Gisela Kurath sitzt an ihrem Schreibtisch mit einem Bücherregal im Hintergrund.

Kurath: „Auch ein Kontaktabbruch ist Kommunikation”

Lesezeit: 4 Minuten

Kontaktabbrüche innerhalb der Familie sind keine Seltenheit und dennoch wird kaum offen darüber gesprochen. Die „Das Haus von morgen“-Gründerin Gisela Kurath über Gründe, Generation-Gaps und Kommunikation.

Breites Lächeln – Eltern, Arm in Arm mit ihren Kindern: Das Bild der perfekten Familie sitzt tief in den Köpfen der Menschen. Kindern wird das Gefühl vermittelt, eine enge Bindung mit den Eltern pflegen zu müssen. Sollte es dennoch zur Entfremdung oder einem Kontaktabbruch kommen, erleben Betroffene häufig ein Gefühlschaos aus Scham, Trauer, Wut und Verzweiflung und neigen dazu, über ihre Erfahrungen zu schweigen. Zu groß ist die Angst vor negativen Reaktionen. Schließlich wird das Thema weitgehend tabuisiert.

Gisela Kurath ist mit familiären Kontaktabbrüchen vertraut. Die akademische Trauma-Beraterin startete 2018 eine Selbsthilfegruppe, die sich 2020 in den Verein „Das Haus von morgen“ verwandelte. Er war der erste seiner Art in Österreich. 

In der Vinzenzgasse 47a/21 hat die 55-Jährige ihre Praxis für psychosoziale Beratung. Vierteljährlich moderiert sie kostenlose Austauschtreffen in der Griesgasse 8. Diese sind für Personen ab 40 Jahren – meist die betroffenen Eltern – vorgesehen. 16- bis 39-Jährige – hauptsächlich die aktiven Kontaktabbrecher:innen – können monatlich an Online-Treffen teilnehmen. Die Gruppe der Jüngeren wird von Cornelia Heß, Kuraths Cousine, betreut. In beiden Gruppen können Betroffene ihr Schweigen brechen und Trauma gemeinsam aufarbeiten.  

Tabuisiert und kaum erforscht

Offizielle Daten zu Kontaktabbrüchen – wie Statistiken oder Vergleichszahlen – gibt es nicht. Studien lassen jedoch Schätzungen zu. In der Conti-Studie aus dem Jahr 2015, an der insgesamt 354 Studierende teilnahmen, gaben 8 % an, keinen Kontakt zum Vater und 1 %, keinen zur Mutter zu haben. In der langjährigen Pairfam-Studie, mit 10.000 Teilnehmer:innen aus Deutschland, berichten 20 % von einer befristeten Funkstille zum Vater und 9 % zur Mutter. 

Trotz mangelnder Daten sind Veränderungen auf dem Gebiet spürbar. „Das Thema Kontaktabbrüche nimmt gefühlsmäßig zu. Ob das jetzt nur in unserer Wahrnehmung stattfindet oder in der Realität, lässt sich schwer herausfinden”, erzählt Kurath. Sie beobachtet den Anstieg besonders auf Social Media und in Therapien. Dabei wäre eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik längst überfällig. Kurath ergänzt: „Ich wünsche mir mehr Unterstützung aus der Psychotherapie-Szene. Außerdem warte ich schon lange auf Forschung aus dem sozialen, psychologischen und soziokulturellen Bereich.” 

Kluft zwischen den Generationen

Kurath nimmt durch ihre Erfahrung einen zunehmenden Generation-Gap – also einen Generationenkonflikt – wahr, denn die Herausforderungen des Alltages haben sich verändert. Die ältere Generation kann die Situation der jüngeren kaum nachvollziehen. „Ich bin in einer sicheren Welt aufgewachsen, in der Mauern gefallen sind. Wir dachten damals, dass sämtliche Autokrat:innen dieser Welt verschwinden würden und Frieden einkehrt. Zurzeit erlebe ich das Gegenteil. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum es Angst und Besorgnis gibt. Nicht weil ich dumm bin, sondern weil ich das Glück hatte, in Sicherheit aufzuwachsen.” 

Laut ihr braucht es mehr Kommunikation zwischen den Generationen, um einer Entfremdung entgegenzuwirken. „Eine Diskussion zwischen Alt und Jung findet nicht mehr statt. Darauf folgt eine Sprachlosigkeit, die dann wiederum zum Bruch führt.”

