Fritz Jergitsch in einer Bar

Tagespresse-Chef: „Absurdität ist unser Rohstoff”

Lesezeit: 9 Minuten

Fritz Jergitsch, Gründer und Chefredakteur von „Die Tagespresse”, Österreichs erfolgreichstem Satire-Medium, gewährt am 26. November im Orpheum einen Blick hinter die Kulissen der Satirebranche. Ein Gespräch über die Krise der Medienbranche, österreichische Realsatire und die Rolle von KI im Kreativprozess.

Autorinnen: Saskia Meißner, Johanna Volk

Den Chefredakteur Fritz Jergitsch, der in Wien lebt, treffen wir zum Gespräch auf MS Teams. Er gibt Hintergrundinfos zu den aktuellen Themen in der Tagespresse und wie in der Redaktion gedacht wird.

In den USA wurde Jimmy Kimmels Late-Night-Show vorübergehend abgesetzt, nachdem er sich angeblich unangemessen über den ermordeten Charlie Kirk geäußert hatte. Glauben Sie, dass ein vergleichbarer Vorgang in Österreich rechtlich und de facto möglich wäre?

Fritz Jergitsch: Ja, das ist durchaus möglich. Der ORF ist sehr stark mit der Politik verbunden und es wäre daher auch dort denkbar, dass eine Sendung aus politischen Gründen abgesetzt wird.

Sind Satiriker hierzulande durch die Medienfreiheit besser geschützt?

Außerhalb des ORF ist Satire grundsätzlich gut geschützt. Sie wird höchstgerichtlich als Kunstform anerkannt und Kunst ist verfassungsrechtlich geschützt. Solange Satire vom Gericht auch tatsächlich als solche anerkannt wird, genießt sie auch diese Freiheit.

Nach dem Fall mit Jimmy Kimmel haben Hunderte Prominente öffentlich protestiert. Wie viel Unterstützung haben Sie bekommen, nachdem die Tagespresse im Rechtsstreit mit der FPÖ um den Wirtshausbrief auch vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) unterlegen war?

Wir haben sehr viel Solidarität von unseren Fans bekommen. Es gab viele Leute, die Unverständnis über das Urteil geäußert und uns mit einem Abo, einer Spende oder einfach mit einer netten E-Mail unterstützt haben. Das hat uns sehr geholfen, da das Urteil natürlich auch mit hohen Kosten für uns verbunden war, auch wenn die FPÖ dann letztlich vergessen hat, das Urteil zu veröffentlichen. Dadurch haben wir uns viel Geld gespart.

Ist die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits eingebracht? Und wie geht es nun weiter – rechnen Sie mit einem Grundsatzurteil zur Satirefreiheit? 

Ja, wir haben die Beschwerde bereits im Mai eingereicht. Es dauert unter Umständen bis zu sieben Jahre, bis der EGMR eine Entscheidung trifft. Grundsätzlich sind Beschwerden beim EGMR selten erfolgreich; die Statistik spricht also gegen uns. Wir glauben jedoch, dass wir ein sehr starkes Argument haben. Der OGH hat im Wesentlichen gesagt, dass Satire, die das Publikum täuschen könnte, keine Satire mehr sei, anders gesagt: Wenn das Publikum einen Witz nicht versteht, ist es kein Witz. Wir halten diese Auslegung des Begriffs “Satire” für merkwürdig und illiberal. Genau dagegen richtet sich unsere Beschwerde.

Wie groß schätzen Sie insgesamt für Österreich die Gefahr ein, die von SLAPP-Klagen ausgeht?

Eine SLAPP-Klage ist ein Instrument, das von verschiedenen Leuten eingesetzt wird, die sich mit kritischer Berichterstattung oder unerwünschter Satire konfrontiert sehen. Besonders gegen kleine Medien gerichtet, können solche SLAPP-Klagen enormen Schaden anrichten – man muss nicht einmal gewinnen oder einen aussichtsreichen Fall haben. Es geht oft allein darum, dass das kleine Medium sich die Verfahrenskosten gar nicht leisten kann. Geld erhält man erst bei einer rechtskräftigen Entscheidung, und bis dahin kann ein Verfahren mitunter drei bis vier Jahre dauern. Für kleine Medien oder Einzelkämpfer ist das kaum zu bewältigen.

