Sechs Schmuckkünstlerinnen, eine Vision und ein Raum voller Möglichkeiten: Das noi Kollektiv hat sich in der Mariahilferstraße niedergelassen. Wo früher Nähmaschinen ratterten, entstehen heute wieder Dinge von Hand als bewusster Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft. Ein Besuch bei den Frauen, die dem Annenviertel neues kreatives Leben einhauchen.
Die Mariahilferstraße 11 wirkt von außen noch unscheinbar, doch wer die Tür öffnet, betritt eine kleine Welt im Werden. Leere Glasregale warten auf ihre Bestimmung, ein paar 3D-Drucke hängen an der Wand, und mittendrin steht eine Vintage-Vitrine mit LED-Beleuchtung, in der bereits die ersten Schmuckstücke funkeln. Ein altes Radio über der Vitrine erzählt stumm von vergangenen Zeiten, während ein Kleiderständer mit handgeschriebenen Schildern verkündet: „Schmuck, Nähwerkstatt, Kunst, Änderungen, Nähmaschinenservice & Reparatur“.
Sechs Frauen, sechs Künstlerinnen, ein Traum: Das noi Kollektiv hat sich in den ehemaligen Räumen einer Schneiderei niedergelassen, in der schon seit den 1960er Jahren mit den Händen gearbeitet wird. Margarethe, Julia, Jana, Liz, Doris und Dani – alle mit Wurzeln zur Ortweinschule, vereint in ihrer Liebe zum Handwerk und ihrer Skepsis gegenüber der Wegwerfgesellschaft.

Keine Industrie, sondern Handwerk
„Noi“ steht für „no industry“ – aber auch für „wir“ auf Italienisch. „Worum es wirklich geht: Ressourcenschonung. Weg von der Massenproduktion und diesem Unpersönlichen“, erklärt Margarethe, eine der Gründerinnen. Es geht um mehr als nur schöne Objekte, es geht um eine Haltung.
In einer Zeit, in der KI Arbeitsplätze bedroht und Massenproduktion den Markt überschwemmt, setzen die sechs Frauen auf das, was keine Maschine ersetzen kann: den menschlichen Austausch, die individuelle Handschrift und das Gefühl, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. „Wenn KI uns die Jobs wegnimmt, was bleibt uns Menschen dann noch?“, fragt Dani rhetorisch. „So etwas wie das hier wird keine KI jemals übernehmen können.“
Ein Ort zum Anfassen
Das noi Kollektiv ist kein Museum zum Anschauen, sondern ein lebendiger Raum zum Mitmachen. Workshops, thematische Abende, Ausstellungen und die Möglichkeit, einfach vorbeizukommen und das eigene Schmuckstück zu verwirklichen. „Die Leute sind sehr hungrig darauf, etwas selbst zu machen“, beobachten die Gründerinnen. „Es heißt ja auch: Wer einen Garten hat, braucht keinen Therapeuten. Und so sehe ich das auch mit dem Handwerk. Es ist einfach etwas sehr Meditatives.“
Die Türen öffneten sich erstmals beim Lendwirbel am 2. und 3. Mai mit Bastel-Workshops. Der Auftakt war ein voller Erfolg: Alle Plätze waren bis zum Schluss belegt mit Menschen, die sichtlich Freude am Schaffen hatten. Das Kollektiv ist aktuell mittwochs bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet, wobei sich die Öffnungszeiten noch ändern werden.

Alte Wurzeln, neue Blüten
Die Geschichte des Ortes passt perfekt zur Philosophie des Kollektivs. Über Jahrzehnte lang wurde hier genäht, geschneidert und repariert. Als der letzte Schneider in Pension ging, suchte er jemanden, der die handwerkliche Tradition weiterführt. Die Miete für eine Person allein wäre zu hoch gewesen und so fanden sich die sechs Frauen zusammen, „von einer Schmuckkünstlerin zur anderen“.
Die Renovierung war intensiv, der bürokratische Aufwand beträchtlich. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aus dem mit Teppichboden ausgelegten Nähmaschinengeschäft ist ein heller, einladender Raum geworden, in dem Vergangenheit und Zukunft des Handwerks aufeinandertreffen.

Nachbarschaft, die trägt
Die herzliche Aufnahme im Viertel freut die sechs Frauen besonders. „Die Nachbarschaft und die Kundschaft sind einfach sehr herzlich und freundlich“, erzählen sie begeistert.
Am 5. Juni laden sie zur offiziellen Eröffnung ein – mit einer Tombola, kleinen Kunstwerken als Gewinn und der Chance, alle sechs Künstlerinnen persönlich zu treffen. Doch eigentlich ist das nur die Feier dessen, was bereits existiert: Ein Ort, an dem Menschen wieder mit ihren Händen arbeiten, sich austauschen und Dinge schaffen, die Bestand haben.
„Ich wünsche mir, dass die Leute einen Ort im Bewusstsein haben, wo man hingeht und einfach weiß: Da kann ich coole Workshops machen, da sind liebe Leute, da kann ich einzigartige Dinge kaufen“, träumen die Gründerinnen. In der Mariahilferstraße 11 könnte dieser Traum Wirklichkeit werden – eine kleine Revolution gegen die Wegwerfgesellschaft.
Adresse: Mariahilferstraße 11, 8020 Graz
Aktuelle Öffnungszeiten: Mi – Fr 09:00-17:00 Uhr
Grand Opening Party: 05.06.2025 ab 16:00 Uhr
Titelbild: Das Team hinter dem noi Kollektiv. V.l.n.r. Doris Kaltenegger, Julia Antonia Marckonato, Dani Schwarz, Jana Westreicher, Lis Gort, Margarethe Bertha. – Foto: Anna Schweighofer