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Zwischen Denkmälern und Nähmaschinen

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Kaum hat man einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, fühlt man sich wie in ein anderes Zeitalter versetzt. Neben der Eingangstür ein alter Schrank gefüllt mit alten Handhobeln, in der Mitte des Raumes eine Nähmaschine, wie man sie manchmal in Schwarz-Weiß-Filmen sieht, und dahinter eine Steinstatue, an der der Zahn der Zeit schon lange nagt. „Die Nähmaschine habe ich repariert“, erklärt Seyed Rouhollah, während er sich möglichst vorteilhaft neben seiner Arbeit positioniert, um sich auf dem Foto von seiner besten Seite zu zeigen. Er habe die in die Jahre gekommene Maschine einfach auseinander gebaut, geputzt und dann wieder zusammengesetzt. Das dafür nötige handwerkliche Können hat sich Seyed in Afghanistan, seiner ursprünglichen Heimat, angeeignet. „In meinem Land habe ich in Werkstätten gearbeitet“, sagt der Handwerker. „Aber hier ist es sehr schwer, Arbeit zu finden.“ 14 Jahre ist der Familienvater nun schon in Österreich, für eine dauerhafte Anstellung hat es bislang nicht gereicht. Auf dem Arbeitsmarkt hat sich einfach nichts ergeben. „Es ist sehr schwer“, seufzt Seyed. „Es gibt auch viele junge Menschen ohne Arbeit. Das macht es für uns Ältere noch schwieriger.“ Heute hat Seyed einen Arbeitsplatz, wenn auch nur für die begrenzte Zeit von drei Monaten, denn er nimmt an einem Beschäftigungsprojekt der „Manufaktur“ teil.

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Seyed präsentiert die von ihm reparierte Nähmaschine

 

Die „Manufaktur“, die als Verein im Vorjahr gegründet wurde und in die alten Räume des Exil in der Josefigasse eingezogen ist, hat sich auf Denkmalpflege, Restaurierungen und Modedesign spezialisiert. Das Besondere dabei: Diese Arbeiten werden ausschließlich von Personen verrichtet, die es schwer am Arbeitsmarkt haben. „Unser Ziel ist es, für verschiedene Gruppen mit besonders erschwerten Zugang Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“, erklärt Ines Stuchly-Weissensteiner, die inhaltliche Leiterin der „Manufaktur“. Momentan arbeitet der Verein mit zwei Zielgruppen, älteren Arbeitssuchenden wie Seyed, die im Zuge des „50+ Beschäftigungsprojekt“ wieder ganztags arbeiten können, und mit psychisch erkrankten Menschen, die durch die „Manufatur“ Dauerarbeitsplätze erhalten.

Das Beschäftigungsprojekt

„Es ist deutlich spürbar dass ältere Menschen vor allem in handwerklichen Berufen weniger gefragt sind, weil sie körperlich weniger leistungsfähig sind“, erklärt die gelernte Sozialarbeiterin und Bildhauerin. „Die Erfahrung und das handwerkliche Können der älteren Arbeitnehmer wird in diesem Bereich meist nicht geschätzt.“ Mit dem „50+ Projekt“ will die Manufaktur den Betroffenen eine Alternative bieten. Das im Jänner angelaufene Programm gibt älteren Arbeitsuchenden die Möglichkeit, drei Monate lang wieder ganztags zu arbeiten. In erster Linie arbeiten die Teilnehmer des Projekts auf Baustellen an Baudenkmälern, an historischen Fassaden und Bauelementen aber auch im Innenbereich. Ihre Aufträge bezieht die „Manufaktur“ von ihrer Kooperationsfirma Zottmann GmbH, die dem Verein mit ihrem Firmennetzwerk und technischen Know-How zur Seite steht. Um nach Ablauf der Arbeitszeit wieder Anstellungen zu finden, arbeitet die „Manufaktur“ gemeinsam mit den Menschen an Maßnahmen, die ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt erleichtern. „Wir schreiben zusammen Bewerbungen und versuchen, Verbindungen zu schaffen“, so Stuchy-Weissensteiner. Die „Manufaktur“ wird dabei vom ams und der ST:WUK, eine Art Dachorganisation für Beschäftigungsprojekte des Landes Steiermark, finanziell unterstützt.

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Ines Stuchly-Weissensteiner, inhaltliche Leiterin der „Manufaktur“

 

Die Dauerarbeitsplätze

Grundsätzlich hat die Idee, Arbeitslose zu unterstützen, nichts Neues, die Manufaktur ist hier nur ein Verein von vielen. Was ihn aber laut Stuchy-Wiessensteiner von anderen unterscheidet ist die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Für die Sozialarbeiterin eine Art Herzensprojekt, hat sie doch vor der „Manufaktur“ in einer sozial-psychiatrischen Werkstätte gearbeitet. „Für die Leute ist es ganz wichtig, wieder in einem normalen Umfeld zu arbeiten, um aus dem Betreuer-Klienten Status heraus zu kommen“, betont Weissensteiner.

„Die Leute sind bei uns keine Klienten sondern Mitarbeiter.“

Hilfeleistungen wie Wohnbetreuung oder Tageswerkstätten sollen durch die Anstellung in der „Manufaktur“ langfristig wegfallen. Durch Integration und Beschäftigung lernen die Angestellten die Selbstständigkeit, die sie brauchen, um ein normales Leben zu führen. „Es ist eines unserer Ziele, dass dadurch andere Unterstützungsmaßnahmen nicht mehr nötig sind.“. Ganztägige Arbeitszeiten sind für die Meisten der derzeit sieben Angestellten nicht möglich. Die Entwicklung erfolgt schrittweise, die Arbeitszeit wird über die Jahre erhöht. „Man kann nicht mit 30 Wochenstunden starten. Manche beginnen vielleicht mit 10 Stunden und arbeiten nach einem Jahr 20 Stunden.“ Das Ziel ist jedoch klar definiert: Die Angestellten sollen finanzielle Hilfsmittel wie das „Reha-Geld“ hinter sich lassen und ihren Lebensunterhalt wieder selbst verdienen.

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