Im Büro der Trauma-Beraterin befindet sich ein gemustertes Sofa, eine Stehlampe, ein Beistelltisch und ein Sessel.
In einem Innenhof eines Wohnblocks befindet sich das kleine Büro der Trauma-Beraterin. – Foto: Melanie Spieler

Die Frage nach dem Warum

Junge Erwachsene leben, im Vergleich zu früher, immer länger im Elternhaus – das kann wiederum zu Problemen führen. „Es ergibt sich eine Art Wohngemeinschaft, wo man nicht genau weiß, ‚Sind wir jetzt Eltern und Kind, Wohnungskolleg:innen oder Freund:innen?‘.’” Dadurch findet eine Vermischung der Rollenbilder statt und das sorgt für Konflikte. Dennoch passiert ein Kontaktabbruch nicht von einem auf den anderen Tag. Der Prozess ist meist langjährig und der Abbruch nur die Spitze des Eisbergs. 

„Es gibt nicht den einen Grund für einen Kontaktabbruch”, verrät Kurath. Man ist höchstens in der Lage, Thesen aufzustellen. Sie führt fort: „Ursachen werden nicht kommuniziert, das ist das Schlimme an der Situation.“ 

Die Gesellschaft erlebt mit der Digitalisierung – durch Soziale Medien befeuert – einen zunehmend rasanten Wandel. „Nicht immer sind es ausschließlich Beziehungsthemen, die zu einem Abbruch führen,” erzählt Kurath. Ereignisse im politischen Spektrum, wie der aktuelle Rechtsruck, aber auch die Corona-Pandemie, können dazu führen, dass sich Menschen voneinander entfremden. Auch innerhalb der Familie sei das bemerkbar. 

Sie selbst habe schon Menschen kennengelernt, die den Kontakt zu Familienmitgliedern seit über 20 Jahren unterbinden. Versöhnungsversuche finden in Relation selten statt. „Manche Eltern kennen nicht einmal den Wohnort ihres erwachsenen Kindes.”

Wenn Kommunikation scheitert

Eltern erhoffen sich für ihre Kinder ein zufriedenes und erfolgreiches Leben. Ist das nicht gegeben, sind die Sorgen groß. Kinder tendieren dazu, Misserfolge vor ihren Eltern für sich zu behalten. „Was soll ich meiner Mutter sagen? Ich fühle mich nicht wohl. Mein Leben gestaltet sich gerade nicht so, wie ich es mir vorstelle. Vielleicht bin ich mit einem Menschen zusammen, der nicht das Beste aus mir rausholt. Das sind Dinge, die ich ihr sicher nicht sagen werde. Eine Mutter erwartet allerdings, dass das Kind mit den Sorgen immer zu ihr kommt”, erklärt Kurath. Das Schweigen führt zur Entfremdung und im Extremfall zum Kontaktabbruch. 

Werden Misserfolge dennoch kommuniziert, kann es durch andere Abläufe zum Abbruch kommen. Kurath erzählt: „Wenn sich Eltern ständig Sorgen machen, dann rufen sie einen immer wieder an. Auch wenn sie es gut meinen, sie konfrontieren einen dauernd mit den Misserfolgen.” Dadurch werden Situationen verschlimmert und die Stille lauter. „Ein Kontaktabbruch scheint im ersten Moment die beste Lösung zu sein.”

Perspektivenwechsel 

Ein Abbruch kann auch Positives bewirken, jedoch bedarf es dafür einen Perspektivenwechsel. „Ich weiß, dass meine Eltern meine Eltern sind. Daran kann niemand etwas ändern. Auf der sozialen Ebene ist Familie jedoch ein Konstrukt”, erklärt Kurath. Wichtig sei es, ein unterstützendes Umfeld zu haben. „Menschen mit Partner:innen und besten Freund:innen tun sich bei einem familiären Kontaktabbruch leichter.” Das betrifft auch jene, die darüber sprechen können und von weniger schlimmen Vorerfahrungen geprägt sind. Kurath empfiehlt Betroffenen, Hilfe zu suchen. Dabei sei es egal, ob bei Freund:innen oder professionellen Anlaufstellen. 

Auch sei es wichtig, Kontaktabbrüche dynamisch zu betrachten. „Von der betroffenen Seite wird oft versucht, den Kontakt wiederherzustellen. Die aktive Seite reagiert manchmal, manchmal auch nicht. Wir dürfen nicht vergessen, auch ein Kontaktabbruch ist Kommunikation.”

Infobox:

Die Termine für die kostenlosen Austauschtreffen können auf der Vereins-Website abgerufen werden.

Das nächste Treffen der Gruppe 1 (ab 40 Jahren) findet am 29. August in der Eggenberger Allee 90 statt. Der Online-Termin der Gruppe 2 (16-39 Jahren) am 29. Juli.

 

Titelbild: Gisela Kurath hat mit ihrem Verein die erste Anlaufstelle in Österreich gegründet. – Foto: Melanie Spieler 

Ich bin 1998 geboren, habe an der HTBLVA Ortweinschule maturiert und studiere momentan Journalismus und PR an der FH JOANNEUM. Besonders interessiere ich mich für gesellschaftliche Themen. Mit meinen Texten möchte ich soziale Geschichten sichtbar machen und Diskussionen anstoßen.

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