Darum bin ich froh, dass es bereits verbesserte Instrumente der EU gibt, die es ermöglichen, offensichtliche SLAPP-Klagen frühzeitig abzuweisen. Ich halte das für einen entscheidenden Schritt, um die Pressefreiheit in Österreich zu bewahren. In den vergangenen Jahren hat man jedenfalls gesehen, dass die Gefahr solcher Klagen deutlich zugenommen hat.

Inwiefern beeinflussen Macht- und Medienstrukturen in Österreich Ihre Themenwahl und die Form Ihrer Satire? 

Innenpolitik ist natürlich unser Lieblingsthema. Wir schreiben gern über Politik, Menschen in der Politik und ihre Charaktere. Österreich bietet dafür reichlich Stoff – es ist ein kleines Land, in dem viel Macht über informelle Kanäle und Beziehungen läuft, oft ohne wirklich demokratische Legitimation. Ein gutes Beispiel dafür ist der Wöginger-Fall – genau das macht Österreich zu einem guten Feld für Satire.

Gibt es gesellschaftliche Themen, die aktuell besonders dringlich satirisch kommentiert werden sollten, die aber bisher kaum behandelt werden?

Ja, das ändert sich wöchentlich. Wir sind diesbezüglich sehr tagesaktuell – das, worüber wir schreiben, hängt vom jeweiligen Tagesgeschehen ab. Letzte Woche haben wir beispielsweise über die WKO und über Harald Mahrer geschrieben. Um es zusammenfassend zu sagen; es gibt auf jeden Fall genug neue Themen.

Andererseits heißt es oft, die Politik nimmt den österreichischen Kabarettisten und Satirikern gerne die Arbeit ab. Ihre liebste österreichische Realsatire?

Wir haben kürzlich den „Waldhäusl-Preis” ausgeschrieben, mit dem wir Beiträge zu Realsatire honorieren. Da war wirklich jeder dabei – unter anderem Harald Mahrer, einer der Nominierten, sowie Peter Wöginger und Peter Hanke, für seinen Lobautunnel. Wie man sieht, gibt es genug Leute, die uns durch ihr Verhalten die Arbeit vereinfachen. Ein gewisses Maß an Absurdität ist wichtig für uns, sonst könnten wir es gar nicht überzeichnen. Wiederum ist zu viel Absurdität auch nicht gut, denn irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es schwer fällt, ein Thema noch glaubwürdig zu übertreiben.

Portrait von Fritz Jergitsch. – Foto: Markus Wache

Was Journalismus angeht, gibt es in Österreich gerade wenig zu lachen: Traditionelle Medienhäuser müssen Redakteure entlassen. Wie geht es der Tagespresse in dieser Situation?

Uns geht es aus einem bestimmten Grund sehr gut, und zwar, weil wir uns nie abhängig gemacht haben vom Staat. Es ist völlig bedeutungslos, was die Politik macht. Die erste Medienkrise stammte daher, dass die Inserate runtergefahren werden mussten, aufgrund des Sparkurses. Dagegen sind wir immun, weil die Tagespresse nie Inserate erhalten, entgegengenommen oder verlangt hat. Dasselbe gilt für Förderungen. Wir finanzieren uns ausschließlich über digitale Abos, unterstützt durch den Fanshop – beides läuft sehr gut für uns. Es gibt immer noch genug Leute, die uns weiterhin unterstützen wollen. Wir wachsen kontinuierlich. Das ermöglicht uns, unsere Arbeit zu finanzieren.

Ergeben sich Chancen oder Risiken, dadurch, dass es anderen Medien schlecht geht? 

Wir sind als Satiriker darauf angewiesen, dass wir für ein Publikum schreiben, das das Wissen hat, was rund um die Welt geschieht – das ist die Aufgabe von Qualitätsjournalismus. Insofern ist es für uns von Nachteil, wenn viele Medien Schwierigkeiten haben, sich zu finanzieren, weil es dann sein kann, dass die Menschen das Interesse an der Politik verlieren. Was zur Folge haben kann, dass sie dadurch nicht mehr empfänglich für politische Satire werden.

