Simulationspuppe Granny dient an der FH Joanneum zum realistischen Üben.
Lesezeit: 4 Minuten, 45 Sekunden

Problemkind Pflege

in POLITIK & WIRTSCHAFT von

Unterbesetzte Stationen, notgedrungene Versetzungen, Pflegekräfte-Import — und keine Hoffnung auf Normalisierung vor 2026: Was motiviert in Zeiten der Krise noch dazu, den Pflegeberuf zu ergreifen?

Teil 2 dieses Artikels ist am 21.03.2023 erschienen

„Es ist schon furchteinflößend, wenn man daran denkt, dass man vielleicht für zwei Arbeitskräfte arbeiten muss.“ Jenny Egger studiert Gesundheits- und Krankenpflege (GuK) an der Fachhochschule Joanneum in Eggenberg. Obwohl sie erst im ersten Studienjahr ist, ist sie schon jetzt mit den Herausforderungen konfrontiert, die im Berufsleben auf sie zukommen werden. Jenny Egger und ihre Kolleginnen Sophie Bammer und Martha Derler erzählen vom ersten Praktikum, das sie im November und Dezember, nach nur zwei Monaten Studium, absolviert haben. Dort hätten sie einen Einblick in die große Verantwortung der Pflege bekommen – und gesehen, was es heißt, “unterbesetzt” zu sein.

Der Pflegenotstand in Zahlen

Alleine am LKH-Universitätsklinikum Graz fehlen mit Stand 11.01.2023 rund 200 diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen (DGKP). Der “Import” von Pflegekräften soll unterstützen, Fachkräfte aus Kolumbien sind bereits vor Ort, im Juni werden 31 weitere aus Tunesien kommen. Am Dienstag, den 24.01.2023, informierten Wolfgang Köle, ärztlicher Direktor, Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz und die Pflegedirektorin Gabriele Möstl die rund 7000 Mitarbeiter via Livestream und Präsentationsfolien über die aktuelle Lage. Die Presse hatte Gerhard Stark, Vorstandsvorsitzender der KAGes (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft; Anm.) kurzfristig ausgeladen — dennoch liegen der Annenpost sämtliche Präsentationsfolien der Informationsveranstaltung vor. 247 Betten auf Normalstationen waren demnach zum Zeitpunkt der Präsentation gesperrt, auf Intensivstationen und -überwachungen jeweils 18. Folglich waren auch die OP-Kapazitäten geringer. Leistungen, welche innerhalb der Steiermark ausschließlich am LKH Graz erbracht werden (beispielsweise Neuro-, Thorax- und Herzchirurgie), können laut Samonigg sowohl derzeit als auch in den nächsten Jahren teilweise nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr erfüllt werden. Besonders kritisch ist die Lage auf der Kinderklinik. Erst 2026 werde sich demnach die Personalsituation wieder “normalisieren”.

Der ärztliche Direktor präsentiert Fakten zum Pflegenotstand am LKH Graz.
Der ärztliche Direktor über die ernste Lage am LKH Graz – Foto: Anonyme Quelle

Stationswechsel

Anders als Jenny und ihre Kolleg:innen, die geprägt von den Erfahrungen des Praktikums ins Sommersemester gestartet sind, steht Clarissa schon mitten im Berufsleben. Sie ist eine von vielen DGKP, die aufgrund des Notstands „sehr stark darum gebeten“ wurden, für mehrere Monate als Aushilfe auf einer Kinderstation einzuspringen. Eigentlich arbeitet sie seit Oktober 2020 auf der IC Intensiv 3, einer chirurgischen Intensivstation für Erwachsene, wo sie während des FH-Studiums ihr letztes Praktikum gemacht hat. „Mit der Umstellung von Erwachsenen zu Kindern hab‘ ich mir schwer getan“, gibt Clarissa zu.

Ihren derzeitigen Arbeitsalltag auf der Kinder-Intensivstation könne man sich so vorstellen: Zwölfeinhalb Stunden Dienst. Morgens Dienstübergabe, bei der alle Patient:innen kurz besprochen werden. Dann Aufteilung der Pflegekräfte auf die Kinder: früher pro DGKP ein bis zwei Kinder, heute drei bis vier. Arztvisite: Bilanz ziehen, Medikamente und Bedürfnisse des Kindes bestimmen, Fieberkurve schreiben — das passiert hier noch händisch. Über den Tag verteilt die Ziele der Ärzt:innen umsetzen, Kinder wickeln und füttern, zu Untersuchungen begleiten, Medikamente geben, mit Eltern sprechen, Kolleg:innen helfen, alles am Computer dokumentieren. „Nach so einem Tag ist man fertig“, sagt Clarissa. 

