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Reform im Jugendfußball: Sollen Kinder nicht verlieren?

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Ab Sommer 2022 gibt es im Kinder- und Jugendfußball bis zur Altersklasse der Unter-12-Jährigen keine Tabellen mehr. Der Spaß und die Entwicklung der Kinder sollen im Vordergrund stehen, nicht der Erfolg. ESK Graz-Nachwuchstrainer Mark Nolden und Kinder- und Jugendpsychologin Sophie Gindl sehen große Nachteile bei dieser Reform.

Die letzten Sekunden, der Schlusspfiff ertönt, es ist geschafft. Die Kinder feiern die Meisterschaft und halten den Pokal in die Höhe. Szenen, die es ab der kommenden Saison nicht mehr geben wird. Der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) hat im März eine Reform beschlossen, wonach es für Mannschaften bis zur U12 keine Tabellen mehr im herkömmlichen Sinne gibt. Die sportliche Entwicklung und mehr Einsatzzeit für alle Spieler:innen stehen an oberster Stelle. Die Reform wurde beschlossen, da viele Kinder und Jugendliche mit dem Fußballspielen aufgehört haben und der ÖFB hier gegensteuern will.

Mehr Spiele für den Nachwuchs

Für ESK Graz-Nachwuchstrainer Mark Nolden ist dieser Schritt nur bedingt verständlich: „Ich sehe die Reform eher negativ. Mein Team und ich wollten in der Meisterschaft um Erfolge kämpfen und jetzt ist das eigentlich nicht mehr möglich.“ Stattdessen spielt der ESK von nun an jedes Wochenende ein Turnier mit mehreren Mannschaften, damit mehr Spieler:innen zum Einsatz kommen.

„Vorher war es so: Wenn du verloren hast, war es eine Woche später wieder vergessen. Jetzt sind mehrere Spiele am Tag und die Kinder sind geknickt, wenn sie das erste verlieren. Teilweise wollen sie gar nicht mehr weiterspielen“, erzählt Nolden. Damit wäre zwar das Ziel erreicht, mehr Kinder pro Spieltag spielen zu lassen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Freude noch schneller verloren geht. Etwas Positives kann Nolden der Reform dann aber doch abgewinnen: „Es werden vermutlich mehr Kinder zu spielen beginnen, weil eben die Aussicht auf mehr Spielzeit gegeben ist.“

 „Verlieren soll nicht immer so negativ gesehen werden“

Die Grazer Kinder- und Jugendpsychologin Sophie Gindl ist von der Reform ebenfalls nicht sonderlich angetan. „Es ist wichtig, dass Kinder schon in jungen Jahren lernen zu verlieren und auch Wege entdecken, wie sie am besten mit Niederlagen umgehen können“, meint sie. In ihren Augen würde eher der gegenteilige Effekt auftreten: Kinder, die es gewohnt sind zu gewinnen, würden schneller gelangweilt werden und erst recht mit dem Fußballspielen aufhören.

Auch das Argument, dass die Entwicklung im Vordergrund stehen soll, kann sie nicht nachvollziehen: „Wie soll man die Entwicklung und den Fortschritt messen, wenn es am Ende keine Tabelle gibt?“ Prinzipiell ist sie der Meinung, dass Verlieren die Entwicklung nicht zwangsläufig bremsen muss, sondern sogar fördern kann. „Ich finde, verlieren soll nicht immer so negativ gesehen werden. Man ist im späteren Leben auch immer wieder mit dem Scheitern konfrontiert und je eher man lernt, damit umzugehen, desto besser“, bezieht die Psychologin klar Stellung. 

Auch die Grazer Psychologin Sophie Gindl ist von der Reform nicht angetan. – Foto: Privataufnahme

Verlieren lernen ohne Reform

Psychologin Gindl hat auch ein paar Tipps parat, wie Kinder mit Niederlagen besser umgehen können, ohne gleich den Spaß am Sport zu verlieren. Sie sagt: „Man sollte Niederlagen als Herausforderungen sehen, aus denen man lernen kann. Wenn man beim nächsten Spiel etwas verändert, funktioniert es vielleicht besser.“ Eine weitere Möglichkeit wäre, Niederlagen mit Humor zu nehmen und sich nicht zu sehr in das Spiel hineinzusteigern. Letztendlich sei es aber bei jedem Kind individuell zu entscheiden, wie es am besten mit Niederlagen umgeht. Für diejenigen, die nicht mit Niederlagen umgehen können, wäre es laut Gindl besser, sich eine andere Sportart beziehungsweise Beschäftigung zu suchen.

In einem Punkt sind sich Nachwuchstrainer und Psychologin ebenfalls einig: Das Gemeinschaftsgefühl wird im Wettkampf verstärkt und man muss aufpassen, dass das nicht verloren geht. Das ist einer der Gründe, warum die beiden der Reform kritisch gegenüberstehen. Die tatsächlichen Auswirkungen werden allerdings erst am Ende des Jahres sichtbar. Dann, wenn erstmals niemand am Saisonende den Meisterschaftspokal in die Höhe hält.

 

Titelbild: Mark Nolden mit seiner Kindermannschaft. – Foto: Privataufnahme

 

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