Ist der Vertrauensverlust gegenüber etablierten Medien für Satire eine Chance – oder birgt es das Risiko, selbst zu sehr als Informationsquelle wahrgenommen zu werden?

Hier muss man unterscheiden. Einerseits gibt es Schwierigkeiten, die den Journalismus derzeit betreffen etwa die Kürzungen bei Inseraten. Andererseits bringt die Digitalisierung den Nachteil mit sich, dass Leute sich mehr über soziale Medien, Influencer, kleine Blogs oder Youtuber informieren. Das ist eine ganz andere Dimension. Wir reden hier wirklich von einer Verschiebung in den Reihen der Gatekeeper: Früher hat man um 19:30 Uhr den ORF eingeschaltet und “Zeit im Bild” geschaut, um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Heute informieren wir uns über Social Media, wo andere Regeln herrschen. Die ZiB präsentiert die Nachrichten nach Relevanz, Social Media hingegen ist der algorithmischen Logik unterworfen. Dort werden Nachrichten vor allem nach ihrem emotionalen Gehalt ausgespielt: Was aufregt, polarisiert oder emotional berührt. Zudem enthalten sie oft Fake News, was wiederum für starke gesellschaftliche Nebenwirkungen sorgt, die auch uns negativ beeinflussen, weil sie uns ein Stück verblöden.

Würden Sie sagen, dass Ihrem Medium mehr Vertrauen zugebracht wird, weil man nicht mehr auf klassische Medien vertraut?

Ich glaube nicht, dass es ein Nullsummenspiel ist und dass wir an Vertrauen gewinnen können, wenn andere daran verlieren. Vertrauen muss sich jede Marke erarbeiten, wenn zum Beispiel jemand in den Standard an Vertrauen verliert, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er dafür uns mehr vertraut. Ich glaube, das Vertrauen, das man uns entgegenbringt, ist das Resultat unserer zwölfjährigen Arbeit. Vertrauen, Reputation und Markenwert egal, wie man es nennt, im Grunde ist alles dasselbe: Sympathie und Vertrauen, die man über die Jahre hinweg in ein Medium oder eine Marke aufgebaut hat.

Sehen Sie in der Tour „Die Tagespresse Live“ eine Chance, das Vertrauen gegenüber den Medien wieder zu stärken?

Ja, durchaus. Es ist zwar nicht unser Hintergedanke, damit aktiv Vertrauen zu stärken, aber natürlich geht es uns mit diesem Programm auch darum, den Leuten einen Blick hinter die Kulissen zu geben. Wir wollen zeigen, was in zwölf Jahren Tagespresse alles passiert ist und ihnen die Marke ein Stück näher bringen. Wenn das am Ende das Vertrauen in die Tagespresse erhöht, ist das ein schöner Nebeneffekt, aber nicht das primäre Ziel.

Seit KI und Deepfakes alltäglich geworden sind, verschwimmt die Grenze zwischen Satire und Desinformation. Wie navigieren Sie durch diese Realität?

KI ist natürlich auch für uns ein riesen Thema. Sie hat sowohl negative, als auch positive Seiten. Positiv ist, dass wir mehr Funktionen auf unserer Seite anbieten können, weil wir damit mehr programmieren können. Es erleichtert natürlich in gewisser Hinsicht unsere Arbeit bei grafischen Arbeiten, wenn man ein Element im Hintergrund braucht, kann man das mit KI generieren schnell, einfach und genau in der Version, die man braucht. Bei der Texterstellung ist es uns keine Hilfe, weil es einfach nicht lustig ist. Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Texte von uns selbst kommen unsere Leserinnen und Leser wollen ja nicht hören, was ChatGPT über irgendwen zu sagen hat. Für die Texterstellung ist KI daher keine Option. 

