Nachhaltiger Konsum ist im Annenviertel schon lange mehr als ein Trend. Doch steigende Lebenshaltungskosten und politische Unsicherheit verändern das Konsumverhalten vieler Menschen. Nachhaltig zu leben wird immer schwieriger – für Konsument:innen und für Betriebe, die sich diesem Anspruch verschrieben haben.
Fünf Euro für einen Cappuccino mit Hafermilch? 25 Euro für eine Bluse im Vintage-Stil? Bis vor Kurzem war das für viele kein Thema. Hauptsache es bringt einem Freude, mit gutem Gewissen on top. Doch angesichts steigender Unsicherheit durch Politik und Wirtschaft hat sich das Konsumverhalten spürbar verändert. Energiepreise steigen, Mieten werden teurer und viele Menschen geben ihr Geld nicht mehr so unbekümmert wie noch vor einem Jahr aus. Besonders in hippen Teilen des Annenviertels, wie beispielsweise dem Bereich um den Lendplatz, ist nachhaltiger Konsum schon lange Teil des urbanen Selbstverständnisses. Hier stellt sich die Frage: Können sich Betriebe weiterhin an ihren ethischen Ansprüchen orientieren oder geraten diese unter Druck, sobald Kund:innen beginnen zu sparen?
Spürbare Unzufriedenheit
„Im Moment wollen sehr viele Kund:innen handeln, aber das geht sich bei uns einfach nicht aus“, erklärt Anna-Lena Reck. Seit 2019 ist sie Teil des Teams von Dogdays of Summer, einem Second-Hand-Laden in der Volksgartenstraße. Um der derzeitigen Entwicklung entgegenzuwirken, hat man im Laden bereits die Menge der Angebotsstangen erhöht. Dadurch versuche man alle Preissegmente abzudecken und somit wieder mehr Kund:innen abzuholen. Der Ansturm sei derzeit jedoch trotzdem geringer als früher.

Auch Michael Bauer von der Tribeka-Filiale am Grieskai kennt die Diskussion um Preise: „Preiserhöhungen werden nie gern gesehen. Man wird schnell hinter der Kasse dafür verantwortlich gemacht, dass etwas mehr kostet. Dahinter steckt aber ein größerer Prozess. Wir entscheiden nicht alleinig über die Preise, sondern orientieren uns beispielsweise auch an der Kaffeeproduktion.“
Wenn Nachhaltigkeit nebensächlich wird
Eine Studie der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2024 zeigt, wie stark sich Konsumverhalten unter Krisendruck verändert. Weniger Spontankäufe, mehr Reparatur und Wiederverwertung – ein Lebensstil, der auf den ersten Blick nachhaltig wirkt, aber nicht aus Überzeugung, sondern aus Sparzwang entsteht. Rund ein Drittel der Befragten kauft seltener Bio- oder Regionalware, weil sie sich diese nicht mehr leisten können. Einige Unternehmen in Graz schaffen es dadurch eben nicht durch den Wirtschaftsabschwung. Das Konzept des ersten Grazer Unverpackt-Geschäftes ging beispielsweise nicht auf. “Das Dekagramm” musste Anfang 2023 schließen.
Potenzial im Annenviertel
Wie Betriebe und Konsument:innen dennoch langfristig nachhaltig agieren können, beschäftigt das Institut für Nachhaltiges Wirtschaften. Der gemeinnützige Verein berät Unternehmen, betreibt Forschung und arbeitet eng mit der Stadt Graz zusammen „Nachhaltiges Wirtschaften passt sehr gut mit einer kleinteiligen Struktur zusammen. Das bedeutet viele kleine Geschäfte, die gute Qualität anbieten, Kompetenz haben und wissen, wo sie ihre Produkte herhaben,“ erklärt Christian Kozina-Voit, wissenschaftlicher Leiter des Instituts.
In Graz sieht Kozina-Voit hierin das Annenviertel mit Plätzen wie dem Mariahilfer-Viertel als nachhaltigen Vorzeigebereich: „Die Stärken wurden hier noch gar nicht erkannt. In der Annenstraße gibt es durch die verschiedenen Kulturen so eine große Produktvielfalt – das ist einzigartig in Graz.“

„Die Anreize stimmen nicht“
Für den Experten, der ebenfalls Grünes Gemeinderatsmitglied ist, ist klar: „Wir haben eine Marktwirtschaft, da müssen wir nachhaltiges Verhalten belohnen und nicht nachhaltiges Verhalten bestrafen.“ Doch genau das geschehe vielerorts nicht. Allein in Österreich werden jährlich rund vier Milliarden Euro in fossile Energie subventioniert, trotz des Bekenntnisses zu Klimazielen. Wenn solche Mittel in nachhaltige Strukturen fließen würden, so Kozina-Voit, könnte sich das System rascher verändern: „Dann hätten wir ganz andere Produkte am Markt und folglich auch ein anderes Konsumverhalten.“
Das Annenviertel zeigt exemplarisch, wie eng ökologische Verantwortung mit ökonomischer Realität verknüpft ist. Die Trendstudie der Arbeiterkammer Wien kam zum Ergebnis, dass sich die Befragten vor allem Maßnahmen der Regierung erhofften. Viele Menschen wollen nachhaltig konsumieren – doch nicht alle können es sich leisten. Betriebe wiederum stehen vor der Frage, wie sie ihren Ansprüchen treu bleiben, wenn Kund:innen sparen. Die Antwort darauf entscheidet, ob Nachhaltigkeit im Viertel ein gelebter Wert bleibt oder zum bloßen Image verkommt.
Titelbild: Auch die Tribeka-Filiale am Grieskai bekommt Unmut nach Preiserhöhungen zu spüren. – Foto: Anna Ganzer
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