Das Ganze macht sie circa 15 Mal im Monat, darunter ungefähr fünf Nachtdienste. Gerecht entlohnt fühlt sich Clarissa nicht: „Wenn man einen Partner hat und sieht, was er für das, was er leistet, verdient, ist das im Vergleich unfassbar. Bei mir hängt ein Leben daran!“ Auch dass die gesellschaftliche Wertschätzung des Berufs erst seit Corona etwas größer ist, stört sie. Schutzanzüge habe man auch früher schon tragen müssen, beispielsweise bei Influenza-Infizierten. Besonders aber mangelt es laut Clarissa an der Kommunikation, sowohl krankenhausintern als auch von Seiten der Politik. Die Pflege bekomme immer nur das Endprodukt von oben, dürfe aber bei kaum einer Entscheidung, die sie selbst betrifft, mitreden. Zuständige Politiker:innen sollten einmal hinter die Kulissen blicken — willig zu sehen, wie es wirklich läuft. „Landesrätin Bogner-Strauß (Landesrätin für Gesundheit und Pflege, ÖVP; Anm.) war einen Tag auf der Urologie und hat dort mitgeholfen“, erzählt Clarissa. „An dem Tag ist natürlich alles super gelaufen. Die wussten dort Monate vorher, dass sie kommt.“

Eine andere DGKP, die aktuell auf einer Kinder-Normalstation aushilft, kommt ursprünglich von der Psychiatrie. Dort hatte die Pflegedirektion Ende November erfolgreich um zehn Freiwillige für eine vorübergehende Versetzung auf die Kinderklinik gebeten. Hätten sich dafür nicht genügend Personen gefunden, wäre ausgelost worden. Im Gespräch mit der Annenpost öffnet sich die DGKP, will aber namentlich nicht genannt werden: „Wenn man mal ein ordentliches Interview geben würde, müsste man Angst haben, dass man den Job verliert.” Momentan sei die Situation auf der Kinderklinik einigermaßen unter Kontrolle, im Dezember allerdings sei es eine Katastrophe gewesen: „Jedes Bett war belegt, die Kinder schwerst krank, wir Aushilfen hatten noch keine Einschulung. Wegen Zeitmangels konnten uns die Erfahrenen auch nicht helfen. Am Ende des Tages sind alle vom Dienst heimgegangen, haben dort geweint, und sich gefragt, was an dem Tag alles falsch gelaufen ist.” Warum sie sich trotzdem freiwillig für die Versetzung gemeldet hat? „In erster Linie, weil ich es tragisch finde, wenn die Kinderversorgung nicht mehr gegeben ist. Die können sich selbst ja gar nicht helfen.” Voraussichtlich sind die versetzten Pflegekräfte noch bis Ende März auf der Kinderklinik. In dieser Zeit bleiben 14 Betten auf der Psychiatrie gesperrt.

Wo bleiben die Lösungen?

Die steirische Politik steht derzeit stark unter Kritik, was die Pflege anbelangt. So gingen bei der Arbeiterkammer Steiermark unzählige Beschwerden über den Pflegebonus ein, der seit Dezember ausbezahlt wird. Von den versprochenen 2000 Euro mehr pro Jahr bleiben nach Abzug der Steuern im Schnitt nur 850 Euro übrig. Am 23. Jänner kündigte Bogner-Strauß zudem eine Gehaltserhöhung von etwa 240 Euro Brutto monatlich für DGKP an — aber nur für jene in der Kinder- und Jugendlichen-Pflege sowie in der Psychiatrie. 

Alle anderen gehen leer aus, oder müssen, um dazu zu verdienen, Überstunden machen. Davon sind nun nämlich mehr erlaubt als die bisherigen 20 Stunden pro Monat — eine Entlastung ist das freilich nicht. Zum Vergleich: In der Medizin scheint es deutlich schneller zu gehen. Am 20. Jänner beklagte die Ärztekammer  Steiermark, dass Medizinstudent:innen in ihrem Klinisch Praktischen Jahr (KPJ) lediglich den Bruchteil eines vergleichbaren Lehrlingseinkommens erhalten. Nur drei Tage später verkündete Bogner-Strauß (gemeinsam mit den teilweisen Pflege-Gehaltserhöhungen) eine Erhöhung des KPJ-Gehalts von 650 auf 900 Euro brutto im Monat.

Auch GuK-Studierende wie Jenny, Sophie und Martha bekommen mittlerweile eine monatliche finanzielle Unterstützung von 600 Euro. Versprochen war dies schon seit Beginn des Semesters, wirklich auf’s Konto bekommen die Studierenden das Geld erst seit Jänner. Vorfreude auf den Beruf haben Jenny, Sophie und Martha trotz der Krise immer noch. „Natürlich wird die Arbeit sehr herausfordernd”, sagt Martha, „aber motivierend ist der Wunsch, Menschen zu helfen, Krankheit zu vermeiden und die Gesundheit wiederherzustellen.”

 

Titelbild: An der FH Joanneum wird mit Simulationspuppe Granny geübt — sie kann schreien, husten, urinieren und vieles mehr – Foto: Laura Sophia Ablasser









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