Wenn man über die Gesellschaft als Ganzes spricht, zeigt sich aber, dass KI sehr effizient billigen, schwachsinnigen Content erstellen kann dasselbe gilt auch für Fotos oder Videos. Das ist spannend, aber für uns bleibt der kreative Teil menschlich. Und natürlich erhöht das auch die Gefahr der Verbreitung von Fake News. Wir sehen ja inzwischen großflächige Betrugsversuche mit KI-generiertem Material. Das ist eine neue Herausforderung. 

Ungeklärt ist außerdem der Umgang mit Copyright. Da gab es zum Beispiel den Fall der Ghibli-Studios, deren Manga-Stil plötzlich von KI kopiert werden konnte und jeder konnte auf Knopfdruck Comics in ihrem Still generieren. Wir haben KI deshalb auf unserer Seite ausgesperrt. Unsere Texte sind nur auslesbar, wenn man ein Abo hat. Wenn sich Sam Altman ein Abo kauft, kann er die Texte theoretisch für sein ChatGPT auslesen, aber ohne Abo kommt man nicht durch. Das ist uns wichtig, weil das unsere Texte sind und wir wollen die einzigen sein, die so schreiben. Wir wollen nicht, dass irgendeine KI etwas produziert, das klingt wie wir. Wir sehen das auch grundsätzlich kritisch: Eine KI wird nie ernsthaft etwas zu sagen haben. Sie ist ein sehr leistungsfähiges Programm, das Antworten auf Basis von Wahrscheinlichkeiten generiert und versucht abzuschätzen, was wir hören wollen. Aber eine KI hat keine eigene Empfindung, keine Erfahrung und wird daher nie einen relevanten satirischen Text schreiben können, finde ich.

Wenn Sie zurückblicken: Gab es ein Thema oder einen Skandal, bei dem Sie gezögert haben, ihn satirisch zu behandeln  und wie haben Sie entschieden? 

Prinzipiell gibt es kein Thema, das wir a priori ausschließen, weil es uns zu heftig wäre. Jedoch gibt es natürlich schwierigere Themen. Satire muss auch ernste Themen aufgreifen nur braucht es bei manchen Themen einfach länger, um den richtigen Zugang zu finden. Ein Beispiel sind die Missbrauchsfälle im SOS-Kinderdorf. Grundsätzlich würden wir dazu etwas machen, wenn uns eine wirklich gute Idee einfällt, die die richtige Botschaft transportiert und konstruktiv zur Debatte beiträgt. Aber bisher hatten wir diesen Einfall nicht. Es müsste etwas sein, bei dem wir sagen: Ja, das ist ein sinnvoller Beitrag und greift die dahinterliegenden Mechanismen auf. Diese Idee hatten wir bis jetzt nicht und darum haben wir über dieses Thema noch nicht geschrieben. Für uns kommt es immer auf die Botschaft an nicht auf das Thema selbst. Es geht um die Message hinter dem Witz, um die Wahrheit, die ein Witz ausdrückt. Das ist für uns die eigentliche Nuss, die wir knacken müssen.


Titelbild: Fritz Jergitsch in einer Bar. –  Foto: Markus Wache

Infobox

„Die Tagespresse Live” am 26. November 2025 im Orpheum Graz

Haben Sie sich jemals gefragt, wie die Tagespresse hinter den Kulissen abläuft? Braucht man in einem Land wie Österreich noch Satire? Und hat der Tagespresse-Anwalt eigentlich schon ein Burnout? Bekommen Sie Einblicke in die Redaktion und hören Sie Anekdoten aus über 10 Jahren Tagespresse.

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Einschub d. Red.:

Der Gottfried-Waldhäusl-Preis ist eine Auszeichnung zur Würdigung von außergewöhnlichen Leistungen im Bereich der Realsatire. Ziel des Preises ist es, Personen und Initiativen vor den Vorhang zu holen, die durch ihr tägliches Wirken einen nachhaltigen Beitrag zur satirischen Landschaft in Österreich leisten. Dieser Preis hat seinen Namen durch den niederösterreichischen FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl erhalten, dessen Lebensinhalt meist daraus besteht, Inspiration für Satiriker:innen und Kabarettist:innen zu sein. 

 

 

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