wir nichts zu der Krise beigetragen haben, dürfen die Zeche zahlen. Das kann es einfach nicht sein“, erklärt Gerhard Zückert die Empörung der Menschen. Zückert ist seit der Gründung der Plattform 25 zusammen mit Yvonne Seidler als Sprecher der Organisation aktiv. Als Anfang des Jahres tausende Grazer und Grazerinnen auf die Straße gingen, um gegen soziale Kürzungen zu protestieren, war die Plattform in aller Munde. Die Politik blieb aber hart und gab nur im Bereich der Behindertenhilfe etwas nach, gibt auch Zückert zu. Die Plattform 25 kündigt an, nach der Sommerpause nun wieder aktiv zu werden, konkrete Termine gibt es aber noch keine. Auf die Frage hin, ob Protestaktionen wie die Plattform neben Empörung realpolitisch überhaupt etwas erreichen können, haben Seidler und Zückert eine eindeutige Antwort. „Wir haben von Anfang an gewusst, dass wir einen langen Atem brauchen werden. Und wir werden weitermachen“, sagen sie kämpferisch.

Bail-Out Couches auf der Hauptbrücke (Foto: Sarah Bleuler)

Wir, die wir nichts zu der Krise beigetragen haben, dürfen die Zeche zahlen. Das kann es einfach nicht sein! – Gerhard Zückert, Plattform 25

Nach dem Protestfrühstück beginnt das Annenviertel aufzuwachen, obwohl die Menschenmenge am Mariahilferplatz, dem Zentrum der Empörung, bis zum Auftritt von Stéphane Hessel sehr überschaubar bleiben wird. Auf der Hauptbrücke machen einige Aktivisten und Aktivistinnen aus dem Umfeld des autonomen linken Kulturzentrums Spektral mit „Bail-Out Couches“ auf sich aufmerksam. Die jungen Leute sitzen auf ihren mitgebrachten Sofas und wollen, wie sie sagen, „die Debatten aus dem Wohnzimmer und aus dem Internet wieder in den öffentlichen Raum befördern“. „Aber wir müssen gleich wieder weg, hat die Polizei gesagt,“ erklärt ein junger Mann mit schwarzer Baskenmütze und schaut vom einen Ende der Brücke zum anderen. Einige Zeit später wird man dieselben Aktivisten am Mariahilfer Platz – als „Interessensgemeinschaft Lebensmittelvernichtung“ mit Hammer und Säge bewaffnet – Kuchen, Obst und andere frische Lebensmittel zerkleinern sehen. Als Protest gegen die Vernichtung von Lebensmitteln wird hier paradoxerweise genau das gemacht.

Ohne Worte - die Aktion der Interessensgemeinschaft Lebensmittelvernichtung (Foto: Sarah Bleuler)

Stéphane Hessel wird gefeiert

Am frühen Abend betritt dann schließlich mit dem bald 94-jährigen Stéphane Hessel die wohl prominenteste Figur des Tages die Bühne. In beigen Mantel gehüllt wartet der Mann seine Ankündigung durch den ehemaligen VP-Stadtrat Helmut Strobl ab und beginnt schließlich ganz behutsam seine Rede vorzutragen. „Ich habe Eure Stadt Graz sehr lieb,“ sagt er. Und erhält schon dafür schallenden Applaus von den mehreren hundert Menschen, die sich mittlerweile am Mariahilferplatz versammelt haben. Er freue sich über die vielen jungen und weniger jungen Leute, die sich versammelt haben, fährt Hessel fort. „Unsere Weltgesellschaft steht vor schwierigen Fragen, die wir bis jetzt nicht gut überwunden haben,“ sagt er und nennt neben Umweltproblemen die extremen Unterschiede in der Vermögensverteilung. Wie in seinem Büchlein über die Empörung bleibt Hessel aber sonst auch in seiner gut fünf Minuten langen Rede sehr vage. Man müsse gut nachdenken, sagt er, er wolle schließlich keine Revolution. Aus dem Publikum hört man einige Menschen “Oh, wohl!” oder “Doch, doch!” rufen. Auch nach seinem Auftritt erntet Hessel ausgiebigen Applaus, Menschen strecken ihm seine Büchlein für Autogramme entgegen, Kameras umringen ihn, nach kurzer Zeit aber hat er sich mit Begleitung den Weg durch die Menge gebahnt. Damit scheint auch der Tag der Empörung zu Ende zu gehen.

Der empörte Stéphane Hessel (Foto: Sarah Bleuler)

Die Bühnen werden abgebaut, die Besucher zerstreuen sich in kurzer Zeit, und schon einige Stunden später ist am Mariahilferplatz kein Zeichen der Empörung mehr zu sehen. Lediglich am im Zuge des Lendwirbel 2011 „Hier ist Platz“ getauften Fleckchen vor der Haarschneiderei halten noch einige durch. Eine kleine Gruppe sitzt am Boden und verbreitet mit Gitarrenmusik Lagerromantik, die Zuhörer wärmen sich mit Rumtee. Von Empörung ist hier nichts mehr zu spüren – allerdings auch keine Katerstimmung.

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