Soziale Herausforderungen, neue Projekte und die Balance zwischen Beruf und Muttersein prägen Angela Kochs Alltag. Im Gespräch mit der Annenpost berichtet sie über die Gesundheitsdrehscheibe.
„Hilfe zur Selbsthilfe“ – so beschreibt die neue Leiterin Angela Koch den primären Fokus der Gesundheitsdrehscheibe in der Annenstraße, die es nun schon seit mehr als einem Jahr in der Landeshauptstadt gibt. Derzeit gibt es 21 Allgemeinmediziner:innen im Bezirk Lend mit Kassenvertrag – eine vergleichsweise geringe Zahl angesichts der 34.498 Einwohner:innen. Die Notwendigkeit einer Beratungsstelle hat die Stadt Graz erkannt. Deshalb ist diese „für jede Person aus Graz gedacht, die eine gesundheitliche Fragestellung hat“, erklärt Koch. Ein Ziel ist es, besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu erreichen und chronische Erkrankungen frühzeitig zu verhindern oder diese zu begleiten.

Den Menschen ganzheitlich betrachten
Angela Koch, hat vor einigen Monaten die Leitung der Gesundheitseinrichtung übernommen: „Im Grunde bin ich dafür verantwortlich, den Mitarbeiter:innen einen Rahmen zu bieten, in dem sie optimal und möglichst effizient im Team ihre Profession für die Klient:innen ausüben können, da die Ressourcen wie überall knapp sind. In einer Stadt wie Graz, braucht es eine erste Anlaufstelle für allgemeine gesundheitliche Fragestellungen.” Dabei setzt die Gesundheitsdrehscheibe – wie es schon ihr Name sagt – auf eine berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit, um die Menschen ganzheitlich zu betrachten. Eine solche ganzheitliche Betreuung ihrer Patient:innen verfolgen auch die Primärversorgungszentren. Übrigens entsteht in 8020 nun ein Fünftes dieser Art, es soll noch in diesem Frühjahr eröffnen. In der Gesundheitsdrehscheibe gelingt diese Art der Betreuung etwa mit Community Nurses, die Menschen unter die Arme greifen.
Die Grazerin hat ein praktisches Beispiel für die Arbeit der Einrichtung parat: „Eine Frau, deren Mann pflegebedürftig ist, kommt zu uns und erzählt, wie verzweifelt sie ist. Unsere Community Nurses unterstützen sie dann bei der Organisation eines Pflegebettes und geben Pflegeschulungen. Zusätzlich erhält die Frau Entlastungsgespräche, damit sie sich stabilisiert und damit sie in der Lage ist, die Pflege zu bewältigen“, erklärt die 47-Jährige. Sie ergänzt: „Mit diesen Maßnahmen wird das Gesundheitssystem entlastet, da eine Versorgung auf lange Sicht sichergestellt wird und es damit zu keiner Überlastung kommt.“
Die Einrichtung hat also eine stark beratende Funktion. „Bei der offenen Beratung – die gibt es immer vormittags von 8 bis 12 Uhr – kann jeder Grazer oder jede Grazerin einfach vorbeikommen, egal mit welcher gesundheitlichen Frage.” In dieser Beratung schaut sich das Team die jeweilige Situation an und gibt konkrete Hilfestellung. “Wir hören uns an, was das Problem ist, identifizieren es und docken an der richtigen Stelle an“, so die Leiterin.

Privat und beruflich im Gleichgewicht
An der richtigen Stelle scheint auch Koch beruflich angedockt zu haben: dem Sozialbereich. „Ich wollte mich nach meinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium und einigen Jahren im wirtschaftlichen Bereich gerne verändern und meinen Wunsch, etwas für die Menschen zu tun, verwirklichen.”, erzählt die fünffache Mutter. Sie weiß aus eigener Erfahrung: Studium und Familie gleichzeitig zu managen, stellt eine große Herausforderung dar. Deshalb entschied sie sich, ein berufsbegleitendes gesundheitswissenschaftliches Studium zu starten.” Wichtig sei, die Balance zwischen Arbeit und Familie zu halten. Ihr Erfolgsrezept: sich bewusst auf den Moment konzentrieren. „Im Grunde habe ich gelernt, ein Stück weit da zu sein, wo ich gerade bin“, erklärt Koch, die auch einen Therapiehund besitzt. Schon früh hat sie sich zudem ehrenamtlich engagiert, denn der entscheidende Grund für ihren Wechsel war letztendlich der Gedanke an andere Menschen.
Kulturelle Vielfalt im Fokus
Die Menschen stehen auch bei der Gesundheitsdrehscheibe an erster Stelle. Da aber nicht jede:r das Angebot in Anspruch nehmen kann oder davon weiß, investiert die Einrichtung in Netzwerkpartner:innen, um Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, und leistet Aufklärungsarbeit innerhalb der Communities. Koch erklärt: „In Graz befinden sich beispielsweise Menschen, die nur muttersprachlich angesprochen werden können. Damit wir diese erreichen, haben wir Schulungen zu unterschiedlichen Gesundheitsthemen mit ,Community Leaders’ durchgeführt. Also Menschen, die die Sprache können und sich gut zurechtfinden.“ Denn mittlerweile leben 12.380 Einwohner:innen in Lend, die nicht in Österreich geboren wurden – das ist etwas mehr als ein Drittel. Und die Tendenz ist steigend. Koch weiß um die kulturelle Vielfalt im Annenviertel: „Vertrauen wird nur über Netzwerke wie die Community Leaders aufgebaut.” Deshalb brauche es maßgeschneiderte Programme – niederschwellig und in der jeweiligen Muttersprache. „Es hilft nichts, wenn Inhalte präsentiert werden, die niemand versteht“, betont Koch. Deshalb nimmt die Gesundheitsdrehscheibe bewusst Rücksicht auf unterschiedliche Kulturen und Traditionen. Es geht um „Fragen wie ‚In welcher Sprache die Beratung stattfinden soll, braucht es Videodolmetscher oder Dolmetscher vor Ort?‘ oder ‚Kann der Klient überhaupt alleine in die Drehscheibe kommen?‘. Dafür braucht es Bewusstsein.“

Seit der Eröffnung im September 2023 kümmerte sich die Einrichtung um über 3600 Personen. Auch 2025 sind neue Projekte in Planung, um das Gesundheitsbewusstsein in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft weiter auszubauen, sagt Koch. Mit ihrer Arbeit möchte sie vor allem etwas an jene zurückgeben, die nicht das Glück hatten, in stabilen Verhältnissen aufzuwachsen: „Wo man hineingeboren wird und wie man aufwächst, ist reines Glück. Den Menschen, die dieses Glück nicht haben, eine Hilfestellung zu geben, ist etwas sehr Erfüllendes.“
Über Kontaktmöglichkeiten informiert die Stadt Graz: Gesundheitsdrehscheibe
Titelbild: Angela Koch, die neue Leiterin – Foto: Lena Lilek