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Alles andere als Kasperltheater

in KULTUR von

Zum siebten Mal fand das internationale Theaterfestival für junges Publikum spleen*graz in Graz statt. Mit zahlreichen Produktionen aus ganz Europa lockten die Veranstalter aber nicht nur junge Menschen ins Theater.

Habt ihr schon einmal geraucht? Besitzt ihr ein Smartphone? Werdet ihr eine gute Zukunft haben? Könnt ihr eure Zukunft beeinflussen? Bereits die Eröffnung des Spleen-Festivals im Next Liberty zeigte eindrucksvoll, wie ansprechend Produktionen sowohl für junges als auch für älteres Publikum sein können. Für die Einlage ,,100 Prozent junges Graz’’ füllten Kinder die Bühne und beantworteten durch Hinsetzen und Aufstehen Fragen rund um ihren Alltag und ihre Zukunft. Zum einen stimmte es nachdenklich zu erfahren, wie junge Menschen die Welt wahrnehmen, zum anderen sorgte so manches Zusammenspiel von Frage und Antwort für Gelächter, beispielsweise, als ein etwa vierjähriges Mädchen die Frage nach dem Rauchen durch Aufstehen mit Ja beantwortete.

Das Annenviertel als Bühne

Neben klassischen Theaterproduktionen stand mit spleen*trieb auch erneut ein ,,Festival im Festival’’ am Programm, das junge Grazer Künstler im Annenviertel umsetzten. So bot das Stück ,,das zebra streifen’’ einen partizipativen Spaziergang durch Lend und Gries. Neben Fakten zu Zebrastreifen, die in Deutschland früher amtlich ,,Dickstrichketten’’ hießen, gab es die Möglichkeit, ebendiese auf ungewöhnliche Art und Weise zu überqueren – springend, tanzend oder schleichend. Auch Darbietungen wie ,,Abtauchen’’ nutzten das Annenviertel als Bühne – ein von einem Chor begleiteter Spaziergang führte über mehrere Stationen und suchte nach “Geschichten und Gerüchten, die in der Grazer Unterwasserwelt lauern”. In der Festivalzentrale, dem Theater im Bahnhof, ermöglichte das Stück ,,Zwischen 5 und 40 Grad’’ einen simulierten, 20-minütigen Urlaub ganz nach den Vorstellungen der Besucher.

,,Abtauchen’’ spielt entlang des Mühlgangs – Foto: Clemens Nestroy

Qualität vor Quantität

,,Uns geht es darum anspruchsvolle, zeitgenössische Theaterstücke für ein junges Publikum aus dem europäischen Raum nach Graz zu bringen’’, erzählt Anna-Katerina Frizberg vom Theater am Ortweinplatz (TaO!), das gemeinsam mit dem Mezzanin Theater das Spleen-Festival veranstaltet. Das erste Spleen-Festival fand im Jahr 2006 statt, seitdem findet es alle zwei Jahre statt. ,,Wir wollen dabei keine Abstriche machen, also keine seichte Unterhaltung. Es handelt sich um professionelle Kunst, die adäquat für ein junges Publikum entwickelt wurde.’’ Das Theaterfestival richtete sich schon von Anfang an an ein jüngeres Publikum, den Veranstaltern war wichtig, dass Künstler eben nicht nur Stücke für Erwachsene sondern auch für junge Leute produzieren.

,,Es geht darum zu zeigen, dass es auch für Kinder und Jugendliche herausragende Kunst gibt – und nicht nur ,Kasperltheater’, meint der Gründer und künstlerische Leiter des TaO! Manfred Weissensteiner.

Anna-Katerina Frizberg in der Festivalzentrale im Theater im Bahnhof – Foto: Julian Strassegger

Laut Weissensteiner wurde das Festival auch heuer sehr gut angenommen, rund 3700 Besucher sahen zumindest eine der Produktionen, die 120 Künstler an acht Spielstätten ausrichteten. Außer Theater gab es auch ein breites Rahmenprogramm, darunter Workshops, Feiern und Publikumsdiskussionen mit Künstlern.

Theater für jedermann?

Zwar bietet spleen*graz Theater für junges Publikum, allerdings betonen die Veranstalter, dass sich die Produktionen an alle Generationen richten. Das Phänomen, dass Kunst für junge Leute auch bei älteren Menschen Anklang findet, zeige sich laut Weissensteiner auch in der Jugendliteratur, Bücher von Astrid Lindgren oder Christine Nöstlinger seien nicht nur für Kinder interessant. Im Theater gäbe es häufig Formate, die ihren Ursprung im Kinder- und Jugendtheater hatten und erst danach ihren Weg ins Erwachsenentheater gefunden hätten. Weissensteiner begründet das damit, dass viele Künstler meinen, sie dürften sich im Kindertheater mehr erlauben und könnten somit Neues ausprobieren.

,,Ein Stück Teilen’’ zeigt auf, was Gier aus Freunden machen kann – Foto: Clemens Nestroy

Wie es gelingen kann, Groß und Klein mit den Produktionen gleichermaßen anzusprechen, zeigt etwa das Stück ,,Ein Stück Teilen’’. Es erzählt die Geschichte dreier Freunde, die versuchen, alles miteinander zu teilen. Mit der Zeit gestaltet sich die gerechte Aufteilung allerdings immer schwieriger. Die kindliche und naive Sichtweise, die sich in diesem Stück beobachten lässt, könne entlarvend sein und Sachverhalte durchschaubar und somit auch für Erwachsene interessant machen. Man komme der Wahrheit so vielleicht näher, als wenn man immer alles kompliziert durchleuchtet. ,,Kindermund tut Wahrheit kund’’, meint Weissensteiner.

Neben Freundschaft und Familie war eines der Themen des Festivals Migration. Menschliche Schicksale sollen dabei durch die Erlebnisse im Theater nachvollziehbar gemacht werden. ,,Wenn wir gar nicht mehr empathisch sind und Menschen nur mehr als Nummern und Zahlen sehen, dann verlieren wir unsere Kultur, die vom Miteinander lebt.’’ Weissensteiner erzählt von einer Besucherin, die den Innenminister gerne in eine dieser Vorstellungen gesetzt hätte, denn ,,dann würde er vielleicht anders denken’’. ,,Ich glaube, das ist ein frommer Wunsch’’, meint Weissensteiner.

 

Eine zumindest am Wochenende gut geölte Maschine mit Herz, Leidenschaft und maßlosen Übertreibungen. Hat immer tausende Ideen, manchmal auch gute. Stolzer Wahl-Annenviertler.

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