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„Erfolg ist, wenn er nach einem Jahr noch lebt“

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Der Drogenstreetworker Severin Zotter spricht über Stockwerkspumpen, Erfolgserlebnisse, und erklärt, warum man Suchtkranke nicht sauber waschen kann.

Ein Interview von Katrin Nussmayr

 

Der 30-jährige Severin Zotter ist seit drei Jahren als Streetworker beim Caritas Kontaktladen in Graz beschäftigt. Die Einrichtung will mithilfe von niederschwelligen Angeboten die Lebensqualität suchtkranker Menschen steigern und setzt dabei auf Straßensozialarbeit, Beratung und Begleitung, ärztliche Betreuung und Spritzentausch. Das Ziel ist nicht Abstinenz, sondern Schadensminimierung. Im Gespräch erklärt der Sozialarbeiter, wo die Grenzen dieses Ansatzes liegen und welche Herausforderungen die Arbeit bringt.

Severin Zotter, Streetworker beim Caritas Kontaktladen
Der Streetworker Severin Zotter in den Räumlichkeiten des Caritas Kontaktladens

Du bist seit drei Jahren im Einsatz. Hat dich die Arbeit mit Suchtkranken irgendwie verändert?

Es hat gewissermaßen meinen Blick auf die ganze Thematik der Drogen verändert. Wenn man mitbekommt, was konsumiert wird, wie konsumiert wird, wie es den Menschen überhaupt geht, auch aus medizinischer Sicht, da lernt man, was Suchterkrankung für viele Menschen eigentlich heißt.

Stößt man dann irgendwann auch an Grenzen?

Punktuell ja. Gerade hat eine Klientin angefragt, wie man richtig intravenös in die Vene an der Leiste konsumiert. Das ist eine Stelle, die für den intravenösen Konsum sehr ungeeignet ist, weil Vene und Arterie sehr nah beieinander liegen und auch ein Nerv nah dabei liegt. Die Frage der Klientin bringt uns natürlich vor ein Dilemma, weil man es eigentlich absolut nicht tun sollte. Die Frage ist, ob es besser ist, einmal unter medizinischer Anleitung zu erklären, wie man es am schadlosesten macht.

Ihr verfolgt überhaupt den Ansatz der Schadensminimierung. Gibt es da viel Kritik – wirft man euch vor, den Leuten beim Drogenkonsum zu helfen?

Dieser Kritikpunkt kommt immer wieder einmal. Wenn man in der Szene beheimatet ist im Sinne professioneller Hilfe,  dann erkennt man aber bald, dass man durch fehlende Spritzen niemanden davon abhalten kann, dass er konsumiert. Es gibt immer die Geschichte von der „Stockwerkspumpe“ in Justizanstalten: eine Spritze, mit der viele Menschen konsumieren. Da ist Hepatitis C dann bald gerecht auf alle aufgeteilt. Ich denke, dass unsere Angebote nicht nur für suchtkranke Menschen, sondern auch für die Gesamtbevölkerung relevant sind. Wenn möglichst wenige Menschen Hepatitis C oder HIV haben, ist das auch für die Gesamtbevölkerung wünschenswert.

Was sind im Moment die größten Herausforderungen?

Da gehört auf jeden Fall das gesamte Thema Mephedron dazu, vor allem der intravenöse Konsum von Mephedron und die psychischen und physischen Folgeerscheinungen. Das hat uns am Anfang vor große Herausforderungen gestellt. Viele Leute hat man nicht mehr erreicht, weil sie nicht mehr außer Haus gegangen sind. Die Substanz ist sehr schädlich für den Körper, weil sie die Venen verätzt, weil sie die Menschen extrem psychotisch macht, paranoid macht. Damit verbunden kommen immer wieder neue Substanzen.

Wie messt ihr den Erfolg – wann ist für euch die Arbeit erfolgreich?

Erfolg ist in dem Sinne schwer zu messen. Dieses Bild, das viele Menschen haben: Wir bringen die Suchtkranken in eine Therapie, dort werden sie behandelt, dann kommen sie raus – wie es auch der Primar Friedl vom Walkabout [eine Therapiestation für Drogenkranke, Anm.] formuliert hat: Wir werfen sie in die Waschmaschine, da werden sie sauber gewaschen, und dann sind sie quasi gesund. Das ist so nicht möglich. Sucht ist eine äußerst komplexe und vielschichtige Erkrankung. Außerdem ist für viele Menschen auch der Ausstieg aus der Abhängigkeit nicht möglich, oder keine lebbare Alternative.

Warum nicht?

Man muss es sich so vorstellen: Die Substanz ist in den Leben der Menschen oft die einzige Konstante, die sie haben. Ich trau mich zu sagen, viele Menschen würden ohne Substanz kürzer leben als mit Substanz. Natürlich führt die Substanz auch oft zu neuen Problemen, aber das ist alles nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen, wo man sagt, das ist das Problem, das muss man lösen und dann wird alles gut. Und es gibt auch viele Menschen, die sind im Substitutionsprogramm, die haben ein geregeltes Leben, die haben eine Arbeit, eine Wohnung, ein Auto, eine Beziehung.

Was motiviert dich persönlich an deiner Arbeit?

Zum einen dieser gesellschaftliche Zugang: Ich hab das Gefühl, das ist einfach eine Personengruppe, die nicht gerne gesehen wird, die gerne ausgegrenzt wird. Das finde ich nicht in Ordnung. Natürlich fragen die Menschen oft, wie motiviert man sich, man hat ja keine Erfolgserlebnisse. Das stimmt zum Teil. Es ist nicht so, dass man jemanden begleitet, und nach einem halben Jahr ist er clean. Man freut sich, wenn er regelmäßig kommt, und wenn er nach einem Jahr noch immer kommt, und wenn er sich vielleicht irgendwie stabilisiert.

Gibt es wirklich keine Erfolgserlebnisse?

Was ist ein Erfolgserlebnis? Bei einem äußerst suizidalen, schwer krisengeschüttelten Menschen ist es ein Erfolgserlebnis, wenn er nach einem Jahr noch lebt und noch kommt. Es gibt auch Menschen, die den Ausstieg schaffen. Ich hab eine Klientin, mit der treff‘ ich mich alle paar Monate einmal, die ist clean, die studiert, die hat ein sehr geordnetes Leben. Das ist natürlich auch sehr schön zu sehen.

 

 

 

 

Katrin Nussmayr: Wohl eine der wenigen angehenden Journalistinnen die nicht der branchenüblichen Kaffeesucht verfallen ist. Die junge JPR Studentin mit persischen Wurzeln ist aufgeweckt, neugierig und fröhlich. Katrin ist stolze Annenviertlerin und genießt die Kulturenvielfalt. Eine große Leidenschaft ist die Musik – Wochenends trällert sie sanfte Jazztöne aus ihrem Saxophon.

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