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Songcontest und Nederland

in KULTUR von

Senad “Dandy” Delic sammelte als Poetry-Slammer erste Bühnenerfahrungen und begründete das Poetry-Slam Theater “Krankgeschrieben” mit. Nun präsentiert er sein erstes Solo-Programm.

Die kleine Theaterbühne des Vereins Cuntra la Cultra füllt sich nach und nach und die Zuschauer nehmen auf den Sofalandschaften Platz. Die Atmosphäre ist entspannt und persönlich. Mit einer (bei einem Poetry-Slam meist üblichen) Viertelstunde Verspätung beginnt der Kulturabend. Dieser besteht aus zwei Stücken: Ein Slam-Theater über den Song-Contest und eine sehr Comedy-Biografie. Eine Doppelrezension.

Teil 1: Eurovision Song-Contest

Lena Meyer-Landrut (gespielt von Poetryslammerin Lena Hödl) ist eine bemitleidenswerte Zeitgenossin. Sie ist drogenabhängig und bulimisch, sieht aber kein Problem in den “figurfördernden Maßnahmen”. In Form eines Poetry-Slams schwelgt sie nostalgisch in Erinnerungen an die besten 2:55 Minuten ihres Lebens. Einer Entführung entging sie nur knapp, dank ihres Hinweises, für einen verblassten ESC-Star zahle ohnehin keiner Lösegeld. Kurz: Ein abgestürzter Satellite.

Lena Hödl als Lena Meyer-Landrut bei der Lesebühne Krankgeschrieben
Lena Hödl überzeugt als Lena Meyer-Landrut. – Foto: Matteo Eichhorn

“Mein Ziel für das Stück war es, den Song-Contest zu parodieren und Missstände anzusprechen”, meint Senad Delic, der das Stück gemeinsam mit Poetry-Slammer Lukas Hofbauer schrieb. Dieses Ziel geht auf: Viele Witze kommen an. Das Ergebnis ist eine unterhaltsame Tour de Force durch die Welt von Punkteschiebereien, mittelmäßigen Pop-Songs und Stars zweiter Klasse.

Bei einer Lesebühne geht es darum, zwei Darstellungsformen zu verbinden: Poetry-Slam-Texte und Theater wechseln einander ab. “Wir wollen die Handlung nicht in Textform wiederkauen, sondern sie mit starken literarischen Texten unterstreichen. Ich vergleiche das gern mit einem Film-Soundtrack”, beschreibt Ko-Autor Delic das Konzept. Das gelingt leider nicht immer gut: Sowohl formell als auch inhaltlich sind die Übergänge oft stockend.

Lukas Hofbauer, Mitbegründer der Lesebühne, als Moderator
Poetry-Slammer Lukas Hofbauer begründete die Lesebühne „Krankgeschrieben“ im Herbst 2016 gemeinsam mit Senad Delic. – Foto: Matteo Eichhorn

Die Stärken des dreiviertelstündigen Stücks liegen vor allem in der originellen Themenwahl und den bühnenerprobten Poetry-Slammern als Schauspieler. Aber auch das neuartige Format weiß das Publikum zu überzeugen. “Ich mag die Idee, so etwas habe ich noch nie gesehen!”, meint Zuschauerin Alice.

Noch Verbesserungspotential gibt es beim Skript: Allzu oft verliert es sich in stereotypen Länderklischees und bleibt dadurch in seiner berechtigten Kritik oberflächlich. Außerdem ist klar zu erkennen , dass das Stück, wie Delic anmerkt,  “am letzten Drücker geschrieben wurde”. Dadurch blieb den Hobbyschauspielern wenig Zeit zum Proben: Weite Teile werden, wie bei Slams üblich, vorgelesen.

„Le Song-Contest c’est moi!“ Frankreich und Italien diskutieren über die Zukunft des Musikwettstreits. – Foto: Matteo Eichhorn

Teil 2: Erzählungen aus Nederland

Der Grund für den straffen Zeitplan: Das gesamte Skript entstand über Skype, denn Senad Delic wohnt seit acht Monaten in der niederländischen Kleinstadt Delft. In einer „Comedy-Biografie“ präsentiert er nun in seinem ersten Solo-Programm im zweiten Teil des Abends seine Erfahrungen. Er erzählt von seinem einzigen Tag als Au Pair in einer Hippiekommune, dem Kampf mit der niederländischen Sprache und seinem ersten Gang zum Grasverkäufer.

Senad’s professionelles Auftreten und die starke Bühnenpräsenz lassen erahnen, dass er schon in Line-Ups viel Bühnenerfahrung sammeln konnte. Er versteht es, sein Publikum mit einer deskriptiven und ironischen Erzählerstimme in seinen Bann zu ziehen. Die starke Storyline und der persönliche Bezug lassen den Prosatext für sich wirken. Die Auszüge erinnern an Meyerhoff’s “Alle Toten fliegen hoch: Amerika”, in dem der Autor seine Erfahrungen als Austauschschüler in Wyoming beschreibt.

“Der Grazer Feinstaub hat mich zum Mann gemacht. Es war Zeit für neue Abenteuer!”

Senad Delic besuchte das Gymnasium in der Dreihackengasse. Kurz nach seinem 18. Geburtstag brach er die Schulausbildung vor der Matura ab. “Ein Jahr davor lernte ich die Grazer Poetry-Slammer Mario Tomic und Yannik Steinkellner kennen, die nahmen mich unter ihre Fittiche und brachten mir alles bei.”

Senad möchte vorerst noch in den Niederlanden bleiben: “Ich mag es nicht, meine Zukunft zu fixieren. Ich genieße zwar das Rampenlicht sehr. Aber ich will vor allem Menschen inspirieren und fördern, die – wie ich damals – zu wenig Selbstbewusstsein haben.”

Delic sprüht auf der Bühne vor Kreativität und schüttelt seine Texte mit scheinbarer Leichtigkeit aus dem Ärmel. Denn “Dandy” beschränkt sich nicht auf Poetry-Slam und Prosa: Er trägt seine Erfahrungen aus den Niederlanden auch in Rapsongs vor, begleitet von einer Gitarre. Seine Lieder lockern die Erzählung auf und wissen durch einen guten, Ed Sheeran-ähnlichen Flow zu überzeugen.

Applaus brandet auf, das Publikum scheint Lust auf Mehr zu haben. Dandy verbeugt sich und küsst seinen Gitarristen. “Ich wollte das schon immer einmal auf der Bühne machen, für den Schock-Faktor. Ich habe zwar eine Vorliebe für Frauen, bin aber Männern nicht ganz abgewandt”, stellt er nach der Aufführung klar. Nach und nach zerstreut sich die Menge, die Slammer verabschieden sich von ihren Zuschauern und die Cuntra schließt ihre Pforten. Gries aber bleibt offen für Kunst und Kultur.

In der MachHalla (Cuntra la Cultra) finden regelmäßig Poetry-Slams statt. Die Annenpost hat sich letztes Jahr schon für einen Beitrag in der Szene umgehört.

Österreicher, Italiener und Europäer mit südländischem Temperament. Hat eine Schwäche für Marzipan, Fremdsprachen und gelbe Autos.

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