Inklusion bedeutet mehr als Rampen und Aufzüge – sie steht für eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. In Graz rücken seit dem 16. Juni Barrierefreiheit und soziale Teilhabe verstärkt in den Mittelpunkt.
Was bedeutet es wirklich dazuzugehören? Für viele Menschen mit Behinderung bleibt Integration im Alltag nach wie vor ein Hindernislauf – trotz rechtlicher Fortschritte und steigendem Bewusstsein. Die Grazer „Wochen der Inklusion” setzen genau an dieser Stelle an: Mit Veranstaltungen und Beratung wollen sie zeigen, was Inklusion bedeutet und wo sie noch fehlt.
Der Höhepunkt der Veranstaltungen ist der Aktionstag am 27. Juni. Erstmals liegt hier die Organisation nicht bei der Stadt selbst, sondern bei Menschen, die selbst von dem Thema Behinderung betroffen sind oder sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die Mitglieder des Vereins „Wegweiser“, der sich für selbstbestimmtes Leben mit Behinderung einsetzt, übernehmen heuer die Planung. Mehr als 30 Organisationen und Selbstvertretungsgruppen stellen ihre Arbeit vor, laden zum Mitmachen ein und schaffen Raum für Austausch, Unterhaltung und Begegnung.
Inklusion bedeutet mehr als Barrierefreiheit
Die „Wochen der Inklusion“ gibt es in Graz schon seit vier Jahren. Sie machen inklusive Angebote – etwa in den Bereichen Freizeit, Arbeit oder Kultur – sichtbar und laden dazu ein, gesellschaftliche Vielfalt bewusst wahrzunehmen und aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen zu betrachten. Inklusion wird dabei bewusst weit gefasst: Es geht nicht nur um Menschen im Rollstuhl oder mit sichtbaren Einschränkungen. Auch psychische Erkrankungen, kognitive Beeinträchtigungen oder soziale Hürden spielen eine Rolle.
Ein zentrales Stichwort ist Eigenständigkeit. Das sogenannte „persönliche Budget“ etwa – eine Form der staatlichen, finanziellen Unterstützung – ermöglicht es Menschen mit Behinderung, selbst über benötigte Hilfeleistungen zu entscheiden. „Statt über die Köpfe Betroffener hinweg zu entscheiden, geht es heute um Selbstbestimmung und Selbstorganisation“, betont David Kriebernegg, Leiter der Koordinationsstelle für Inklusion der Stadt Graz.
Doch Inklusion endet nicht bei Rampen oder barrierefreien WCs. Eine Stadt ist erst dann inklusiv, wenn die vielfältigen Lebensrealitäten aller Menschen in Bereichen wie Bildung, Freizeit, Arbeit oder öffentlicher Kommunikation berücksichtigt und sichtbar gemacht werden. Graz will hier bewusst ein Zeichen setzen: durch inklusive Veranstaltungen, Schulungen für Mitarbeitende, einfache Sprache auf Webseiten und den Ausbau barrierefreier Infrastruktur.

Inklusion braucht Bewusstsein
In Graz wurde in den vergangenen Jahren viel in den barrierefreien Ausbau des öffentlichen Raums investiert. Akustische Ampeln, taktile Leitsysteme – das sind ertastbare Bodenmarkierungen – und barrierefreie Haltestellen gehören mittlerweile zum Stadtbild. Dennoch bleibt einiges zu tun. Besonders herausfordernd ist das Thema Wohnen: Finanzielle Hürden, fehlende barrierefreie Wohnungen und veraltete Unterstützungsformen – etwa das Leben in Heimen statt selbstbestimmter Wohnformen – erschweren ein eigenständiges Leben. Auch die politische Repräsentation ist gering – kaum Menschen mit Behinderung haben Führungspositionen inne, weder in der Verwaltung noch in der Politik.
Ein weiterer Punkt: Inklusion braucht Rücksichtnahme – im ganz alltäglichen Miteinander. Menschen mit Autismus etwa benötigen reizärmere Umgebungen. Beispielsweise gibt es hier die Stille Stunde in drei Spar-Filialen in Graz. Gehörlose brauchen visuelle Informationen, blinde Menschen sind auf barrierefreie Orientierung angewiesen – etwa tastbare Bodenmarkierungen oder akustische Ansagen. Vieles davon scheitert nicht an Technik oder Geld, sondern an mangelndem Bewusstsein.
„Wir haben keine Gesellschaft, in der alle die gleichen Chancen haben – wir haben eine extrem ungleiche Gesellschaft.“, betont David Kriebernegg. Genau hier sollen die „Wochen der Inklusion” ansetzen: durch Dialog, Information und Begegnung. Denn nur wer andere Perspektiven kennt, kann Rücksicht nehmen und echte Teilhabe ermöglichen.
Die Veranstaltungen der Wochen der Inklusion
Titelbild: Bei der Eröffnung der Wochen der Inklusion 2024 wird getanzt. – Foto: Stadt Graz