Betteln, egal in welcher Form, ist in Graz seit Mai 2011 verboten. Aber die Bettler sind deshalb nicht von den Straßen verschwunden, sie haben jetzt nur, anstatt eines Bechers, eine Straßenzeitung in der Hand. Denn die Armut zwingt sie auch weiter auf die Straße.
Von Andreas Leitner
Seit über 15 Jahren kämpft der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher nun gegen diese Armut. Er bietet den Grazer Bettlern mit seiner Vinzenzgemeinschaft nicht nur einen Platz zum Schlafen, sondern auch eine umfassende Betreuung. Mit uns sprach er über das Recht, sein Leben frei gestalten zu dürfen und warum man nicht immer wegsehen darf.

Seit rund einem Jahr gibt es nun in der Steiermark das Bettelverbot. Was hat sich bis jetzt geändert? Hat sich die Situation in der Öffentlichkeit überhaupt verbessert?
Der Zustand vor dem Verbot war, sowohl für die um Hilfe bittenden Menschen, als auch für die Bevölkerung, wesentlich erträglicher. Dadurch, dass die ehemaligen Bettler jetzt Global Player verkaufen, hat sich aus Rumänien eine Flut von bettelnden Frauen und Kindern auf Graz ergossen. In den 15 Jahren in denen wir die Roma aus der Slowakei betreuen, war kein einziges Kind unter ihnen und niemand hat aggressiv gebettelt. Die jetzige Gruppe aber geht von Tür zu Tür und lässt sich nicht abschütteln. Vorher hat man genau gewusst, der Mensch hier am Boden schläft im VinziNest. Wenn was nicht passt, kann man sich dort hinwenden. Jetzt ist niemand mehr zuständig. Das ist vollkommen in die Hosen gegangen. Der zweite Aspekt sind Betroffenen selber, die jetzt Verkäufer von Global Player sind. Sie bekommen weniger Geld als früher, ihre familiären Umstände haben sich verschlechtert. Aber weil sie mit ihrem Global Player als Hilfesuchender erkennbar sind und gelegentlich auch etwas Geld zugesteckt bekommen, haben sie nach wie vor etwas.
Das Verbot ist mittlerweile vor dem Verfassungsgericht.
Ja, wir haben Einspruch erhoben, weil es die freie Lebensführung einschränkt. Jeder hat das Recht sein Leben so zu führen wie er will, solange er nichts Kriminelles tut. Und aus diesem Grund ist ein Menschenrecht verletzt. Seine Not in der Bevölkerung zu zeigen, ist außerdem eine Form der Meinungsäußerung, und in diesem Fall wird sogar das verboten. Das Gesetz ist auch nicht eindeutig formuliert. Allein dadurch, dass man von höchster Stelle aus nicht weiß, was der “öffentlicher Raum“ ist, ist das Gesetz schon zu hinterfragen.
Auf den Schildern am Grazer Menschenrechtsweg sind sehr kritische Kommentare zum Thema Bettelverbot aufgemalt worden. Befürworten sie solchen Aktionismus von Seiten der Bevölkerung?
Auf jeden Fall, denn bisher waren nur die Bettelverbotsvertreter mit Aktivitäten sichtbar. Durch die Diskussion sind aber jene Menschen aktiv geworden, die bisher zu allem geschwiegen haben. Das hat die Befürworter des Verbotes sehr durcheinander gebracht, weil ihnen die Argumente langsam ausgegangen sind. Wir haben auch zahlreiche Journalisten dazu gebracht, vor Ort zu recherchieren, denn es haben viele Zeitungen und Medien lange Zeit über diese Menschen gesprochen, aber nicht mit ihnen. Und das hat sich jetzt geändert und dazu geführt, dass die Befürworter des Bettelverbotes ziemlich sprachlos geworden sind.
Halten sie es für die Pflicht eines gläubigen Christen oder ist es mehr eine gesellschaftliche Pflicht in solchen Fällen laut zu werden?
Gerade Religionen wie Judentum und Christentum, die hier sehr präsent sind, verpflichten den Gläubigen auf jeden Fall, seine ganze Überzeugung auch zu Handlungen zu bringen. Wenn Sie mich fragen: „Ich muss nicht unbedingt das machen, was irgendjemand für richtig hält, aber einfach wegzuschauen, das ist sicher falsch.“
In den Diskussionen vor Beschluss des Verbotes, sind Bettler oft kriminalisiert oder als Mitglieder einer kriminellen Organisation bezeichnet worden. Woher kommen diese Vorurteile?
Viele Vorwürfe sind aufgestellt worden um eine schon vorhandene Ablehnung begründen zu können. Dass man mich in diesen Kreisen so besonders kritisiert, ja teilweise hasst, liegt daran, dass ich ihnen ein Argument um das andere durch Pressearbeit und Nachforschungen genommen habe. Ich habe keinen Vorwurf so intensiv hinterfragt, wie jenen der organisierten Kriminalität. ich habe zig Betroffene, viele Familien und den Pfarrer ihrer Heimatgemeinde unter vier Augen befragt, ob sie irgendjemandem Geld abliefern müssen. Das war nicht der Fall. In Graz hat Herr Grosz vom BZÖ Anzeige wegen Menschenhandel erstattet. Ein halbes Jahr hat der Staatsanwalt recherchieren lassen und dann hat er in einer Pressekonferenz bekanntgegeben, dass kein Hinweis auf irgendeinen kriminellen Hintergrund gefunden werden konnte.
Das Verfassungsgericht soll bis Herbst über das steirische Bettelverbot entscheiden. Was wird passieren wenn es fällt?
Es gibt verschiedene Eingaben in den Verfassungsgerichtshof, von denen mir einer sehr gefährlich erscheint. Die Oberösterreicher haben den VfGH aufgefordert zu prüfen, ob Länder überhaupt Bettelverbote erlassen dürfen. Wenn diesem Begehren stattgegeben wird, dann werden aus rein formalen Gründen alle Bettelverbote in Österreich aufgehoben. Dann ist mit absoluter Sicherheit anzunehmen, dass irgendeine Partei versuchen wird ein österreichweites Bettelverbot durchzubringen. Und es ist zu befürchten, dass das gelingt. Aber das kann man wieder beeinspruchen bis der VfGH sich endlich entschließt sich mit den echten Inhalten auseinander zu setzten. Und zwar mit den Menschenrechten.